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Elisabeth Gollackner

Subjektivitäten, Identitäten und andere feine Unterschiede.

26. 12. 2009 - 14:03

Die letzte Sau

Jetzt wird geschlachtet: Das Schwein, die Ideologie, das Patriarchat. Sie hätten doch lieber einen Wohlfühl-Roman? Dann gehen Sie bitte weiter, hier gibt es nichts zu sehen.

Patrick Hofmann - "Die letzte Sau", erschienen bei Schöffling & Co, 2009

Was man kriegt, ist sperrig. Ein Buch, das nach ungelüfteten Zimmern riecht und nach Schmalzbrot schmeckt. Dabei klang alles so wunderbar einfach, irgendwie nach Popliteratur: Ein Berliner Autor schreibt einen Roman über die Gegend, in der er aufgewachsen ist. Ein kleines Dorf in der Nähe von Leipzig, ehemaliger Osten. Die Großeltern, Bauern, müssen den Hof räumen, und die ganze Familie kommt nochmal zusammen und schlachtet das letzte Schwein, bevor die Kisten samt Omi und Opi in eine Mietwohnung verfrachtet werden.

Kann man sich doch vorstellen, was da rauskommt, oder? Florian Illies winkt schon um die Ecke, denkt man.
Doch was man kriegt, ist Blut und Sex und Schneematsch. Von Nutellabrot und Golf Cabrio keine Spur.

Ein Schwein

schöffling verlag

"So eine kleine Sau und so ein bittrer Nachgeschmack"

Patrick Hofmann inszeniert seinen derb-komischen Debütroman "Die letzte Sau" wie ein Theaterstück. Er beginnt mit einer Auflistung der Figuren samt Alter und Familienzugehörigkeit. Da gibt's die gebrechlichen Großeltern, ihre Töchter mit Ehegatten, die drei Enkelkinder, alle Anfang 20. Ein Haufen Erwachsener aus völlig verschiedenen Lebenswelten.

Es ist Dezember 1992, und Hofmanns Bühne ist der Bauernhof. Die ganze Geschichte spielt sich innerhalb eines Tages ab, und er spart nicht mit Auftritten: Die Tür geht auf, und da steht wieder eine. Zum Beispiel die Schlachterin.

So etwas hat es in dieser Gegend noch nie gegeben: Eine Frau, in diesem Gewerbe? Man hat schon viel mitgemacht: Krieg, Kommunismus, Wiedervereinigung, und natürlich die Braunkohleindustrie, die die gesamte Bevölkerung umsiedelt, weil der Tagebau immer mehr Raum in Anspruch nimmt. Aber eine Schlachterin?

"Ich würde sagen, soviel wie möglich in den Darm. Für den Darm ist die Wurst eine Revolution."

Ohne Umschweife übernimmt die charismatische Frau die Führung und teilt alle Anwesenden zum Arbeiten ein; das Schlachten kann beginnen. Akribisch wird jeder Handgriff beschrieben, die Körperteile, die Flüssigkeiten, die Gerüche. Sogar Gewichts- und Verarbeitungslisten hat der Autor beigesteuert.

Die Männer im Buch, verunsichert von der blutverschmierten Frau mit den Messern, reagieren mit derben Witzen. Doch die Schlachterin weiß zu kontern:

"Achim, was zum Lecken!"
Die Schlachterin warf ihm das Geschlechtsteil auf den Bauch zu. Im Reflex fasste er danach. Der Schreck in seinem Gesicht ging in Ekel über, als er das Fleisch in seinen Fingern spürte. Sie starrten die Schlachterin an, die schallend lachte: "Da ist ganz schön Blut dran. Tja, die wird doch nich ihre Tage haben?"

Nicht nur die Sau, auch die politischen Systeme werden zerlegt und verarbeitet. Während sie den Bauchraum des Tieres öffnen, wird über die "Filetierung" der DDR-Staatsbetriebe gesprochen; während sie das kleingehackte Schwein in seinen eigenen Darm stopfen, debattieren sie über die Wende. An diesem eisigen Dezembermorgen wird mit dem Westen genauso abgerechnet wie mit der kommunistischen Utopie, und das Patriarchat kommt auch gleich mit in den Fleischwolf. "Die Frau ist kein Geschenk und kein Opfer", schreit die Schlachterin und hackt die Sau durch die Wirbelsäule in zwei Hälften.

"Geht dir das denn nicht auf die Nerven, wie hässlich das hier ist, wie die im Osten dauernd die beleidigten Leberwürste spielen?"

Buchcover

schöffling verlag

Der Autor Patrick Hofmann ist in Borna in der Nähe von Leipzig geboren. Er kennt diese Tagebau-Gegend, die durchlöcherte Erde. "Auf den gesichtslosen Planetenoberflächen triumphiert der Pioniergeist kommunistischer Kolonisatoren", lässt er den zynischen jungen Enkel sagen, "Tabula rasa, der Traum aller Revolutionäre."

Patrick Hofmann ist 18, als die Mauer fällt. 20 Jahre später setzt er dem zerrissenen Landstrich seiner Kindheit mit "Die letzte Sau" ein literarisches Denkmal. Er spart an Dramatik in der Sprache und liefert dafür ein großartiges Panoptikum an mehrdeutigen Bildern. Und es muss ein gutes Zeichen sein, wenn mir für Vergleiche nur die ganz großen einfallen: Jelinek, oder Turrini. Würde man Jelinek und Turrini gemeinsam auf Betriebsausflug in die ehemalige DDR schicken, es würde vermutlich ein Roman wie "Die letzte Sau" dabei rauskommen.

Für Menschen mit unempfindlichem Magen schwer zu empfehlen!