Erstellt am: 19. 12. 2009 - 22:02 Uhr
Journal '09: 19.12.
Abriß-Party-Nachlese.
Wir hatten den Plan zu dieser riesenhaften Party am Südbahnhof zu gehen, eigentlich schon aufgegeben: über 5000 Facebook-Anmeldungen, News von prallvollen Gästelisten und Karten-Abhol-Termine von vor 22 Uhr sprachen für einen hoffnungslosen, überfüllten Fall. Und zu so einer monströsen, dann doch irgendwie mainstreamigen Party, drängt es einen dann nicht unbedingt.
Andererseits: der Südbahnhof, mein Südbahnhof, hätte sich schon die Ehre dieser Abschiednahme verdient. Und irgendwie wurde die Erinnerung an eine Party, die vor etwa zehn Jahren ebendort (noch mit mir als teilnehmenden Anrainer) stattgefunden hat, immer deutlicher.
Sie sollte sich im Laufe der Nacht noch sehr konkret verdichten.
Dann smste ein eingeschleuster Spion, der sich todesmutig zwei Stunden angestellt hatte, kryptische Nachrichten: wir sollten's probieren, irgendwie würde es sich durchaus lohnen. Nachfragen verhallten unbeantwortet: der Spion war wohl schon zu sehr im Tanztaumel.
Also machte sich eine kleine Zweier-Delegation unserer Freitag-Fortgehtruppe knapp nach zwei noch auf den Weg.
Südbahnhof, mein Südbahnhof
Vor dem Südbahnhof standen gegen halb drei Uhr nachts etwa 50, 60 in einen Pulk geballte verlorene Gestalten herum, die noch hineinwollten. Die Security signalisierte klar: Aufnahmestopp. Und das, obwohl diejenigen, die schon brav seit zehn da waren, reihenweise die Segel strichen und erschöpft herauswankten. Es hatte sich aber ein Gerücht verbreitet: "Um drei lassen sie alle noch rein!".
Da uns vor dem Eingang eher zufällig getroffene Bekannte mit Eintritts-Bändern versorgten (die ließen sich relativ leicht ablösen, abnehmen und wieder anlegen, bei mir mit Rest-Pick, bei meiner Begleitung mit Kaugummi) waren wir für den 3 Uhr Termin gerüstet.
Wir haben dann die halbe Stunde genutzt, um es doch über die Maschek-Seite zu probieren. Es muss doch für etwas gut sein, wenn man das Gelände kennt wie Natty Bumppo die Wildnis. Also haben wir es auf einem Schleichweg über den Ostbahnhof versucht. Leider hat der, der Weg, uns zwar über Kiesbetten und Gleise in einem Abenteuerspielplatz in Eiseskälte, dann aber zum neuen OBH, der ein paar Meter hinter dem alten eingerichtet wurde, verschlagen.
Und weder dort, noch an den anderen Geheimtipps (der alte Friseurgang) war was zu holen. Der Geheimgang, der von meinem ehemaligen Wohnhaus, einem alten Gebäude der Kuk-Eisenbahnverwaltung, rüberführte ins Bahnglände, der ist schon im zweiten Weltkrieg verschüttet worden - sonst hätt ich's natürlich da probiert.
Einlass um drei
Um zehn nach drei waren wir dann drinnen, weil das Gerücht gestimmt und unsere gelben Fake-Bänder gehalten hatten. Und plötzlich fiel mir ein, wie das vor zehn Jahren war: auch mit der Rolltreppe hoch in den Abfahrtsbereich, wo die Party damals und auch heute war. Dort, im Abfahrts-Saal tobt die Masse, zu keine Ahnung welchem DJ, Tiefschwarz? Kann sein, urteilt meine Begleitung, ist sich dann aber, nachdem wir uns was zu trinken geholt haben, nicht mehr so sicher. Seltsamer Minimal.
Trinken, ja, genau. Die Mär von der drogenfreien Party, wer auch immer sie erzählen will, lacht ihn aus, verspottet ihn.
Meine heutige Droge ist der Rotwein, der leisen Verkühlung, die mich seit Tagen plagt, geschuldet, wegen seiner relativ geringsten Kälte und Halsschonung. Die Frau hinter der Theke schenkt mir gut ein, nachdem sie merkt, dass meine Stimme heiserkeitstechnisch bricht - und nein, die Getränkepreise sind keine Abzocke. Und eine solche hatten ja viele befürchtet.
Das Publikum ist auf den ersten Blick unszenig, aber gut anzusehen. Keine Praterdome-Tussen beiderlei Geschlechts, sondern alles, was potentiell partyinteressiert und guten Willens ist. Und die Hallen fassen Massen.
Die erwarteten Befürchtungen: alle nicht eingetreten. Facebook als hauptsächlicher Einlader: kein Nivellierer nach unten. Und auch kein exzessiver Drogen-Gebrauch, die meisten eher von biederen Alkoholika angenagt, wie es am Freitag abend in der gesamten Kulturnation Österreich von 99% der erwachsenen Bevölkerung unternommen wird.
Disco in der Reste
Dann die Stiegen runter zur kalten Abfahrtshalle Ostbahnhof und rüber zum zweiten Floor, der im ehemaligen Bahnhofs-Restaurant untergebracht ist. Da war ich in meinem Leben ein einzigesmal, vor vielen Jahren, als ich mit der Frau, die danach meine Freundin wurde, das Heimgehen noch und noch bis zum Frühstück hinausgezögert habe.
Dort stürzt uns unser Spion in die Arme, immer noch versonnen grinsend und kryptisch. Lohnt sich doch, oder? sagt er.
Disco, sagt die Begleitung mit einem Ohrenblick auf die Musik und einem Seitenblick auf den DJ, und gar nicht so schlecht. Später korrigiert sie's dann auf "geht so" (da tobt die 80er-Sound), lobt aber den DJ und sagt im selben Atemzug, wie wurscht dieses Einschätzungsding eigentlich sein sollte: in London, wo sie eine zeitlang studiert hat, würde ein Publikum, das in einer Location wie dieser eine Party wie diese feiert, die Arme gar nicht aus der Luft nehmen, sondern sich vollkommen gehen lassen, im Ambiente versinken und mit seiner kollektiven Kraft zu etwas ganz Besonderem machen.
In Wien könne man froh sein, wenn die Stimmungslage nicht nörglerisch ist, sondern die positiven Bekundungen überwiegen.
Und das tun sie an diesem Abend.
Wieso dieser Abend keiner Mäkel-Gefahr unterlag
Das ist damit zu erklären, dass es zu den Anmäkelungen, die man machen würde, wenn es sich um eine neue oder fixe Party-Location handeln würde, hier gar nicht kommen kann.
Denn natürlich ist der Sound, dem vielen Glas geschuldet, dumpf; natürlich klebt der Boden, natürlich sind die Stiegen ein Gefahrmoment, natürlich sind die Temperatur-Unterschiede Gift.
Aber: es ist eine Abriss-Party.
Dort wird nichts mehr passieren, es ist ein Abschied, und man war dort um sich noch einmal an einen oft besuchten Ort zu begeben und Bilder zu machen, aufzutanken oder zu refreshen.
Mir erzählen an diesem Abend einige Hörerchen persönlichen Geschichten zum Südbahnhof, die Kunststudentin macht sentimentale letzte Foto-Shoots und der Party-Kolumnist kann seine Wehmut mit gemeinsam evozierten Grind-Erinnerungen wettmachen. Ich erzähle dann von der SBH-Party von vor zehn Jahren und kann mich plötzlich erinnern, dass es ein Fest einer Zeitschrift war, des damals führenden Popkultur-Blattes; mir fällt ums Verrecken der Name nicht ein (die Wein-Droge macht denklangsam) aber ich erinnere mich an den damaligen zweiten oder gar dritten Floor, der in einem bereitsstehenden Zug stattfand.
Der Backflash nach 1999
Es war quasi das Vice-Magazin von damals, versuche ich mich vorwärtszutasten, das vorderste Ding, was selbsternannte Coolnesse betroffen hat.
In dem Moment betritt Niko Alm den Disco-Floor. Und er, der Viceler, weiß es und mir fällt jetzt auch noch der Rest der Erinnerungen ein, ein kollektives Gedächtnis ist schon was großartiges: das "IQ", Geringers Baby, und ja, es war 1999 und ein One-Off-Event, wie ihn die Zeitschrift hin und wieder veranstaltete; einmal in einer großen Spielhalle im Prater und dann eben, als er irgendwie umgebaut und teilgesperrt war, hier am Bahnhof.
Die Party vor zehn Jahren war dröhnend und gespenstisch beeindruckend, auch wegen der Tatsache, dass man sich bewusst war, dass kurz nach dem Chill-Out zusammengeräumt und der Bahnhofs-Betrieb wieder losgehen würde.
Aber die Stimmung der gestrigen Abriss-Fete konnte diese Party von damals nicht erreichen.
Wie auch.
Da fehlte der Faktor des Ewigkeitswertes, das Bewusstsein des allerletzten Blicks auf ein Trumm aus Beton, Glas, Plastik, Metall und seltsamen Steinböden.
Um sechs drehten die Betreiber das Licht an und scheuchten uns alle wieder raus in die Kälte. Wir sind zitternd zu den Stationen der Öffis gewankt, haben uns in den warmen 13er-Bus gedrückt und sind versonnen heimgefahren. Im dankbaren Wissen, das Wichtigste bewahrt zu haben.