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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

20. 12. 2009 - 21:20

Beasts of Blip

Alte und neue Helden der 8-Bit-Szene im Taumel der musikalischen Vielfalt. Videos inklusive!

8-Bit-Indie oder Chiptunes-Metal? Japanischer Bit-Techno oder Micromusic der alten Schule? Beim Blip Festival darf und soll all das möglich sein. Es ist die größte Party der vielleicht einzigen Musik-Untergrundszene, die sich nicht mittels Dogmen und ungeschriebener Community-Gesetze definiert, sondern ausschließlich durch die von technischer Reduktion durchsetzten elektronischen Klangerzeuger. Welche Sounds können aus alten Ataris, Amigas oder dem klobigen Ur-Game Boy gezaubert werden? Ob dazu dann noch Schlagzeug, Flöten, Gitarren, Stimmen oder andere elektronische Instrumente hinzu kommen, bleibt jedem Chipmusizierenden selbst überlassen.

Chiptunes-Musiker "The J. Arthur Keenes Band" mit Game Boy und Gitarre.

Robert Glashüttner

Habe ich mich am ersten Abend noch gewundert, dass das Publikum so überaus enthusiastisch ist, wird der Eifer und die Feierlaune der anwesenden Tanzmeute am zweiten und dritten Tag des Festivals fast schon zu einem Standardprogramm. Wildes Pogen? Hemmungsloses Stagediving? Gibt's hier andauernd.

Doch wenn jemand wie The J. Arthur Keenes Band melodiös-melancholische Klänge und wehmütige Vocals von der Bühne schickt, wird auch mal inne gehalten, sanft gewippt und nur ab und an ein bisschen geklatscht. Blip-Kennerinnen und -Kenner setzen die inhaltliche Vielfalt des Festivals offenbar voraus und freuen sich über Brüche und Stimmungswechsel.



A propos Stimmungswechsel und Vielfalt: Wisst ihr, wie es klingt, wenn einem Metaller die Lust am Tabubruch überkommt und er plötzlich zu Eurodance im 8-Bit-Kleid headbangt? Das ist keine Erfindung von mir, sondern höchst unterhaltsame Realität. Rainbowdragoneyes nimmt keine Gefangenen, beschimpft das Publikum dafür aber fast ausschließlich in gewählten Worten. Wer bei den Zwischenansagen stört, bekommt ein augenzwinkerndes, aber dennoch heftiges "Shut your mouth!" entgegengebrüllt. Gut so.

Chiptunes-Musiker Rainbowdragoneyes tanzt auf der Bühne.

Robert Glashüttner

Rainbowdragoneyes

In aufgeheizten Momenten wie diesen kommt beim Blip Festival immer Santa Claus in Partymontur auf einen zu und verteilt keine Zimtschnecken und auch keine mit Zuckerln vollgepackten Wollsocken, dafür weiße Luftballons. Die sind schon wenige Momente später aufgeblasen und hopsen und platzen fortan im Saal umher.

Am ersten Abend war das noch ein lustiges, unverhofftes Gimmick. Gegen Ende der dritten Nacht passen die weißen Ballons zwar bestens zum draußen tobenden Schneechaos, langsam beginnt der Schmäh aber so zu nerven wie Santas umgehängter Bart. "I haaaate Balloooons!!!", kreischt es endlich irgendwann aus einem heraus.

Ein Weihnachtsmann mit Schweißermaske zeigt mit dem Finger.

Robert Glashüttner

Schweiß Weihnachtsmann!

Immun gegen den Klamauk des Weihnachtsmannes ist das klangforschende Musikerinnenkollektiv The Hunters aus Japan. Die zwei Damen in weißen Doktorkitteln schrauben konzentriert an ihren Geräten und bringen durch sie wunderbar knackigen Bit-Techno zum Erklingen. Ein bisschen wirken The Hunters wie eine Band, die für eine Avantgarde-Performance vom Team des Ars Electronica Festivals eingeflogen worden ist. Im Laufe des Sets beweist das Duo aber, dass es in einem mit Menschen und hoher Luftfeuchtigkeit vollgestopften Elektronik-Club die beste Figur macht.

Musiker-Duo The Hunters in weißen Arbeitsanzügen live beim Blip Festival 09.

Robert Glashüttner

The Hunters

Oldschool Motherfucker

Wesentlich räudiger und krachender als die gewieften Japanerinnen ist der langgediente Haudrauf-Experte Patric C aus Berlin, den man guten Gewissens als Vorreiter der Chiptunes-Szene bezeichnen kann. Patric hat bereits 1997 ein 8-Bit-Konzeptalbum produziert, von dem sogar ein Track auf VIVA gespielt wurde.

Da ist es nur verständlich, dass sich die Freude über die Einladung nach New York mit dem Ärgernis, mit dem eigenen musikalischen Output offensichtlich viel zu früh drangewesen zu sein, bei Patric C die Waage hält. Trotz guter Laune und einem hart rockenden Set kann er sich ein paar Hinweise in eigener Sache nicht verkneifen. "Thanks for inviting me - ten years too late!" - Man kann es Patric nicht verdenken und das Publikum zollt dem Oldschooler auch den gehörigen Respekt.

Patric C live beim Blip Festival 09.

Robert Glashüttner

Patric C

Hübsch gepixeltes Weihnachtsfest

Bevor ich für dieses Jahr das "Bell House" verlasse, mache ich noch einen Abstecher zum Merch-Stand und kaufe mir - passend zu Veranstaltung und Jahreszeit - die Mini-CD mit den "8bits of Christmas" als eigenes Mitbringsel für die Feiertage.

Es war schön, das wonnige Schlagen des Herzes der Chiptunes-Community miterlebt zu haben. Eine so zahlreiche und begeisterte Fangemeinde wie in New York hat die Szene sonst nirgendwo. Kommunikation, Inspiration und wechselseitiger Austausch findet international und offen übers Netz statt. Doch wirklich erblühen kann auch die 8-Bit-Bewegung nur auf der Bühne.