Erstellt am: 24. 12. 2009 - 16:52 Uhr
Offizieller Text zum heiligen Abend
Am Dienstag ereilte mich aus der Redaktion eine Mail mit der Bitte, ich möge für den heiligen Abend einen Aufsatz verfassen. Obwohl ich noch einen kritischen Essay über Estlands Außenwirtschaft im Spannungsfeld von Multi- und Bilateralismus oder eine knusprige Abhandlung über ismen-Konglomerate in der modernen Bildhauerei auf Lager gehabt hätte, konnte ich zwischen den Zeilen erkennen, dass dem Anlass würdige und rechte Zeilen begehrt werden.
Promt antwortete ich und sagte zu, einen Weihnachts-Text zu schreiben. Nur um bald darauf etwas ratlos einen Bildschirm mit einem leeren Dokument zu bestaunen und nicht den Dunst eines blassen Schimmers zu haben, was man zu diesem ‚Thema’ noch sagen könnte.
Der Herrscher und die Bürger
Stellen wir uns einen Herrscher in einem Land vor, das keine regelmäßigen Feiertage kennt. Die Bevölkerung erfährt stets einen Monat zuvor, was demnächst gefeiert wird und wie genau sie den Anlass zu zelebrieren hat. Einmal beispielsweise bestimmt der Herrscher, dass bald Regenfest ist, dazu müssen sich die Bürger einen Tag lang blaue Mützen aufsetzen und im Reigen tanzen, bis sie vor Erschöpfung umfallen, erst dann gibt es Kürbiscremesuppe und Wacholderschnaps. Die Bürger werden etwas verdutzt sein, aber mit zunehmender Freude tanzen und anschließend saufen. Ein andermal lässt der Herrscher den Tag der Tinte begehen und die Bürger haben von früh bis spät zu schweigen und Kürbiskuchen zu essen (Der Herrscher liebt Kürbis). Da werden die Bürger murren, weil sie doch zu gerne plaudern, aber der vortreffliche Kürbiskuchen mundet, man kaut also zufrieden und fügt sich.
Am Rande: Eine Wahlempfehlung für Martin Habacher, der Superpraktikant werden möchte.
Dann aber erlässt der Herrscher einen komplizierten Feiertag: In zwei Monaten sollen die bisher immer so fügsamen Bürger das sogenannte Weihnachtsfest feiern. Dabei sollen sie das Jubiläum der Highlights der christlichen Entstehungsgeschichte würdigen, ob sie nun daran glauben oder nicht. Bereits Wochen vor dem Fest wird alles, was nicht bei drei auf den Christbäumen ist, geschmückt, und zwar irgendwie, Hauptsache, die Dekoration glitzert, bewegt sich im Idealfall und ist golden, weiß oder rot. Aber grün und blau gehen auch. Die neue Kreation des Herrschers besagt weiters, dass man sich gegenseitig beschenkt, zumindest innerhalb der Familie. Die Geschenke werden in Papier gewickelt und üblicherweise am Festtag getauscht, manchmal aber auch schon früher, denn das Fest wird zuvor mehrere Wochen lang in Firmen und auf Partys detailgetreu simuliert, mit dem Unterschied, dass bei den Simulationen Beischlaf und körperliche Gewalt inkludiert sind. Kindern erzählt man, dass sie ihre Geschenke entweder vom sogenannten Christkind oder vom Weihnachtsmann erhalten, der wiederum dem Nikolaus ziemlich ähnlich sieht, welcher achtzehn Tage vor dem Fest den Kindern bereits Bonus-Präsente bringt.
Die Geschenke müssen alle Bürger gemeinsam an den drei Tagen vor dem Weihnachtsfest kaufen, dürfen sich über diesen Umstand aber maßlos aufregen.
Weiters muss jeder Bürger zwanzig Weihnachtslieder in der Landessprache bis zur dritten Strophe auswendig lernen und den Dance-Remix von 'Last Christmas' runterladen.
Die Supermärkte führen fünf Wochen vor dem Festtag ausschließlich süßes und sehr teures Gebäck oder die Zutaten, um ebenjenes selbst herzustellen. Zu trinken gibt es klebrigen, heißen Rotwein. Übelkeit und Überzuckerung sind die rasche Folge, was erst am sogenannten heiligen Abend durch eine Suppe mit Würsten gelindert wird.
Schließlich müssen die Bürger auch noch dekorierte Nadelbäume in ihren Stuben installieren, die erst entfernt werden dürfen, wenn sie sämtliche Nadeln verloren haben.
Nach diesem Diktat werden die Bürger den Herrscher erstmals in Frage stellen. Einzelne finden die Idee zwar schön, manche gar besinnlich, die meisten sind aber entsetzt ob der komplizierten Etikette, der horrenden Ausgaben und des wochenlangen Jochs.
Wir aber mussten oder durften die jährliche Vor-, Zwischen- und Nachweihnachtszeit schon immer absolvieren. Weihnachten als Thema sollte also langsam durch sein. Denn es ist jedes Jahr das selbe.
Die nassen Browns
Wer mit einer liberalen Familie gesegnet ist oder stur, kann Brauchtum einfach ignorieren und sich Gehaltvollerem hingeben. Wer Weihnachten nicht feiert, braucht sich nicht länger darüber zu mokieren. Neurologisch sollte es möglich sein, ein paar Fernseh-Reklamen, Maroni-Stände und Schaufenster-Verunstaltungen gleichmütig zu ignorieren.
Macht man die ganze Sause allerdings mit, möge man sie nach den persönlichen Vorstellungen und Wünschen gestalten und hat ebenso keinen Grund zur Beschwerde.
Dass „Weihnachten nur mehr Kommerz sei“, ist freilich eine Feststellung ersten Qualitätsranges. Auch ich prangere diesen Umstand jährlich in der Hoffnung an, der Saturn würde endlich mal Einsicht zeigen und im Dezember zusperren. Er wird es allerdings ganz sicher nicht tun.
Man muss ja nicht am letzten „Einkaufssamstag“ vor dem heiligen Abend die Mariahilfer Straße aufsuchen. Wie ich es zu tun pflege.
Verlässlich habe ich jedes Jahr im August herrliche Einfälle, was ich den Menschen in meinem näheren Umfeld schenken könnte. Im Laufe der kaltwarmen Jahreszeit (Herbst) vergesse ich dann alles wieder, warte bis Mitte Dezember und spüre dann einen gewissen – es folgt das Unwort des Monats Dezember – Stress. Am letzten Einkaufssamstag verfalle ich traditionell einem äußerst idiotischen Trugschluss, den mein Hirn etwa wie folgt formuliert: „Die anderen Leute denken ja auch, dass da jetzt total viel los ist und gehen deshalb sicher alle nicht hin.“
Es gehen so viele Leute ‚hin’, dass sich in einer Buchhandlung ein den ganzen Boden bedeckender, schuhsohlentiefer, brauner See aus den vielen ins Geschäft getragenen Schneeresten bildet. Eine Konsumentenarmee bedrängt das unterbesetzte Personal („Meine Nichte liebt Pferde und singt gerne, haben Sie da was Passendes?“). Ich bleibe erst einmal in der riesigen Pfütze stehen, vor mir der Bestseller-Tisch. Man müsste ihn einfach umwerfen und sämtliche Dan Browns in den Schneeschmelz kippen. Macht man aber nicht, sondern kauft Geschenke.
Geschenke haben folgende Kriterien zu erfüllen:
1. Teuer, zumindest ein bisschen: Wer seine Mitmenschen liebt, gibt auch gerne ein bisschen Geld für sie aus. Aber nicht zu viel, sonst haben sie ein schlechtes Gewissen.
2. Nützlich, sehr sogar: Die Jubel über Ton- oder Textträger, Eintrittskarten und Geräte hallt lauter als die Dankesworte für beklebte Kalender oder den zwölften Setzkasten.
3. Geschmack: Dem eigenen folgen, der ist meistens besser, und was der Beschenkte gut findet, hat er ja hoffentlich schon.
Was Sie heuer bekommen oder verschenkt haben, möchte auch dieses Jahr wieder Hermes wissen.
Als Diskussions-Initiierungs-Animation für nachfolgenes Forum mögen folgende Fragen dienen:
- Wir alle hatten schon im Schwimmbad und im Gesträuch Sex. Aber hat vielleicht dieses Jahr jemand Weihnachten an einem ungewöhnlichen Ort gefeiert?
- Gibt es Leser, die heuer hübsche Baum-Dekorations-Innovationen gefunden haben?
- Wer hat kein einziges Geschenk bekommen und traut sich deshalb nicht, bei Hermes zu posten?
- Bin ich der einzige Sohn mit Gitarre auf diesem Erdenrund, dessen Mutter sich verlässlich jedes Jahr darüber beschwert, dass ich 'Stille Nacht' zu schnell spiele? Sie wäre wohl erst bei drei bpm zufrieden.
- Was heißt Sonnenuntergang eigentlich wirklich auf Finnisch?
- Und wie war der heilige Abend sonst so?