Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Von Höhenrausch und Nudlaug"

Roland Gratzer

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30. 12. 2009 - 12:32

Von Höhenrausch und Nudlaug

Eine gefühlte Bilanz von Linz 09. Und das (fast ohne) Auflistung von Besucher- und Nächtigungszahlen, dafür mit ein paar ausgewählten Programmpunkten.

Das Logo von Linz09.

Linz09/Thomas Maier

Linz09 auf FM4

"Nächster Halt: Linz - DIE Kulturhauptstadt Europas", tönte es jetzt ein Jahr lang in den gerne überfüllten Zügen der Westbahn. Abgesehen davon, dass auch Vilnius auf diesen Titel Anspruch erhob, bleibt die Frage, ob sich mit viel Budget und einer (eh klar) umstrittenen Intendanz für 365 Tage lang eine kulturelle Metropole errichten lässt, deren Erfolg fast immer nur in Besucher- und vor allem Nächtigungszahlen gemessen wird. Und letztlich bleibt - wie schon in Graz - die große Frage: Was bleibt 2010?

Auch architektonisch versuchten die Verantwortlichen das Jahr mit einem kulturellen Prunkbau zu verknüpfen. Wo in Graz ein von außen schönes aber innen etwas unbrauchbares Kunsthaus übrigblieb, steht in Linz nun ein illuminiertes Ars Electronica Center, das genau den Bedürfnissen des Festivals entspricht. Groß, praktisch einzurichten und kilometerweit zu sehen. Die allzu deftigen Lichtduelle mit dem Lentos Museum auf der anderen Donauseite führten allerdings derart schnell zu Anrainer-Protesten, dass sich die Lichtdesigner etwas zurücknehmen mussten.

aec / signs and signals

weidinger

The Spaceship has landed.

Ein großes Mea Culpa an alle nicht erwähnten, aber schönen Projekten wie Der kranke Hase, Die Rebellinnen, oder In Situ. Aber es war halt doch ein ganzes und langes Jahr.

Führerkunst ist schlechte Kunst

Ansonsten waren die Ansprüche alles andere als klein formuliert. Der fahle Beigeschmack der Voest-Metropole (gern verwendete Umschreibung) als geplanter Alterssitz eines der berühmtesten Söhne der Stadt sollte mit der Anfangs-Ausstellung "Kulturhauptstadt des Führers" beseitigt werden. Und das gelang. Anstatt sich dem oberflächlichen Aufgeilen an Nazi-Devotionalien in alt bekannter Guido Knopp-Manier hinzugeben, füllten die Ausstellungsmacher das Schlossmuseum mit Fakten, bizarren Kunststücken aus der Epoche und damit mit der Gewissheit, dass ideologisch derart anbiedernde Kunst vor allem eines ist: grottenschlecht.

Ein Nazi-Wandteppich

E. Grilnberger, OÖ Landesmuseum

Eine textile Schande.

Wie schon beim neuen AEC gingen Kulturhauptstadt-Dasein und Bauordnung eine nette Symbiose ein. Richtig sehen konnte man den Zubau des Schlossmuseums aber nur vom Dach des OK. Und dort passierte auch das, wovon Kulturveranstalter in einsamen Nächten träumen: hunderttausende Besucher, die fast in Massenabfertigung durch eine Ausstellung gelotst werden und JEDER und JEDEM davon erzählen müssen, weil es einfach so besonders war: Der Höhenrausch.

Kunst ist Abenteuerurlaub am Dach

Dieser war als großes Finale einer Ausstellungs-Trilogie (nach "Schaurausch" in den Schaufenstern und "Tiefenrausch" in der Kanalisation) geplant und stimmte Intendanz und Touristiker gleichermaßen zufrieden. In einem teils hölzernen Abenteuerparcours über die Dächer des OK und des Ursulinenhofs gab es allerlei Videos (das mittlerweile schon langweilige "Auto fährt auf Hausmauer"-Filmchen von Erwin Wurm), Installationen (Top: der singende Regenschirm), etwas bemühte Ideen (die Hinweistafeln auf hunderte Kilometer entfernte Personen im Stile eines alpinen Wegweisers) und so manches, das dem herkömmlichen Kulturtouristen nicht ganz geheuer war (z.B. die 1,2 Millionen Metallkugeln im Dachboden). Und wie es sich für eine solche Jahrmarkt-Variante des Kunstbetriebs gehört, stand ganz oben ein knallbuntes Riesenrad, wahrscheinlich DIE Sensation des ganzen Jahres. Dessen Anziehungskraft führte bisweilen dazu, dass viele Besucher nur deshalb in die Ausstellung gingen und direkt nach den klappernden Runden wieder Richtung Ausgang strömten, was allerdings durch das gefinkelte Einbahn-System und die streng schauenden Guides verhindert wurde.

Landeshauptmann Josef Pühringer vor dem Riesenrad beim Höhenrausch

LandOÖ/KRAML

Das Land Oberösterreich begrüßt den 111.111 Besucher. Sauber!
Baustelle der Pappkarton-Akropolis

www.akropolis-linz.com

Die wohl schönste Baustelle des Sommers.

Von Kartonbauten und gelben Häusern

Slogans wie "So haben sie Linz noch nie gesehen" wurden beim Höhenrausch gerne in den Mund genommen, trafen aber auch auf ein anderes Linz 09-Projekt zu. Das alle zwei Jahre veranstaltete Festival der Regionen machte heuer in Linz Station. Oder besser gesagt: rund um Linz. In den Mittelpunkt der kooperativ angelegten Veranstaltungsreihe rückten nämlich die Außenbezirke Auwiesen und solarCity. Nach der wohl längsten Straßenbahnstrecke im mitteleuropäischen Raum gab es dort neben gut geglückter Kooperation mit den Bewohnern der Viertel zahlreiches Installationswerk wie zum Beispiel die leider vom Regen dahingeraffte Kartonschachtel-Akropolis.

Ein anderer eher nicht im Kunstkontext bekannte Ort war das temporäre und sehr gelbe Haus auf der Bindermichl-"Autobahnüberplattung". Das Projekt Bellevue war einfach nur sehr sehr lässig. Warum, lässt sich beim Herrn Blumenau nachlesen. Ebenfalls gelungen war die sogenannte Subversivmesse in der Hafenhalle, die allerdings von tragischen und unverständlichen Vorfällen überschattet wurde.

Dass die Ars eine Zeit lang den medialen Diskurs beherrschte und bei der fetten Klangwolke soviele Leute waren wie noch nie, ist ja weniger überraschend.

Jetzt ist das Jahr vorbei und die Verantwortlichen ziehen Bilanz. Die Zahlen seien gut, heißt es von allen Seiten, die Kritiker haben ihrer Meinung nach Recht behalten, weil, nächste Parallele zu Graz, die lokale Kunst zu kurz gekommen sei.

Na gut, ein paar Zahlen gibt es auch noch: 5000 Künstler aus 66 Nationen, 220 Projekte, 7000 Veranstaltungen, 3,4 Millionen Besucher, davon 277000 beim Höhenrausch.

"Wer waß, wer wos davon hot"

Und 2010? Im Stadtmuseum Nordico hat man sich die Republik-Ausstellung "Der Rest ist Österreich" vom Parlament in Wien geholt und das Lentos zelebriert eine ordentliche Valie Export Retrospektive. Die Ars Electronica wird wieder allerlei Spielereien und "früher war die Ars viel cooler"-Kommentare zu bieten haben und bei der Klangwolke werden soviele Menschen wie nie zuvor gewesen sein. Was sonst noch übrigbleiben wird, liegt wohl an der Finanzierungsgebarung der Stadt. Will heißen: Erst mal nachschauen, ob überhaupt noch Geld da ist. Sonst folgt auf das Kulturhauptstadtjahr schnell ein Eigentor-Jahr, gegen das auch Jürgen Macho nichts machen kann.

Einige Projekte und Ausstellungen haben noch einen Überhang im Jahr 2010. Und zwar diese hier.

"Wer waß, wer wos davon hot", singt die Band Rastafahnda über Linz 09. Naja: Die Ars hat ein neues Haus, das Schlossmuseum einen ordentlichen Zubau und die Keramik-Uni muss jetzt wohl doch nicht nach Gmunden übersiedeln. Ein voller Erfolg also.

Das Nudelaug

Das Linzer Auge am Ufer

Peter Patek

Volles Versagen bereits im Trockentraining

Gänzlich misslungen ist das einstige Prestigeprojekt Linzer Auge. Anstatt es bei der leckeren Mehlspeise und der logotauglichen Verarbeitung derselben zu belassen, wollten die Veranstalter nach dem Riesenrad noch eines draufsetzen. Die drehende Scheibe in der Donau hat sich aber nie gedreht, woran erst das Hochwasser und dann angeblichen die Slowaken schuld waren. Nun liegt es da, abgesperrt und kleiner als man meinen möge. "Nudlaug" schreibt der Boulevard (und somit auch ich), die Passanten schütteln beim Vorbeigehen den Kopf. Immerhin wurde das Projekt noch um ein paar Monate verlängert. Weil irgendwann dreht es sich doch, so zumindest die Hoffnung.

Doch die extra aufgenommene Zug-Ansage, die wird wohl für immer verstummen.

Aus nullneun mach zehn

Zu Silvester verabschiedet linz09 das Kulturhaupstadtjahr mit einer Party am HauptplatzAusgesessen haben schließlich auch jene, die zum cultural capital Rummel in kritischer Distanz geblieben sind, das Aussitzen der Kapu geht im contrust ins Finale.