Erstellt am: 18. 12. 2009 - 17:49 Uhr
Fußball-Journal '09-121.
Teil 1: Die Verlierer der Bundesliga-Herbstsaison 09: der moderne Außenverteidiger und das taktische Verständnis.
Teil 2: Die Gewinner der Bundesliga-Herbstsaison 09: der versatile Spieler, der unselige Hausverstand, die erste Linie, ein paar Junge und eine Aktion mit Philosophie.
Ich zitier mich ungern selbst, aber es gilt immer noch das, was ich vor der ersten Europa-League-Runde gesagt habe: "Von mir aus können alle vier österreichischen Euro-League-Teilnehmer alle ihre Spiele verlieren - solange sie sich gut verkaufen und Erfahrungen sammeln, die für den kontinuierlichen Aufbau nötig sind."
Das haben alle vier Vertreter geschafft, die einen besser, die anderen nicht ganz so gut.
Und deshalb ist der Herbst 09, in dem die ÖFB-Auswahlmannschaften einen katastrophales Kacherl zurückgemacht haben und die Liga sich in wieder einmal bedauerlichen Zuständen zerfranst, trotzdem der beste seit Jahren gewesen.
Weil sich die stärksten Teams über eine längere Phase, jeweils 6 Gruppenspiele, seriös messen konnten, mit internationalen Kontrahenten.
Wer Hirn und Herz zu lernen hatte, der hat aus diesem Herbst mehr gelernt als aus den letzten paar Jahren.
Und damit einen Schritt in eine mögliche neue Normalität gesetzt.
Klassenbester: Salzburg, FC (RB).
Dabei hat man in Fuschl und Wals womöglich am wenigsten dazugelernt. Dort wusste man vieles von dem, was im Herbst passierte, ja schon vorher: Spieler, Coaches, auch die neue Führungs-Crew. Umsetzen konnten es die meisten Spieler halt gar nicht bis in den August hinein, ihr Wissen und Können, kickten dumpf und coachten mies.
Mit Beginn der EL, mit dem Boost des neuen Fädenziehers und der endgültigen Systemumstellung ist das One-Trick-Pony Salzburg auf einem Level angelangt, das schon seit Jahren selbstverständlich sein sollte. Sowohl die Qualität der Spieler, als auch die der Betreuer (außer Matthäus) und der ewige Geldscheißer als Financier hätten das möglich machen müssen.
Dass dem trotzdem so schwerfällig agierenden Red Bull-Tanker in dieser Campaign der Knopf aufging, braucht ein deutliches "erst" aber ein ebenso erleichtertes "endlich". Denn es hätte auch schlimmer kommen können.
So fasst es der Coach von Villareal schön zusammen: die haben uns ausgekontert und dann nichts mehr zugelassen. So geht der eine Trick, den Salzburg beherrscht, international. National (oder teilweise gegen Levski) macht man auch das Spiel, eher bemüht gegen gute Gegner, mit Leichtigkeit gegen ungelenkte Tölpel. Für die geht sich das, was Salzburg an spielerischer Klasse nach vorne hat, aus.
Ein Trick reicht
International ist das (noch) zuwenig. Weswegen der Konter (und, nein, rosabebrillte Fans, auch gegen Lazio war Salzburg zweimal die weniger aktive Mannschaft) dann das einzige Mittel bleibt.
Bemerkenswert: Im letzten Spiel mit neuem Personal im Mittelfeld funktionierte es genauso gut wie mit der Einser-Panier. Das bedeutet, dass der gesamte Kader jetzt Stevens System beherrscht.
Dass es für sechs Siege reichte, kann nun zwei Konsequenzen haben: eine gute oder eine weniger gute.
Die weniger gute: man bleibt auf dem System picken, verfeinert es und versäumt es so den nächsten Schritt zu machen.
Die gute: man präpariert sich für einen Plan B, lernt einen zweiten Trick und hat so mehr als nur die Möglichkeit innerhalb des einzigen Systems zu wechseln.
Für ein Vorwärtskommen im Frühjahr wäre das bereits unabdingbar. Standard Liege/Lüttich ist nämlich klarer Außenseiter und wird nicht von sich aus die Offensive suchen, müsste also spielerisch bezwungen werden.
Anständig: Rapid Wien
Rapid Wien wurde erster.
Im Zuschauer-Ranking - dreimal ein volles Happel-Stadion, das schlägt alles.
Rapid hat nicht nur bei den drei Heimspielen eine gute Show geboten, auch die drei Auswärts-Partien waren spannendes Kino. Dass sich mit einem Sieg und zwei Remis nur der vierte Gruppenplatz ausgegangen ist - siehe Einleitungs-Zitat.
Gelernt haben viele: Verein und Stadt, wie man mit Sport-Großereignissen abseits langfristiger Planbarkeit umzugehen hat. Spieler, wie man in der Hitze von Tel Aviv, der Kühle von Hamburg, dem Kesseltreiben im Celtic-Park und dem Schnee von Wien besteht.
Mir, und wohl nicht nur mir, sind zwei höhere Niederlagen gegen Hapoel, bei denen bis fast zum Schluss noch probiert wurde sie umzudrehen, lieber als vier ermauerte Remis. Zwei gefühlte Niederlagen gegen Celtic sind besseres Lehrgeld als hundert Trainingsstunden. Und ein Sieg gegen den deutschen Tabellenführer haftet wie Balsam an der Seele.
Instinkt
Nur nominell gelernt hat der Trainer.
Er hat international anders und klüger aufgestellt als in der Meisterschaft - das aber nicht aus taktischem Kalkül oder gar strategischem Verständnis, sondern nur aus dem Instinkt heraus, das so machen zu müssen. Ohne zu kapieren warum.
Ich bin ein großer Fan des Instinkt-Fußballers.
Ich schätze auch Trainer, die ihren Instinkten folgen anstatt sich eines Liebkinder-Herrschaftssystems zu bedienen. Ich kann aber mit Coaches, die finalemente nicht wissen was sie tun nichts anfangen. Der Instinkt braucht nämlich, sobald man in einer strategischen Verantwortungs-Position ist, den scharfen Verstand als Partner.
Und den kann man sich nur ganz schwer einlernen.
Brav: Sturm Graz.
Ja, es war nur das B-Team von Galatasaray: es haben zumindest 8 Stammspieler gefehlt. Aber das, was da am Mittwoch in Graz in rot-gelb auflief, hatte trotzdem internationale Klasse. Und gegen das A-Team hatte man ja auswärts bestanden: ein Unentschieden im Ali-Sami-Yen ist aller Ehren wert.
Dass Sturm ansonsten, meistens höchst patschert, viermal mit einem Tor Unterschied verloren hat, wäre in einem anderen Gesamtzusammenhang wohl gar nicht wirklich aufgefallen.
Da die Mannschaft der letzten Saison aber den gesamten Herbst über irgendwie nur auf 70, 80% von dem, was man die letzten Jahre gesehen hatte, kam, wurde auch dieser schmale Unterschied schlagend.
Gelernt und profitiert haben trotzdem viele, Dauertorschütze Beichler und sein Zwilling Jantscher vorneweg.
Dass Trainer Foda just im internationalen Bewerb letztlich (fast) den ganzen Kader einsetzte, war eine zukunftsträchtige Maßnahme - auch wenn der Coach mir die ganze Zeit wie auf Abschieds-Tournee vorkam.
Die aktuelle Unauffälligkeit des einstmaligen Glitzer-Klubs (keine Sprüche, schon gar keine Skandale, immer Ruhe) ist womöglich Teil des Konzepts des unsichtbarsten Mannes der Fußball-Szene, Klubmanager Christian Schmölzer.
Problemkind: Austria Wien.
Nicht deshalb, weil sie vorgestern auf Madeira überflüssig hoch verloren haben. Das kann passieren, vor allem gegen ein technisch überlegendes Team. Wie das ja auch Werder und Bilbao waren. Da tut sich die Austria schwer, weil sie mitspielen will, ihr aber der letzte Pfiff fehlt.
Ob sie daraus was gelernt haben?
Ich denke schon. Coach Daxbacher hab ich noch nie so flexibel herumtricksen gesehen wie in diesen 6 EL-Spielen. Und gegen Werder Bremen, den unbezwingbaren Ochsen hat das für Fast-Augenhöhe gereicht. Immerhin.
Dass ein portugisicher Mittelständler mit Spielkultur dem österreichischen Spitzenklub seine Grenzen aufzeigt ist mit dem Hapoel-Phänomen vergleichbar: Technik, Taktik, Strategie - dort sind sie einem Team der mittleren Mittelklasse eben voraus.
Trotzdem haben sich Leute wie Sulimani, Diabang, Klein, Baumgartlinger oder selbst Acimovic, der seine Pomadigkeit da sechs Spiele lang in der Garderobe eingeschlossen hatte, entscheidend fokussiert und entwickelt.
Der Balken im Auge
Das einzige Problem ist dieser Balken im Auge, der bei den beiden Spielen gegen Athletic Bilbao zu einem regelrechten Brett entwickelt hat.
Nein, Austrianer, der Schiri hat euch diese Spiele nicht gekostet. Ihr wart zweimal einfach weniger gut und weniger schlau und weniger effektiv. Das macht auch nix, wenn man diese Begegnungen als Lernhilfe nützt.
Und, nein Austrianer aller Sorten, es gibt keine wie auch immer hinkonstruierte Ausrede für geplanten Platzsturm, für Zusammenarbeit mit Faschisten und Neonazis und für Hass als Grundlage der Auseinandersetzung.
Und, merket, Austria-Spieler und Funktionäre: Rechtfertigungs-Arien der direkten oder indirekten Gutheißung dieser Widerlichkeiten stellen euch auf dieselbe Stufe wie diesen Mob.
Teil vier dieser Evaluierungs-Reihe zum Jahresende wird die Auswahlteams und die Österreicher im Ausland betreffen und demnächst erscheinen.
Und womöglich wird es noch einen Teil 5 mit einem Rückgriff auf die unteren Ligen (1.Liga, Regionalliga) geben müssen.
Das ist das Gegenteil dessen, was ich unter "Erfahrungen für einen kontinuierlichen Aufbau" verstehe. Das ist vielmehr der Rückgriff auf Mist aus einer Phase des Niedergangs.
Mir ist klar, dass in den Tagen nach den Grauslichkeiten und ihrer Verteidigung ordentlich zurückgerudert wurde und auch wirklich heftige Maßnahmen angedroht wurden.
Ich glaube das aber erst, wenn ich die Resultate sehe.
Und alle anderen, die jetzt glauben ein Kavaliersdelikt a la "besoffen Autofahren" begangen zu haben, lachen da drüber. Der Lerneffekt dieser Herren und ihrer Verteidiger liegt also noch bei Null.
Und das ist ein Problem, das den Verein schnell in eine teuflische Spirale nach unten ziehen kann.