Erstellt am: 23. 12. 2009 - 13:24 Uhr
Audimaxismus und der Glaube an die Mündigkeit
Auf dem Weg zum Minister erkundigt sich die voranschreitende Abgeordnete des niedersächsischen Landtags, ob wir denn einen Fotoapparat mitgenommen hätten. So ein Treffen müsse man schließlich festhalten. Wir verneinen und blicken uns fragend an. Die besondere Dokumentationswürdigkeit eines simplen Dialogs mit einem gewählten Volksvertreter mag sich nicht erschließen.
Kurz darauf werden Hände geschüttelt und wird Platz genommen. Auf ausladenden Lederbänken sitzen fünf Studierende der Universität Osnabrück dem niedersächsischen Minister für Forschung und Kultur, dessen Büroleiter für Hochschulwesen sowie zwei nicht weiter in Erscheinung tretenden Mitarbeiterinnen gegenüber. Anlassfall und Katalysator des Treffens sind die flächendeckenden Studierendenproteste, konkretes Ziel ist das Gespräch selbst. Weder ist Presse anwesend, noch gilt es, wie auch immer geartete Verhandlungen zu führen. Ich freue mich darauf, einen Menschen, der Studiengebühren eingeführt hat und Zugangsbeschränkungen für unabdingbar hält, anderslautenden Meinungen aussetzen zu können. Ob und worauf sich der Minister freut, vermag ich nicht zu beurteilen.
Alle schwarz umrandeten Fotos von robinfeder.
robinfeder
Das Gespräch verläuft unaufgeregt höflich. Inhaltlich wird viel geredet, meist jedoch aneinander vorbei. Der Minister fühlt sich sichtlich wohl mit seinen Entscheidungen und Ansichten, seinem Wertekanon. Mehr Geld für Universitäten wäre wünschenswert, scheitere jedoch an realpolitischen Widrigkeiten. Ein vernünftiger Studienbetrieb könne ohne Zugangsbeschränkungen nicht gewährleistet werden, während Studiengebühren angesichts fairer Kreditmöglichkeiten sicherlich keine Hürde darstellten. Die altbekannten Argumente gewinnen im privaten Rahmen zwar an Authentizität, nicht jedoch an Strahlkraft.
Nach etwa einer Stunde drängt ein ruheloser Sekretär in das Geschehen und informiert seinen Chef, dass er alsbald andernorts erwartet werde. Der Minister hält kurz inne, um danach hektisch aber bestimmt abzuwimmeln: "So lange es geht, bleibe ich noch hier. Das ist mir wichtig."
Ich frage mich wieso und habe plötzlich den bestimmten Eindruck, nicht besonders ernst genommen zu werden. Bei der folgenden Verabschiedung wirken die Herren Entscheidungsträger eigentümlich gut gelaunt. Mehr, als hätten sie gerade der Eröffnung einer karitativen Einrichtung beigewohnt, denn einer ernsthaften politischen Debatte.
Das große Plenum
Drei Tage später, es ist der 28. November, sitze ich im Audimax der Ludwig-Maximilians-Universität München, mitten im regen Treiben des ersten internationelen Vernetzungstreffens der ungehaltenen Studierendenschaft. Dem Vernehmen nach sind über 500 BesetzerInnen von 40 Universitäten aus 6 verschiedenen Ländern angereist und es tut richtig gut, sich in dieser Menge an Gleichgesinnten zu verlieren. Ein Teil der lokalen Arbeitsgruppe Inhalt berichtet von den bisher fruchtlosen Anstrengungen, ihr umfangreich ausgearbeitetes Positionspapier durch das Plenum zu bringen, während ein sympathischer Innsbrucker den zuckersüßen Verhandlungsstil seines Rektorats beklagt. Beides Dinge, die mir aus eigener Erfahrung nur allzu wohlbekannt sind.
Cat Spangehl
Mindestens genauso schön wie angenehm vertraut klingende Geschichten aus dem Nähkästchen ist der Akt des gemeinsamen Besetzens an sich. Der eindrucksvolle Lichthof im Hauptgebäude der LMU München ist dem kreativen Chaos anheim gefallen. In jeder Blickrichtung eine spektakuläre Werkschau liebevoll bemalter Transparente und Plakate, die Statuen der beiden Namensgeber stilvoll mit Eselsmützen und Halstüchern verunstaltet. Und auch wenn ein Vergleich nie und nimmer angebracht wäre, an jenem Ort, wo vor knapp 70 Jahren die Geschwister Scholl Flugblätter gegen den Faschismus verteilten, in hippieesken Sitzkreisen die Stimme gegen die Bildungsmisere zu erheben, verbindet die Gemüter.
Eine fast vollendete Besetzungsromantik also, wäre da nicht die Sache mit der inhaltlichen Arbeit. Abgesehen von einer kurzen - je nach Thema mehr oder minder produktiven - Phase in sehr spontan organisierten Arbeitsgruppen am Samstagnachmittag, wird eine solche nicht betrieben. Stattdessen diskutiert man im großen Plenum bis weit nach Mitternacht ausschließlich Formales. Wer ist legitmiert zu moderieren und welche Kompetenzen besitzt man in dieser Funktion? Dürfen Fotos gemacht werden, und wenn ja, gibt es "geschützte Zonen" und wie sieht es dann mit Filmmaterial aus? Wird Englisch gesprochen oder Deutsch, oder Deutsch mit Übersetzung oder überhaupt alles zusammen? Zwischendurch noch allfällige Genderdebatten und unzählige Rettungsversuche der Marke "Wir müssen jetzt endlich beginnen zu arbeiten, und weil ich das sage, passiert das jetzt auch!".
Gegen zwei Uhr morgens schließlich beginnt das Feuer für Formalismus zu erlöschen und das Plenum kippt zusehends in Richtung Psychohygiene. Immer mehr Wortmeldungen beschäftigen sich mit dem Umstand, dass in dieser fast 12-stündigen Marathonsitzung zwar nichts, aber auch gar nichts erreicht wurde, all die mühseligen Diskussionen rund um Wesen und Struktur des Plenums jedoch basisdemokratisch - und somit für die Bewegung - notwendig und gut waren.
Und plötzlich wird mir klar, dass nicht nur die Politik den Standpunkt der Studierenden nicht sonderlich ernst nimmt. Umgekehrt dürfte es noch bei weitem schlimmer sein.
Cat Spangehl
Die Glaubensfrage
Von Wien bis Potsdam ist das unbedingte Bekenntnis zur - im besten Falle konsensbasierten - Basisdemokratie ein roter Faden dieser Protestbewegung. Eher wird stundenlang mühsamst über Abstimmungsmodi und Verfahrensfragen diskutiert, als durch die Ernennung von Führungskräften beschleunigt Ergebnisse herbeizuführen. Rudi Dutschke hat ausgedient, sozusagen. Wie man aus solch einem Umfeld kommend Minister, Kanzlerinnen oder Abgeordnete, die dieses ungeliebte System der Repräsentation meist bar jeder Demut offen machtverliebt in vollen Zügen leben, wirklich ernst nehmen soll, entzieht sich meiner Kenntnis. Mir selbst jedenfalls fällt es zusehends schwerer.
Umgekehrt sollte es nicht weiter verwundern, dass die arrivierte politische Kaste mit einer Studierendenschaft, die sich selbst allen Bestrebungen nach Personalisierung und hierarchischen Strukturen so konsequent verweigert, nicht viel anzufangen weiß. Schließlich sind dies genau jene Konzepte, durch die all die Minister, Kanzlerinnen und Abgeordneten erst sind, was sie sind.
robinfeder
Die augenscheinlichen Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Protestierenden und den Adressaten ihres Unmuts liegen also noch vor den konkreten inhaltlichen in entscheidenden weltanschaulichen Differenzen begraben. Wer Basisdemokratie auch nach der 35. langatmigen, ergebnislosen Plenumssitzung mit Zähnen und Klauen verteidigt, glaubt unweigerlich an die Vernunft und Mündigkeit seiner Umgebung. Ein Glaube, der in der derzeit in Österreich gelebten Variante repräsentativer Demokratie keine große Rolle spielt. Die VertreterInnen und WählerInnen jeweils anderer Fraktionen, sowie die BürgerInnen im Allgemeinen für dumm zu verkaufen und noch dümmer zu halten, gehört hierzulande zum täglichen Geschäft.
Dieses tiefgreifende Misstrauen gegenüber den zu vertretenden BürgerInnen äußert sich nicht zuletzt in einem Hochschulsystem, das seinen TeilnehmerInnen offensichtlich jede Kompetez und Mündigkeit, sich selbstbestimmt und frei in diesem zu bewegen, abspricht. So sind das konsequente Kaputtsparen der heimischen Universitäten, die rigide Einführung der beengenden Bachelor-/Masterstudiengänge oder die bewusst in Kauf genommene Präkarisierung wissenschaftlichen Personals allesamt Zeugnisse einer umfassenden Geringschätzung.
robinfeder
Dass eine Vielzahl der Studierenden hier nun eine Trendwende und damit einhergehend ausführliche Investitionen fordert, entspringt also nicht zuletzt ihrer in den vergangenen Monaten gelebten Überzeugung von einem vernunftbegabten, mündigen Menschen, der ein hochentwickeltes, freies und unbeschränkt zugängliches Hochschulwesen nicht nur wert ist, sondern geradezu benötigt. Wenn maximal von sich selbst überzeugte PolitikerInnen hierfür nicht mehr als ein verständnisloses, müdes Lächeln aufbringen können, soll das nicht weiter verwundern oder stören. Wir haben Zeit.