Erstellt am: 22. 12. 2009 - 18:14 Uhr
Ein Nachmittag im Laura Gatner Haus
FM4 unterstützt dieses Jahr das Laura Gatner Haus, ein Heim für unbetreute minderjährige Flüchtlinge
Alle Infos unter fm4.orf.at/lichtinsdunkel
Es ist nicht ganz einfach, das Laura Gatner Haus zu finden und das ist wahrscheinlich gut so. Ich habe mich verfahren, muss knapp eine Stunde auf meinen Zug zum Umsteigen warten. Zwischenzeitlich habe ich gar keine Ahnung mehr, in welchem Teil von Niederösterreich ich mich eigentlich befinde und fühlte mich verloren. Vielleicht ist das ansatzweise auch das, was in den minderjährigen Flüchtlingen, die hier heraußen leben, vorgeht. Nur dass ich jederzeit in den Zug einsteigen und wieder nach Hause fahren könnte.
Ich frage mich, wieso das Heim so weit weg von Wien liegt. Aber der Abstand von der Großstadt bietet eben auch Schutz und Sicherheit. Oder das Gefühl von Sicherheit. Jedenfalls empfinde ich das so bei meiner Ankunft. Man glaubt sich hier gut versteckt und fühlt sich geborgen in der Kleinstadtidylle, in die das Heim eingebettet ist. Schon beim Aussteigen am Bahnhof, den ein kleines Holzhäuschen und Blumentöpfe mit winterfesten Pflanzen zieren.
Ein schwerer Nebelmantel liegt in der Luft, die Straßen in Hirtenberg sind leer. Ein, zwei Autos fahren an mir vorbei. Ich stapfe durch den Schnee, ein paar Minuten später bin ich angekommen beim Laura Gatner Haus.
FM4/ Alexandra Augustin
Ich will einen Radio-Beitrag über das Haus machen, deshalb hat es mich herverschlagen. Immerhin wollen wir ja möglichst viel Geld für die Jugendlichen sammeln. Heutiges Thema: "Atelierarbeit". Ich soll im hauseigenen Mal- und Bastelraum vorbeischauen, Interviews mit den Jugendlichen machen und die Betreuer befragen, was sie den den ganzen Tag hier so tun.
Ich fühle mich unwohl bei diesem Gedanken. Denn ich weiß, die meisten werden meine Sprache nicht sprechen und ich auch nicht die ihre. Der Gedanke, eine handvoll Jugendlicher, die eine monatelange, beschwerliche und traumatische Flucht hinter sich haben, zu ihren bunten, kleinen Bastelein zu befragen, scheint mir trivial und oberflächlich. Ich bin unsicher.
FM4/ Alexandra Augustin
Das "Atelier" entpuppt sich als klitzekleiner Zubau neben dem Wohnhaus für die über 40 Jugendlichen. Gerade zweimal so groß wie das Badezimmer in meiner 1-Zimmer-StudentInnen- Wohnung. Es ist kalt, geheizt wird mit einem kleinen Elektroofen. Trotz des Platzmangels sind die Wände vollgehängt mit bunten Bildern. Einige zieren fremd wirkende Landschaften, auf anderen bilden Farbflächen und Tiere wohl sowas wie Flaggen.
"Sie malen was sie kennen", erklärt mir Franziska, eine der Sozialarbeiterinnen im Laura Gatner Haus. Erinnerungen an die zurückgelassene Heimat finden auf die Leinwände und lindern das Heimweh. Und einer der Flüchtlinge der besonders gern und gut malt, hat vor kurzem sogar die Aufnahmsprüfung für die Angewandte in Wien geschafft.
FM4/ Alexandra Augustin
Farbtuben und Töpfe, Federn und Perlen. Alles liegt kreuz und quer im Raum verstreut. Im Atelier sind heute Samuel und Amir aus Afghanistan und Anot aus Somalia am Basteln und Bemalen von Gipsmasken.
FM4/ Alexandra Augustin
Die Stimmung ist weitaus heiterer als ich sie mir erwartet hätte. Bevor jeder die nassen Gipsbandagen ins Gesicht bekommt, wird er dick mit Fettcreme eingeschmiert. "Damit die Haare nicht mit dem Gips verkleben, denn das abziehen tut ziemlich weh!", meint Simone. Das macht natürlich einen Riesenspaß, die Jungs bewerfen sich gegenseitig und die Sozialarbeiterinnen mit weißer Fettcreme und Gips und Anot amüsiert sich über sein nun weißes Gesicht.
Anot hat schon öfters Masken gebastelt, aber nicht aus Gips, sondern aus Metall. Denn in seiner Heimat lernte er Goldschmied, erzählt er. Er freut sich trotzdem darüber, sich nun hier eine Maske aus Gips basteln zu dürfen. Denn die Zeit im Atelier ist für Jugendliche wie Anot eine wichtige Abwechslung im oft recht tristen Alltag.
"Man hat hier ein paar Stunden, in denen man sich treiben und gehen lassen kann, ohne sich mit dem Alltagsschrott auseinandersetzen zu müssen. Einfach tun und abschalten".
FM4/ Alexandra Augustin
Die Schule, Deutsch lernen, das Haus aufräumen, das Verarbeiten der Erinnerungen und vor allem die ewige Angst, nicht in Österreich bleiben zu dürfen, fressen den Großteil der Zeit und Energie der jungen Männer auf. Stunden wie diese werden deshalb zu einer richtigen, kleinen Party.
Am Ende des Basteltages ruhen ein paar fertige Masken in einem Regal neben unfertigen, getöpferten Bechern und Vasen. Wann die fertig werden, weiß wohl niemand so recht, denn den alten Brennofen im Eck kann niemand hier bedienen. Der einzige Sozialarbeiter der das konnte, arbeitet mittlerweile nicht mehr im Haus.
"Es ist nicht einfach Pinsel, Leinwände und Bastelsachen zu kaufen, die sind teuer. Aber das schönste wäre, wenn jemand der sich auskennt und künstlerisch begabt ist, bei uns im Haus vorbeischauen könnte und mit den Jungs einen Workshop macht.", erzählt Simone.
FM4/ Alexandra Augustin
Nach ein paar Stunden ist Abendessenszeit, die Jugendlichen gehen wieder zurück ins Haus, Simone und Franziska räumen den Raum auf. Ich verabschiede mich und versuche meinen Weg nach Wien zu finden.
Knapp eine Stunde werde ich mit dem Zug nach Hause brauchen. Und ich frage mich am Heimweg, wieviele Stunden wohl die Flucht der Jugendlichen gedauert hat, bis sie hier angekommen sind. Stunden? Tage? Wochen?
Aber vor allem: Diese Flucht ist noch nicht vorbei. Denn ob sie in Österreich sowas wie ein neues Zuhause finden werden, wird sich erst im jeweiligen Asylverfahren weisen. Und die können bis zu 10 Jahre dauern.