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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

23. 12. 2009 - 19:54

Journal '09: 23.12.

Wie der Vater sein. Nicht wie der Vater sein. Eine alte Familien-Geschichte.

Ja, heute bin ich bewusst vage und andeutungshaft. Das hat damit zu tun, dass es rein gar nicht um die Geschichte hinter der heute aufgeworfenen Grundfrage geht (die werde ich in einem anderen, gebührlicheren Rahmen schon noch erzählen), sondern um die Begleitumstände und die Fragen, die die aufwerfen.

Mein Vater hat gestern einen Brief bekommen, von einer deutschen Filmfirma, einer seriösen, die für die öffentlich-rechtlichen Stationen Portraits fertigt.
Der Mann, dessen Biografie diese Menschen aufbereiten wollen, war ein großer Star der 60er und 70er und ist lange tot.
Mein Vater spielte in diesem Leben eine kleine Nebenrolle. Er half dem Prominenten mit einer Zeugenaussage aus einer Bredouille.

Diese Episode findet wohl aus zwei Gründen ihren Weg in diese Doku: weil sie damals in den 60ern kurzzeitig und unter Bemühung des Boulevard hohe Wellen geschlagen hatte und auch weil sie recht prototypisch an deutschen Grundproblemen dieser Zeit kratzte.

Wir kennen diese Familien-Story.
Mein Vater hat sie oft genug erzählt.
Sie ist auch ausführlich dokumentiert, auch in der Biografie des Akteurs.

Vor die Kamera will er aber nicht, mein Vater.
Er hat sich gewappnet, meine Mutter, meine Schwester und mich instruiert, was wir sagen sollen, falls diese Filmfirma sich meldet. Ich glaube, er würde bis hin zur Alzheimer-Simulation gehen, um sich zu entziehen.

Sich entziehen.

Ich versteh das.
Einerseits.
Andererseits aber auch wieder nicht.

Gut, ich bin nicht wie mein Vater.
Obwohl: Manchmal schaut er mich im Spiegel an, nach dem Aufstehen. Manchmal zucken seine Gesten durch meinen Körper, manchmal verlassen seine Sprüche meinen Mund, manchmal tritt seine Körpersprache aus mir heraus.
Manchmal passiert mir das aber auch mit meiner Mutter oder anderen frühen Einflussnehmern in meinem Leben.

Ich will mich auf folgenden Kompromiss einigen: Ich kann seine Beweggründe nachvollziehen, würd' es aber selber anders machen.
Weil ich an die Möglichkeit der Selbstbestimmung in den Medien glaube.
Er nicht.

Damals, Mitte der 60er, als der Fall schlagend wurde, als der Prominente die mediale Sau war, die vom Boulevard durchs globale Dorf getrieben wurde, da hat mein Vater Bekanntschaft damit gemacht.
Mit dem englischen Boulevard, aber auch mit den deutschen Illustrierten.

Vor der Haustür standen sie, in der Hoffnung etwas abseits der offiziellen Bekanntgabe zu hören oder gar eine Exklusiv-Geschichte abzugreifen. Und auch wenn es vergleichsweise die Seriösen, also Spiegel und Stern waren: Meinem Vater graut heute noch davor. Und meine Mutter assistiert ihm da heftig. Nicht nur weil die Meute versehentlich meine zu Besuch kommende Patentante verfolgt hat.

Die Arbeits-Praxis der Medien

Nicht dass er medientechnisch ein naiver Mensch wäre, im Gegenteil: Mein Vater arbeitete in der Druckerei-Branche, die Arbeitspraxis der Medien war ihm vertraut.

Vielleicht blockt er auch heute noch genau deswegen.
Denn wenn er, der Entlastungszeuge, der für den Prominenten eintrat, der sich in einen Wirbel geredet hatte, heute - also über 40 Jahre später - etwas abschwächt oder neu bewertet, auch nur eine Nuance wechselt, dann kann das zu etwas aufgeblasen werden, was keiner will. Am wenigsten er.

Denn so, wie die Sache aktuell in den Archiven steht, so passt sie, so halbwegs. Viel näher ran an die Wahrheit geht es nicht, ohne geschmäcklerisch, haarspalterisch oder absurd zu werden und ohne auf scheinbar unwichtigen Details zu beharren.
Dazu ist der historische Kontext heute schon zu wenig nachvollziehbar.

Dafür ist auch die Wahrnehmung zu unsicher.
Die Wahrnehmung eines Kindes, das mein Vater damals war, nicht in den 60ern, sondern in der unseligen Zeit weit davor, die dem damals noch nicht berühmten Mann dann später auf den Kopf zu fallen drohte.

Nun wäre ein solches Zeitzeugen-Gespräch natürlich auch der Ort, um diese Zusammenhänge sinnhaft aufzuklären.

Aber daran glaubt mein Vater nicht.

Dreckwerfen im Boulevard

Damals, in den 60ern, haben ihn sowohl die unseriösen als auch die seriösen Medien mit falschen Daten und Zuschreibungen behängt. Oft nicht einmal böswillig: aber wenn etwas in einen Story-Zusammenhang passte, dann wurde es einfach nicht überprüft.
Und sich dagegen zur Wehr zu setzen, das war im Ansatz zum Scheitern verurteilt. Denn jeder, der in einer Boulevard-Geschichte, in der's in erster Linie ums Dreckwerfen geht, mitspielt, wird angepatzt. Auch der, der die Story auflöst - manchmals sogar bewusst der. Und natürlich malt einer vom anderen ab, bleibt das Halbgare dann so stehen.

Deswegen will er nicht, mein Vater.
Will nicht durch einen falsch aufgefassten Halbsatz eine eh schon sehr verworrene Geschichte unnötig verkomplizieren.
Hat nach den 60ern immer alles abgeblockt, was mit dem Fall zu tun hatte.
Silencio Stampa.
So gesehen ist er konsequent.

Und er hat im Falle seines Nicht-Glaubens daran, dass sich medial eine komplexe Geschichte so erzählen lässt, dass alle Schattierungen zutagetreten, dass es keine einfachen Erklärungen oder leicht zu erkennende Gute und Böse gibt, wohl recht.
Das geht sich auch im Qualitäts-Journalismus (und ich habe wohl alles ausgehoben, was es zum Thema gibt, und da sind auch die Branchen-Leader dabei) nicht aus, weltweit und bei den allerbesten Adressen. Dazu ist die Beobachtung der Geschehnisse auch dort deutlich zu flach.

Ich könnte meinem Vater jetzt, rund um die Feiertage erzählen, dass es vielleicht eine Möglichkeit gibt, in der man sowohl die Kontrolle behalten, als auch einen geeigneten Ausspiel-Platz finden kann, mitten in den neuen Medien, z.B. hier.
Einmal sehen, was er sagt.