Erstellt am: 22. 12. 2009 - 12:44 Uhr
Decemberlist, Zweiundzwanzig
Das ist die Decemberlist
24 Stücke Musik, täglich eines, den ganzen Dezember über, vorgestellt von FM4 MusikjournalistInnen und Webhosts. CDs, die während des Jahres die FM4 Musikredaktion passiert haben und die für uns von Bedeutung waren. Zum Schenken und Beschenktwerden. Von Indie Pop bis Rare Groove, von dänischem Metal bis österreichischem Songwriter Pop.
Der Versuch, das weite Feld der elektronischen Tanzmusik in Richtung Jazz auszudehnen, versandet nicht selten im alles und jeden weichkochenden und gleichmachenden Milchschaum des Milchkaffees. Selbst schon eine zum Klischee erstarrte Haltung, sicherlich, das Jammern über sanftmütig pulsierenden Downbeat, angereichert durch ein "gefühlvoll", mit nach vorne gedrücktem Becken angeblasenes Saxophon, das eine "Jazziness" nur darstellen will, als Soundtrack für die Boutique und die erotisch aufgeladene Detektiv-Serie der Kategorie D, als bedeutsamkeitsstiftende Beiläufigkeitstapete fürs französische Rauchen und intellektuell Dreinschauen. Das waren die 90er und sind es oft immer noch.
Circus Company
Das Pariser Label Circus Company, das sich in krakeliger Schrift mit fettem Edding primär "House" auf die von Anfang an schon leicht abgewetzten Fahnen geschrieben hat, begreift Jazz - so wie es eben sein soll - nicht als das Wiederkauen altbekannter Muster zum Zwecke des Abrufens altbekannter Reaktionen, zum Abholen größtmöglichen Publikums, sondern als zwingendes Portal zur Improvisation, als die Notwendigkeit von Humor, als Freibrief dafür und auch als Verpflichtung dazu, jetzt dann doch noch das Unerwartete aus der Hi-Hat zu kitzeln und aus der Posaune zu blasen, die eigenen Produktionen zu biegen, beugen und im Anflug kompletter Schabernackbefallung dann und wann auch völlig zu pulverisieren.
Noze
Seit 2001 veröffentlicht das von dem Produzenten und DJ Sety und dem Wahnwitz-Duo Nôze betriebene Label Circus Company irrlichternde Dada-Elektronik für die Tanzdiele, die sich weder der Formelhaftigkeit ergibt, die Dancemusic nun mal so mit sich bringen kann, noch auf dem heiligen Ernst des Muckertums in den Club reitet.
Marco Dos Santos
Im Oktober ist die erste Compilation des Labels überhaupt erschienen, und - als wäre eine Werkschau ältere Stücke von Circus Company, zum Wiederentdecken und Neufinden, zum Erinnern und Aus-den-Socken-Kippen, nicht Anlass genug zur Freude - sie erschlägt uns auf Doppel-CD mit 21 komplett neuen, exklusiven, zuvor noch nie veröffenlichten Tracks. Plus einem einzigen, bereits schon einmal erhältlichen Stück. Wirrkopf Ark, die famose Live-Housemusik-Dreimann-Kapelle dOP, der großartige Dave Aju, der dereinst schon einmal ein fast ausschließlich auf den Sounds seiner Mundhöhle basierendes Album veröffentlicht hat, die Hausherren Sety und Nôze selbst, sowie Berliner Verbündete wie Audio Werner oder MyMy enfalten auf der treffsicher "Snuggle & Slap" betitelten Zusammenstellung ein nach allen Regeln der Kunst flashendes Panorama der Verstrahltheit.
Auf CD1, "Snuggle", geben dich die Musikanten kuscheliger, sie surren, brummen und rattern, arbeiten - für Circus Company eher ungewöhnlich - verstärkt der Hängematte zu denn dem Dancefloor. So gilt es hier ambientöses Blubbern zu erleben, elastische Pop-Songs samt Anti-Gesang, Zirkus-Musiken, verschrobene Piano-Miniaturen, Ziehharmonika-Quatsch, mit Spaß betankte Minimal Music und zirpende Elektronika.
Sety
CD2, "Slap", drückt uns dann mit einem saftigen Klatscher auf beide Wangen mit Nachdruck auf den champagnerlaunig sprudelnden Dancefloor. Hier regiert vornehmlich wie zärtlich die gerade Bassdrum, nicht aber ohne dabei von den für Circus Company typischen Störgeräuschen und Ablenkungsmanövern durchkreuzt zu werden, wiederum von allerlei Getröte und Gebläse, von krautigem Geklopfe und Geklöppel, verwirrten Gesängen und in den Mix geschnittenen Sprach-Samples, Umwege, Abkürzungen und Sprünge durch Raum und Zeit, um bei einem fünfmal durch den Häcksler geschickten Stotter-Funk anzukommen, bei der eigentlich einzig wahren Begleitmusik für die wochenendlichen Autodrom-Abenteuer, bei einer blinkenden House-Musik, die so schmeckt wie pinke Ananas-Bowle, die schmeckt.
Circus Company
Mit so betont greller Krawallo-Musik wie beispielweise Ed Banger oder Kitsuné hat Circus Company dabei aber ebensowenig zu tun wie mit dem dieses Jahr endgültig überstrapazierten Hitbastelmodell, nach dem aber auch wirklich so ziemlich jeder zweite Dance-Track mit einem Volksmusik / Balkan / Ethno / Jazz-Sample ausstaffiert werden muss, mit Tubas, Flöten und Akkordeon, nein, Circus Company ist das Jonglieren von filigranem Kunsthandwerk und blöden Ideen, immer wieder fällt ein Ball runter, nie geht es um das Ausstellen von geilen Schauwerten. "Snuggle & Slap" ist die vielseitigste, tatsächlich aufregendste und bescheuertste Compilation für elektronische Musik (im weitesten Sinne) des Jahres. Und wenn in einem Track dann und wann mal völlig out of tune gepfiffen wird, kann daran ja wirklich auch kaum was verkehrt sein.