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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

25. 12. 2009 - 17:17

Vic Chesnutt, 1964-2009

Der US-Songwriter fiel nach einem Selbstmordversuch ins Koma und verstarb einige Zeit später im Krankenhaus.

Update: Umgeben von Familien und Freunden verstarb Vic Chesnutt am 25. Dezember 2009 um 14:59 in einem Krankenhaus in Athens/Georgia. Chesnutt hinterlässt eine Frau, eine Schwester und neun Neffen und Nichten. Er wurde 45 Jahre alt.

Am frühen Morgen des 25. Dezembers berichteten bereits zahlreiche Medien vom Tod des US-Songwriters Vic Chesnutt. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür vorerst noch nicht, daher wurden die Meldungen korrigiert. Chesnutts Plattenfirma Constellation Records bestätigte lediglich, dass der US-Sänger im Koma lag.

Der Gesundheitszustand des Mannes aus Athens/Georgia, der seit seinem 18. Lebensjahr auf einen Rollstuhl angewiesen war, war mehr als kritisch, wie vor allem Freundin und Musikerkollegin Kristin Hersh auf Twitter berichtete.

Am Abend des 25. Dezembers bestätigten nicht nur Kristin Hersh, sondern auch Constellation Records den Tod des US-Sängers: Vic Chesnutt versuchte sich am Heiligen Abend mit einer Überdosis Schmerztabletten das Leben zu nehmen. Nachdem er ins Koma fiel, verstarb er einige Zeit später im Krankenhaus.

he's gone... so much to go away in a moment (Kristin Hersh)

Vic Chesnutt

ATC Lores

"But I'll soon be silent, you'll soon hear nothing"

Ich habe die Meldungen und Falschmeldungen den ganzen Tag verfolgt. Ich habe mich durch seine Songs gehört, von den spärlichen, von schwarzem Humor erfüllten Stücken auf "Little" bis hin zu den starken Hymnen auf "At The Cut". So etwas wie einen Nachruf zu schreiben, möchte ich mir nicht anmaßen. Ich kann jetzt bestenfalls meine Gefühle schildern.

Vic Chesnutt

Tina Chesnutt

Ich habe Vic Chesnutt Anfang der Neunziger wie so viele andere durch seine Verbindung zu R.E.M. kennengelernt. In der Musikszene im Universitätsstädtchen Athens/Georgia half man sich gegenseitig und Chesnutt war nach seinem folgenschweren Autounfall, seit dem er querschnittsgelähmt war, ein gebrochener Mann mit Alkoholproblemen. Er, der sich als kleiner Junge Gitarre und Trompete beibrachte, hatte bei seinem Unfall auch viel Kraft und Lebenswillen verloren. Michael Stipe nahm sich seiner an und produzierte Chesnutts Alben "Little" und "West of Rome". Unvergessen auch gemeinsame Duette wie "Injured Bird" (auf dem Soundtrack von Wim Wenders "The End Of Violence") oder "Guilty of Association" (auf Chesnutts "Is The Actor Happy?") und gegenseitige Coverversionen. Noch im April 2009 spielte Chesnutt bei einem Tributkonzert für die Band aus Athens: Gemeinsam mit Elf Power lieferte er die wohl zerbrechlichste und beste Version der Power-Ballade "Everybody Hurts", die mir je untergekommen ist.

Einer breiten Öffentlichkeit wurde Chesnutt 1996 durch das Tribut-Album "Sweet Relief II: Gravity Of The Situation" bekannt, auf dem eine beeindruckende Liste von Künstlern wie Madonna, Smashing Pumpkins, Soul Asylum, Live, Sparklehorse, Garbage und natürlich R.E.M. dem Meister ihre Ehre erwiesen. Danach folgten Zusammenarbeiten mit Regisseur Jem Cohen für die Viennale 2007, Giant Sand, Lambchop, Fugazi, Godspeed You! Black Emperor und Elf Power, mit denen er 2008 das beeindruckende Werk "Dark Developments" aufgenommen hat. Bis Anfang Dezember 2009 war Chesnutt sogar noch auf Tour gewesen.

"Oh death, really I'm not ready"

Dass Chesnutt immer mit Depressionen zu kämpfen und auch einige Suizidversuche hinter sich hatte, ist kein Geheimnis. Aber eigentlich war ich mir sicher, dass sein musikalischer Output (2009 veröffentlichte Chesnutt mit "At The Cut" und "Skinner On Take-Off" gleich zwei Alben), so melancholisch und fragil dieser auch war, immer auch Zeichen einer stabilen Seele war, die lieber ihre Risse mit Kunst verarbeiten wollte, als aufzugeben. Ich habe selten einen Musiker gesehen, der so vom Leben gezeichnet schien, aber trotzdem wahre Größe vermitteln konnte. Neue Songs wie "Flirted With You All My Life" bewiesen das eindrucksvoll.

Was hinter den Kulissen in Chesnutt vorging, kann niemand wissen. Bestätigt ist nur, dass Chesnutt ständig in Behandlung war. Auch angesichts der anstehenden Gesundheitsreform in den USA macht mich Chesnutts vor kurzem getätigte Aussage im Spinner Magazine, die auf eine Verschuldung hindeutet, traurig und wütend zugleich: "Right now, I'm in huge trouble in that the hospital is suing me for $35,000, which is terrifying, and the rub is that I have health insurance. I have hospitalization insurance, for which I pay almost $500 a month, and then on top of that I still owe the hospital $35,000. That is truly an insane system. I did everything right and I'm still under the gun."

Schon lange begleiten mich die dunklen, teils selbstzerstörerischen Kompositionen dieses Mannes. Seine zerbrechliche Physiognomie war mir dabei aber immer auch ein Sinnbild für das Über-Leben - die "Out of Body-Experience", wie er sie in "Supernatural" besingt. Nach seinem schweren Unfall war er immer noch da, auch wenn ein Strudel aus Krankheiten und Folgekrankheiten die eigene Existenz für einen selbst kaum greifbar machen können.

Nun aber ist er gegangen. Und so war es wohl sein Wunsch.