Erstellt am: 21. 12. 2009 - 15:55 Uhr
Decemberlist, Einundzwanzig
Das ist die Decemberlist
24 Stücke Musik, täglich eines, den ganzen Dezember über, vorgestellt von FM4 MusikjournalistInnen und Webhosts. CDs, die während des Jahres die FM4 Musikredaktion passiert haben und die für uns von Bedeutung waren. Zum Schenken und Beschenktwerden. Von Indie Pop bis Rare Groove, von dänischem Metal bis österreichischem Songwriter Pop.
Ein nervös zappelndes Streichersample führt uns in die grelle, verschrobene Klangwelt von Kissy Sell Out, einem leider zu Unrecht hierzulande unbekannten Multitalent. Denn Thomas Bisdee alias Kissy ist nicht nur DJ, Host bei BBC Radio 1, Produzent und Musiker, sondern auch als Grafikdesigner tätig. Mit "Youth" hat er dieses Jahr ein Debüt präsentiert, ein herrlich verschrobenes, liebenswertes, spannendes und gewagtes Sounduniversum, in dem jeder etwas für sich entdecken kann.
The Culture Of Me
Essex Boy
Mit quirligen Beats und naiver Synthiemelodie erinnert sich Kissy in dem Song "Essex Boy" an seine Jugend in Colchester, die von den üblichen, adoleszenten Spielchen dominiert war. Als stimmlicher Vertreter erzählt Sänger Danimal Kingdom von Teenager-Verliebtheit, den ersten Parties und damit einhergehendem social misbehaviour. Weitaus wichtiger sind zu dieser Zeit jedoch Kissys musikalische Interessen, die bis heute noch in referenziellen Spuren auf seinem Debüt zu finden sind. Ein Track wie "Go Explode" mit seiner überdrehten Baseline, den stolpernden Drums und einem kurzen, aber irrwitzigen Synthiesolo wirkt so, also hätte Kissy die Platten von Nirvana, Aphrodite, Swans, Felix Da Housecat und John Martyn, die Lieblinge seiner Kindheit, zugleich abgespielt.
This Kiss
Ray Burmiston
Der Central Saint Martins Art College Absolvent Thomas Bisdee würde sich selbst eher als DJ und Produzent bezeichnen, denn er scheint seine Designerambitionen zurückgeschraubt zu haben. Schließlich hat der Erstling "Youth" ein komplettes Jahr in Anspruch genommen, bis die elf Songs im Kasten waren. Gründe dafür sind zum einen die hörbare, detailverliebte Verspieltheit, die Kissy bei jedem Track an den Tag legt. Manchmal unter den digitalen Rhythmen versteckt, manchmal wie eine riesige Leuchtschrift flirren Keyboardmelodien durch seine bizarre Elektrowelt, die sich gern im Ohr festhaken und sich nicht selten in unbewusstem Pfeifen ihren Weg aus dem Kopf nach draußen bahnen.
Zum Anderen wird hier nicht ausschließlich virtuell produziert. Neben Sänger Danimal Kingdom ist meist auch Schlagzeugerin Sarah Jones im Studio und auf der Bühne dabei, die durch ihren eleganten Groove dem synthetisch erzeugten Klanggewitter eine willkommene Prise Menschlichkeit einstreut. Ein Beweis dafür ist die erste Single "This Kiss", an der man nicht nur aufgrund des eingängigen Refrains, sondern auch wegen des coolen Beats von Jones nicht vorbei kann.
Außerdem ist Kissy Sell Out recht arbeitswütig. Schließlich hat er schon unzählige Remixe für die unterschiedlichsten Künstler angefertigt. Die Liste der neu interpretierten Artists reicht dabei von The Human League, über Mark Ronson, Groove Armada und Datarock bis zu R.E.M. und den All Saints. Nicht zu vergessen die unendlich vielen DJ Shows, die Thomas Bisdee um die ganze Welt führen, die sicher auch den Arbeitsprozess in die Länge gezogen haben.
Pop Bottle
Die Geschwindigkeitsgrenze von 128 BPM wird auf "Youth" nie unterschritten, wobei die Nadel des Volumereglers dabei meist auf Anschlag ist. Kissy Sell Out hat ein eindeutiges Partydebüt abgeliefert, das die winterliche Kälte außen vor lässt, während im Club zu den treibenden Tracks der Schweiß von der Decke tropft.
Kissy Sell Out
Immer wieder sind es die schrägen und doch sehr lustig wirkenden bearbeiteten Gitarrenlinien wie am Anfang von "Pop Bottle", die einen auf die Tanzfläche ziehen. Dabei schafft es Thomas Bisdee nie plump oder zu aufdringlich zu wirken. Im Gegenteil. Sein eigenwilliger Stilmix harmoniert vollkommen mit dem charmanten Eindruck, den man bekommt, wenn man sich die Dankeszeilen im CD Booklet durchliest oder Interviews und Liveauftritte im Netz verfolgt. Insofern kann man "Youth" als verrücktes Electro-Dance-Popalbum einfach genießen, das einem mit all seinen verqueren Ideen oft zum Lächeln bringt.