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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

18. 12. 2009 - 22:39

Blip, Bloop, Blam!

Wenn uns Game Boys in Brooklyn so richtig durchschütteln.

Logo des "Blip Festival".

blipfestival.org

Das Blip Festival ist die größte und wichtigste Veranstaltung der Chiptunes- und 8-Bit-Szene. Es findet seit 2006 in Brooklyn, New York City, statt.

Pixelmusik kann das Haus rocken. Das ist selbst den halbstarken Nerd-Klischee-Wälzern bereits unangenehm aufgefallen. Geht doch nicht, dass die ehemals schüchternen Brillen-Kids jetzt auf der Bühne stehen und eine blendende Figur machen. Mit Phase 2 hab' aber selbst ich nicht gerechnet: Game Boy-Musik als durchgeknallter Mini-Rave voller Schweiß, Geschrei und Stagediving.

Wenn ich das gestern beim Kick-Off des vierten Blip Festivals in Brooklyn nicht am eigenen Leib miterlebt hätte, würde ich die vielen Partyfotos der Vorjahre, die aussehen, als seien sie auf der Sónar oder dem Melt! Festival aufgenommen worden, immer noch unglaubwürdig beäugen. Aber genauso geht's bei guten Chiptunes-Partys zu. Man muss nichts beschönigen - bloß ein paar Mal im richtigen Moment mit der Kamera draufhalten.

Chiptunes-Künstler Chromix spielt live auf seinem Game Boy.

Robert Glashüttner

Drei Tage in Serie geht es vom frühen Abend bis weit nach Mitternacht mit insgesamt 25 Artists zur Sache. Die 8-Bit-Soundästhetik, also Klänge aus alten (und neuen) Videospielkonsolen und Vintage-Computern, ist dabei nur der gemeinsame Nenner - in Wahrheit macht jede/r KünstlerIn und jede Band auf der Bühne, was sie oder er möchte. Stilrichtung, Instrumente, Geräte - alles kann, nichts muss. Solange es irgendwelche Berührungspunkte zur Szene gibt, ist alles gut.

Entsprechend bunt war auch der Auftakt am ersten Blip-Tag. Bevor der erste wirklich verrückte Musikant mit der Spielkonsole in der Hand herumzappelte, gab es auch melancholisches Gebleepe, versetzt mit verträumten Gitarrensounds, dann wieder verspielten Pop im Manga-meets-Hochzeit-Outfit.

Leeni live beim "Blip Festival" in New York City.

Robert Glashüttner

Ins "Bell House", wo das Blip Festival dieses Jahr stattfindet, passen geschätzt 200-250 Menschen - die Venue ist nicht klein, aber überschaubar. Bis circa 22 Uhr ist die Stimmung im Lot, der Saal füllt sich jedoch nur langsam.

Doch dann legt sich plötzlich ein unsichtbarer Schalter um: Szene-Veteran minusbaby startet mit seinem Set und eröffnet damit das Hauptabendprogramm. "Bitte jetzt die 3D-Brillen aufsetzen", strahlt es via Visuals auf das Publikum herab. Die neue visuelle Wahrnehmung durch rotes und blaues Plastik übt eine magische Wirkung auf die Menschen aus. Etwas hat sich verändert. Und schon bald wird es auch nach außen hin sichtbar werden.

Das Publikum beim "Blip Festival" trägt 3D-Brillen.

Robert Glashüttner

See me jumping

Ich bin kein großer Freund von abgebrühten Musikmachenden, die virtuos Knöpfe drücken und Regler drehen, aber langweilig anzusehen sind. "Wenn ich zu einem Konzert gehe, will ich nicht so einen Typen wie mich auf der Bühne sehen", hat das ein guter Freund mal sehr treffend beschrieben. Das Glück der Chiptuner: Der Game Boy ist handlich und frei von Kabeln, und das Verstecken hinter dem Notebook mittlerweile ebenso verpönt wie in anderen elektronischen Musikszenen.

Dennoch: Performer ist man, oder eben nicht. Chromix, hier ganz oben bereits in vollem Eifer abgebildet, hat zweifellos keine Probleme mit körperlicher Ertüchtigung und musikalischer Katharsis. Seht selbst:

Frisch gezapfte Bleeps

Schnöde DJ Sets gibt's beim Blip Festival übrigens nicht. Bei der Appendix-Party am Sonntag vielleicht, aber das ist ja mehr eine Draufgabe nach drei Tagen Live-Performance. Dennoch trägt da jemand ein "DJ" im Künstlernamen, der noch dazu französisch und sehr lang ist.

Je Deviens DJ En 3 Jours, das soll uns sagen, dass er, also Jules, DJ in drei Tagen werden will. Aber ob das wirklich notwendig ist? Der Mann aus Nizza ist schon hier und jetzt eine strahlende Elektro-Hoffnung für 2010. Mit dieser Portion an Charisma und Begeisterungsfähigkeit muss erst mal jemand mitziehen. Jules Gespür für gute Sounds ist über jeden Zweifel erhaben, die Raffinesse im Umgang mit dramaturgischen Elementen in Musik und Pose außergewöhnlich. Und Angst hat der gute sowieso vor nichts und niemandem.

Der Musiker "Je deviens DJ en 3 jours" beim Tanzen.

Robert Glashüttner

Je Deviens DJ En 3 Jours
Das Publikum beim "Blip Festival" ist begeistert.

Robert Glashüttner

Da springt der Chef

Wenn schon der erste Blip-Tag nicht an Höhepunkten und Extasen spart, wie kann das noch zwei Tage lang so kräftig weitergehen? Hauptveranstalter Jeremiah alias Nullsleep ist das wurscht. Nach der wochenlangen Planung und Organisation - das Blip Festival wird mit winzigem Budget betrieben - hat er statt unnötigen Kopfzerbrechens ein Bad in der Menge verdient.

In wenigen Stunden geht's weiter. Die Game Boys bekommen frische Sets an Batterien spendiert und wir sauber gewaschene Hemden. Press Start to continue.

Crowdsurfing beim "Blip Festival".

Robert Glashüttner