Erstellt am: 30. 12. 2009 - 13:12 Uhr
Heroes of the zeroes: Keine Einigung in Sicht
Ein paar Details/Making-Of-Randnotizen der FM4 Heroes of the Zeroes Umfrage
- Heroes of the Zeroes: Die FM4 Jahrzehnte-Charts zum Nachlesen
- Rewind 09: Die FM4 Jahresrückblicke
- The Zeroes: Rückblicke auf 2000-2009
Martin Blumenau hat als einziger eine Z-Band in seine Liste eingebettet: Zwan. Mit nur vier Wirkungsjahren wären die von Albert Farkas in diese Liste eingeforderten Long Blondes die kurzlebigste Band in der Top100-Alben Auswertung gewesen. Philipp L'Heritiers Nummer 1 der Dekade hat es tragischerweise nicht in die Top100 geschafft: Joanna Newsom mit "The Milk-Eyed Mender". Selbiges passierte auch Marcus "Makossa" Wagner mit Lindstrom&Prins Thomas. Manche Mitarbeiter schickten - ob der Angst vor dem Auswahlverfahren - gleich mehr als die angeforderten 10 Albumtitel. Nina Hofer beriet sich mit Christian Holzmann nur zwei E-Mails lang, welches Tool-Album denn aufs Stockerl gehievt werden sollte.
- Direkt aus dem Archiv ausgehoben: Die 90er Jahrzehntecharts
Ein Vergleich mit dem Ende 1999 im selben Verfahren (dafür nur Plätze 1-40) lukrierten 90er Jahrescharts ergibt (nur/doch) vier Artist-Überschneidungen: Portishead, Radiohead, Daft Punk und Tocotronic haben uns schon in den 90ern intensiv beschäftigt (und das bei diesem 90er-Ranking: 9/10/20/29). Mit dem Argument "der Rolling Stone hatte 'London Calling' von The Clash auch in den 1980-Jahrescharts berücksichtigt, weil in USA 1980 erschienen" schafften es die "69 Love Songs" von Magnetic Fields auch noch in unsere die Liste (USA-VÖ 1999/Europa-VÖ 2000).
Manche KollegInnen hatten wegen dieser Umfrage-Herausforderung schlaflose Nächte, manche KollegInnen interessieren sich nicht für – das Album.
Der Mensch soll ein Gewohnheitstier sein, wenn daraus die Tatsache der langsamen Anpassung entspringt aber auch das Talent für Timing ans Tageslicht kommt, darf es also nicht verwundern, dass nun pünktlich zum Ende der Zero-Years das Album-Format vielerorts "endgültig" zu Grabe getragen wird. Insofern hätte es mich nicht überraschen dürfen, als Kollege Einöder auf meine Sammelbitte nach zehn favorisierten Alben aus den Jahren 2000-2009 folgendes Mail zurückschickte:
Re: die rückblickskeule aka der lottogewinn des jahrzehnts
"wir machen die top100 alben? im jahr 2009? entweder da steckt ein lustiges, ironisches oder intelligentes konzept dahinter, das ich nicht verstehe oder das ist ein bissi weltfremd!
ich hab nachgerechnet: die letzte cd, die ich mir gekauft hab, war zirka märz 2008, vor mehr als eineinhalb jahren auf einem flohmarkt eine alte beastie boys. für mich wär ein tracks-basiertes rückblicksteil irgendwie passender. wir spielen ja auch keine alben im radio, von der obskuren lagune einmal abgesehen. dort gehört so ein album-zeug auch hin - in den sumpf, zu den sammlern, liebhabern und nerds.
ich hab nicht einmal einen cd-player! sollt ich doch irgendwo einmal eine cd finden, die es im netz nicht zum download gibt, muss ich sie erst in den computer konvertieren und von dort evtl auf mein handy spielen.
gut, ein album ist auch mehr als nur was physisches, bei vielen künstlern eine fast philosophische sache. wie passt lied eins auf lied zwei? welches thema zieht sich quer durch alle songs und titel? mache ich ein konzeptalbum? aber diese herangehensweise ist vermutlich sowohl bei künstlern als auch bei uns konsumenten eher ein minderheitenprogramm. der kunst-zugang halt. wie bei noise- oder freestyle-alben, wo eh nicht ganz klar ist, wo ein lied anfängt und das andere aufhört!"
Du spinnst!
Ich war kurz erschüttert. Das ist also die Haltung der KonsumentInnen von der alle reden? Hier die oldschool-Nerds, dort die "neuen Flexiblen", die abgesehen vom lästigen Tonträger nicht einmal mehr ein leicht kompatibles Abspielgerät besitzen?
Im Profil fasst Robert Rotifer unter dem Titel "Die Untergeher" zusammen, dass die "größte Pop-Revolution des einsetzenden 21. Jahrhunderts freilich keine musikalische, sondern eine technologisch-ökonomische" war.
ondrusova
ondrusova
Bestand doch die große Herausforderung der letzten zehn Jahre darin, überhaupt mit diesem World Wide Web klarzukommen und erstmals auf sich als Band aufmerksam zu machen. Weil nicht mehr nur eine Öffentlichkeit bedient wird, sondern weil jede Öffentlichkeit nun auch ihre eigenen speziellen Konsum- und (wichtig, um dem Album näher zu kommen) Informationsregeln hat. Dann kommt da noch der persönliche Grad der Übersättigung dazu. Salat fertig. Mahlzeit.
ondrusova
Simon Reynolds rechnet sich im Musikblog des Guardian aus, dass die Mehrzahl der Top 20 Alben der Pitchfork-Dekadencharts aus den ersten fünf 00er Jahren stammt und erreicht damit zwei Denkpfade: Der eine Pfad endet in der Conclusio: "Früher hats qualitativ hochwertige(re) Musik gegeben", der andere will meinen "Früher hats weniger gegeben!"
Dass Genre-Grenzen ineinander verschwimmen und so aus früher (früher!) überschaubaren Genres, Subgenres entstehen die sich vermischen, so dass man gar nicht mehr weiß, was Henne und was Ei ist, ist nichts Neues. Dass Lieblingsbands nicht mehr "nur" ein "Post" angehängt bekommen, sondern gleich ein Lexikon an Genrezusammenfassungen auf Wikipedia spazieren führen, ist diese Entwicklung etwa etwas, das mich hindert oder mir hilft ein Album zu hören und als solches zu begreifen? Wenn Album eben nicht EIN Track ist, sondern ein zusammenhängendes Ganzes repräsentiert, das nicht einmal ein intellektuelles Konzept braucht, sondern einfach nur: einen Anfang und ein Ende!
ondrusova
In der aktuellen Jänner-Ausgabe kündigt die Spex an, die "klassische Rezension" mit einem "Pop-Briefing" zu ersetzen, einer Art schriftlichem musikalischen Quartett. Mit der "Singles Club"-Reihe im Rahmen des Music Weekly-Podcast vom Guardian werden clever beide Lager bedient: Solche, die die Single als Einzeltäter begreifen (wollen) und solche, die durch eine Single auf ein größeres Etwas aufmerksam werden (wollen).
Das ganze "Wollen" nutzt aktuell unterm Strich zu wenig, weil sich ja alle KünstlerInnen von ihrer Kunst ernähren möchten. Wer sich als MusikerIn ökonomisch glücklich schätzen kann, landet nicht einen Plattenvertrag sondern unterschreibt einen Werbelizenzvertrag. Dazu kann man stehen wie man will, aber "nur" deswegen gehe ich als Band doch nicht ins Studio – nur weil sich mit Werbelizenzen für einen einzelnen Song mehr Kohle verdienen lässt als mit dem Albumverkauf. Geh ich deswegen weniger proben?
Vielleicht sollte mit der aktuellen Rückblickskeule ja nicht das Albumformat zu Grabe getragen werden, sondern einfach nur Wertungen und Listen (oder auch: Sternchen und Pünktchen). Die Village Voice setzte bei ihrem Dekaden-Rückblick gleich auf die Kategorie "Genre Hype".
Während sich die Village Voice-Zusammenfassung natürlich herrlich unterhaltsam liest, frage ich mich, ob wir - die KonsumentInnen – nicht eigentlich damit leben lernen sollten, dass Popularitäts-Vergleiche mit einer unendlichen Öffentlichkeit keinen Sinn ergeben, weil: ich bin mein eigener Lester Bangs und halte mich wahlweise an Schwanzanfang oder am dicken endloseren Teil des Long Tails auf.
Aber deswegen werde ich doch nicht dass das Zeitdokument eines musikalischen Status-Quo auseinanderreißen und zersplittert zu Grabe tragen? Klar seh ich, dass das Album an Stellenwert verloren hat, weil in der digitalen Welt das Kostenlos-Denken wegen ungeklärter Tantiemenfragen und Urheberrechtsituationen überhand genommen hat, aber deswegen verliere ich doch nicht mein Interesse an den Über-Geschichten sowie an den Fußnoten dieses - von mir aus nun aktuell "nerdigem" Dingsda - dem Album.