Erstellt am: 30. 12. 2009 - 06:00 Uhr
Neros of the Zeroes
- The Zeroes: Rückblicke auf 2000-2009
- Rewind 09: Die FM4 Jahresrückblicke
Heute, am 30. 12. 2009, wollen wir im Rahmen unseres 12-stündigen Programms "Heroes Of The Zeroes" ab 10 Uhr Vormittags alles würdigen, was an den vergangenen zehn Jahren gut und tugendhaft und vorausblickend und ehrlich und mutig und widersinnig und sexy war. Wo viel Licht, da aber auch viel Schatten, und bekanntermaßen waren die Nullerjahre nicht das friedfertigste, von Feldzügen monumental zerstörerischer Egomanie verschonteste Jahrzehnt.
Cnyborg
Zum fiesen Schutzpatron aller zeitgenössischen Halunken haben wir den guten Herrn Kaiser Nero aus dem ersten Jahrhundert erkoren, weil es sich gerade so gut trifft, dass der nicht nur ein miserabler Politiker, sondern lauteren Quellen zufolge auch ein ebenso grottenschlechter Musiker war (und außerdem reimt es sich so schön auf "heroes"!!!!).
Hier eine kurze redaktionsinterne Umfrage zu den Schurken und Schandmäulern, zu den Deppen und Despoten, zu den Sarumans und Sarkozys der Dekade.
Politik
Robert Rotifer: Der heimlich böseste Politiker der Nullerjahre war John Bolton, ehemaliger UNO-Botschafter der USA, der als solcher die Vereinten Nationen für nicht existent erklärt hat. Einer, der 2002 eine internationale Einigung über ein Verbot biologischer Waffen blockiert und dann unter dem Vorwand der Vernichtung genau solcher Waffen die Invasion des Irak betrieben hat. Und das obwohl sein weißer Schnauzer irgendwie weich und gemütlich ausschaut.
Martin Pieper: Hauptschuldiger: George W. Bush (nicht sehr originell), & die Terroristen, die in die World Trade Center – Türme geflogen sind (auch nicht besonders originell). Und überhaupt alles, was aus diesem Komplex entstanden ist: Furchtbar und unnötig.
Lukas Tagwerker: Wir alle, wir haben, seien wir uns ehrlich, die Nullerjahre politisch völlig verkommen lassen. Haben wir vor einer einzigen Wahl ein Parteiprogramm gelesen? Haben wir eine einzige neue politische Idee geboren? Eine einzige neuartige Protestform? Gut, Trinkumzüge in Museumsquartieren werden von gläsernen Menschen über soziale Netzwerkmedien organisiert, Gratulation. Die iranische Diktatur wurde bis zum Ende der Nullerjahre dennoch nicht durch Twitter in die Knie gezwungen. Neben Kim Jong Il, Ahmadinedschad, Bush, Berlusconi und Gaddafi sind die Nullerjahre also durch Unterlassungssünden von vor allem dir und mir politisch den Bach runtergegangen.
Musik
Christian Fuchs: Das absolute Böse, die Apokalypse des Pops, sind für mich Castingshows und Talentewettberwerbe. Und der Antichrist, der diesen Unfug symbolisiert, heißt für mich Simon Cowell. Der circa 50jährige Brite ist das Mastermind und der Erfinder von Shows wie "The X –Factor" und "Pop-Idol", die leider von sämtlichen Fernsehstation des Planeten übernommen und nachgeahmt werden. Typen wie Mr. Cowell verdanken wir, dass Pop zu einem Schimpfwort und einem einzigen Missverständnis geworden ist. Es geht nämlich nicht um perfektes Handwerk oder Strebertum oder pingeliges Nachsingen, sondern um Glamour, Charisma und Aufruhr. Das sollte sich Simon Cowell ins Stammbuch schreiben, und sich schleichen, und die singende Hausfrau Susan Boyle soll er gleich mitnehmen.
Nina Hofer: Pete Doherty. Es tut mir furchtbar leid für alle, die ihn lieben. Aber ich finde ihn grauslich, unansehnlich, schmuddelig und affenartig. Er kann nicht singen, er kann nicht schreiben, jede einzelne seiner Nummern verursacht mir schlimme Ohrenschmerzen. Und dieses ganze Gezetere über irgendwelche Äffären mit irgendwelchen Models, und dann doch wieder nicht, und sind wir jetzt drogenabhängig, und dann auch wieder nicht, und dieses Gejaule und Gejeiere mit "Fuck Forever" und so weiter – großartig. Bitte, lieber Pete, hör einfach auf. [Der britische Guardian, von dem wir die Idee dieser Jahrzehnte spannenden Gruselgalerie adaptiert haben, formuliert das so: "I mean, we like drugs and Chas And Dave as much as the next guy but really ..."]
Linda Dziacek
Albert Farkas: Johnny Borrell. Es wäre einfach, den Razorlight-Sänger als nur einen in einer langen Reihe von eitlen business-Indie-Fuzzis abzutun, der mit seinen ganz und gar hohlen, belanglosen Liedern hausieren geht wie Scharlatane das bei einer Medizin-Show im Wilden Westen halt so gemacht haben – der Indie-Sting. Bis man mal zufällig in die Situation kommt, der gähnenden Leere, die dort herrscht, wo sich eigentlich eines Menschen Seele befinden sollte, ins Auge zu sehen, und man nicht umhin kommt, an Patrick Bateman zu denken, wie er gerade Packpapier auf dem Boden seines Apartments ausbreitet. Hört auf meine Worte: Johnny Borrell ist ein Mann, der ahnt, dass man dem totäugigen Wesen seiner "Kunst" eines Tages auf die Schliche kommen wird; und wie jeder Mensch ohne Charakter absolut korrumpierbar ist, wird auch er nicht von den Covers der Hochglanzmagazine weichen, ohne eine Schneise der geschmacklichen und sonstigen Verwüstung zu hinterlassen. Was in seinem Fall wohl heißt, durch sein Beispiel unweigerlich alle seiner zeitgenössischen britischen Mainstream-Indie-Bands in Misskredit zu bringen, irgendwann als Obmann eines Komitees zur Wiedereinführung der Fuchsjagd zu amtieren, oder sich überhaupt gleich von den Tories bei der übernächsten oder überübernächsten Wahl einen sicheren Sprengel in den Anus schieben zu lassen. Alles unvermeidlich mit nacktem Oberkörper.
Sport:
Riem Higazi: All athletes who take steroids or any other kinds of performance-enhancing drugs, who then go on to collect their medals, and who, when somebody discovers that they were doping, get all teary-eyed and Bernhard Kohl on us. No good examples for kids.
Everyme
Johnny Bliss: The secret villain of sports of the decade is the same sports villain of the last decade: OJ Simpson. Despite not killing his wife this decade, he has done other, fundamentally appalling things. Like, writing a book in late 2006 called “If I Did It”. It was his “hypothetical” account of the steps inherent in perpetrating a murder such as the one committed against Nicole Brown – which he, well, in all probability committed himself. After rubbing everybody’s nose in one of America’s more spectacular miscarriages of justice, he was eventually put behind bars a year later for a number of counts of robbery, kidnapping, and various other felonies.
Medien & Entertainment
Dbenbenn
Christian Fuchs: Unterhaltungskino kann spannend sein, klug, emotional, innovativ, mitreißend. Alles das, was die Mega-Gigaproduktionen von Michael Bay nicht sind. Michael Bay ist der Satan Hollywoods, ein reaktionärer, kaltblütiger, gefühlloser, dumpfer Kriegstreiber unter den Blockbusterfilmern. Seine überlangen Spielzeugwerbespots wie Transformers I und II verblöden Generationen von Kinogängern. Diesem Mann gehört endlich das Handwerk gelegt. [Der Guardian gibt Jerry Bruckheimers langjährigem Partner Don Simpson die Schuld für alles, da durch sein Ableben Mitte der 90er Michael Bay überhaupt erst die Gelegenheit bekam, in die Bresche zu springen.]
Martin Pieper: Da gibt’s in Österreich vor allem im Printsektor zu nennen. Aber allen anderen gegenüber muss hier an dieser Stelle Michael Jeannée Vorzug gelassen werden, dessen "Kolumne" in der Kronen Zeitung in diesem Jahrzehnt ungeahnte Tiefen erreicht hat.
Johnny Bliss: Arnold Schwarzenegger, of course, because his movies have been getting progressively worse and worse since the beginning of the decade. Starting with a very mediocre "Terminator 3", and ending with this extremely long and dull film where he plays the governor of California. There aren’t any explosions, there is no gunfire (although there’s forest fires, I give you that), there’s nothing interesting at all actually. Just a bloated man in a suit talking and talking and talking. No points out of ten.
Sonstige Mitmenschen
Riem Higazi: People who compulsively have to smoke a cigarette even while they’re walking on the sidewalk. People who pay no attention to their fellow passers-by when they’re walking.
Robert Rotifer: Herr und Frau Währungsspekulant, die mein Leben als Euro-Verdiener und Pfund-Verprasser zur Geisel ihrer Lotteriespiele machen.
Albert Farkas: Hämische Café-Patrone, die sich weigern, die geltende Anti-Raucher-Novelle in ihren Etablissements umzusetzen, aber dafür ein zynisches "Nichtraucher trotzdem willkommen"-Schild vor die Tür hängen, wären vielleicht eine passende Wahl, aber es müssen dennoch stattdessen jene StudentInnen und Studenten zum Zug kommen, die in persönlichen Gesprächen und anderswo die Proteste der letzten Monate als "Kasperltheater" und ähnliches verunglimpft haben. "Ich bin schon auch für gemütlichere Sitzbänke, aber so führt das doch zu nichts!" Danke, Ihr habt wirklich verstanden, worum es geht.
Ätz erst recht
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