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Burstup

Physische Welt, virtuelle Realität. Politik und Kultur.

19. 12. 2009 - 15:24

3D im Wohnzimmer

Stereoskopie für alle: Wie man sich die plastischen Bilder nach Hause holt

Ja, ich bin ein 3D-Fanboy - spätestens, seit ich 2007 im Kino "Beowolf" sah, den zweiten Film, der mit der neuen Polarisationstechnik plastische Bilder in den Kinosaal zauberte. (Der erste war "Chicken Little".) Mit "Avatar" erreicht der Hype nun seinen vorläufigen Höhepunkt. Dass er weitergeht, ist so gut wie sicher: In den USA und in Europa wird an Dutzenden 3D-Produktionen für 2010 gearbeitet, und immer mehr Kinos rüsten dafür um.

Mitte der achtziger Jahren habe ich den mehrwöchigen 3D-Versuch des ORF-Fernsehens gebannt mitverfolgt, damals noch in Anaglyphentechnik, also mit Rot-Grün-Brille. Gezeigt wurden Klassiker wie "Der Weiße Hai" oder Eigenproduktionen des ORF. Tatsächlich ist die Stereoskopie aber weit älter, genau gesagt 151 Jahre alt. Im Jahr 1838 erfand Sir Charles Wheatstone das Stereoskop. Auf Jahrmärkten waren die hölzernen Kästen, in denen man Zeichnungen und Naturdarstellungen plastisch bewundern konnte, eine kleine Sensation.

Brewster

Auch das Polarisationsverfahren, das heute in Filmen wie "Avatar" oder "Beowolf" zum Einsatz kommt, ist älter, als man glauben könnte: Schon 1952 kam "Bwana Devil" in die amerikanischen Kinos, angeschaut wurde er mit farbneutralen Polfilterbrillen, die den heutigen sehr ähneln. Die gleichzeitige Darstellung von räumlicher Tiefe und Farbe war in den fünfziger Jahren eine Sensation, für die Kinobetreiber allerdings sehr aufwendig: Sie mussten eine eigene Silberleinwand und zwei Filmprojektoren installieren. Weil die zwei Projektoren exakt parallel laufen mussten, funktionierte der Effekt nicht immer wie gewünscht. Die Probleme führten zum baldigen Ende dieser 3D-Ära, Alfred Hitchcocks wegweisende 3D-Produktion "Bei Anruf Mord" kennt man heute eigentlich fast nur in seiner "flachen" Version. Der in den Achtzigern folgende, zweite 3D-Boom mit Rot-Grün-Brillen war technisch zwar weniger aufwendig für die Kinobetreiber, gegenüber der Polfiltertechnik aus den Fünfzigern aber ein qualitativer Rückschritt. Die mangelhafte Farbdarstellung und die eher unbefriedigende räumliche Wirkung ließ auch diesen Boom bald wieder verschwinden.

Philips

Die jetzige, dritte 3D-Kinowelle könnte dauerhafter sein: Aufgrund der Digitalisierung der Projektion ist die Polfiltertechnik heute im Kinosaal beeindruckender und vor allem fehlerfrei, aufgrund der Digitalisierung der Produktion werden bisher unmögliche Dinge schnell und vor allem kostengünstig realisierbar. Mit Regisseuren wie Steven Spielberg, James Cameron oder Robert Zemeckis arbeiten große Namen an 3D-Produktionen, große Filmverleihe und Filmstudios setzen vermehrt auf die Technik. Aber es gibt ein weiteres, wichtiges Indiz dafür, dass der 3D-Boom diesmal ein dauerhafter sein könnte: Für die Hersteller von Unterhaltungselektronik ist die 3D-Welle im Kino eine Initialzündung. Mit "Avatar" & Co. sollen wir angefixt werden, die plastischen Bilder - und damit neue elektronische Geräte - nach Hause zu holen. In meinem Fall stößt das Anliegen der Industrie auf offene Ohren, denn ich experimentiere seit einigen Jahren mit diversen Techniken für 3D im Wohnzimmer.

Einen verbindlichen Standard für räumliche Videos gibt es noch nicht. Das aus Kanada stammende Sensio-Verfahren wurde zwar als offizielle Erweiterung des DVD-Standards anerkannt, aber nur begrenzt unterstützt. Software muss her, zum Beispiel der Stereoscopic Player des österreichischen Programmierers Peter Wimmer: Er verarbeitet zahlreiche 3D-Videoformate. Filme, die in einem Format daherkommen, werden in ein anderes umgerechnet, sodass es zum Beispiel möglich ist, einen mit Sensio dargestellten Film auch mit einer gewöhnlichen Rot-Grün-Pappbrille anzusehen - ganz ohne zusätzliche Hardware, aber mit den bekannten Nachteilen der Anaglyphentechnik.

Wimmer

Peter Wimmer

Wer bessere Ergebnisse will und nicht vor der Aufrüstung der eigenen Hardware zurückschreckt: Der Stereoscopic Player unterstützt auch Shutterbrillen, 3D-Monitore und Videoprojektoren. Shutterbrillen werden - im Gegensatz zu den passiven Polfilterbrillen aus dem Kinosaal - an Computer oder Fernseher angeschlossen. Die Brille öffnet und schließt in rasender Geschwindigkeit abwechselnd das linke oder rechte Glas - bemerkbar ist davon nichts, doch das Ergebnis ist ein farbechtes, plastisches Bild, das dem im Kinosaal in nichts nachsteht. Das funktioniert nicht nur mit 3D-fähigen Flatscreen-Fernsehern, sondern auch mit Projektoren, eine Bildwechselfrequenz von 120 Hz oder mehr vorausgesetzt. Ideal sind Shutterbrillen auch für Computerspiele und virtuelle Welten: Die z-Achse, also die Tiefeninformation, wird von der Grafikengine ohnehin schon berechnet. Shutterbrille anschließen, einen stereoskopischen Grafiktreiber installieren - und die Raumschiffe schweben durchs Wohnzimmer. Grafikkarten und Treiber des Konkurrenten ATI Radeon hinken der Nvidia-Technik in Sachen 3D derzeit noch hinterher.

Nvidia

Shutterbrille von Nvidia

Der smarte Opensource-Programmierer Dale Glass hat eine 3D-Variante des Second-Life-Viewers programmiert - Linden Labs virtuelle Welt kommt damit dem Holodeck aus Star Trek einen Schritt näher. Auch das Videospiel zum Film "Avatar" kommt übrigens in echtem 3D daher, ein dafür tauglicher Fernseher oder Monitor vorausgesetzt. 3D-fähige Geräte gibt es von Firmen wie Hyundai, Zalman oder Samsung.

Den Traum vom brillenlosen 3D versprechen ebenfalls einige Geräte zu erfüllen: Der MU1913WG von Wazabee etwa unterstützt ca. 40 Spiele, darunter "World of Warcraft" oder "Portal". Weil durch die brillenlose stereoskopische Darstellung aber die Auflösung halbiert werden muss, bleiben von den Pixeln des Monitors nur 520 x 400 erhalten. Etwas beeindruckender sind die SED-Fernseher von Philips, allerdings nur, wenn man direkt davor sitzt. Brillenloses 3D-Fernsehen ist noch nicht ausgereift, Shutterbrillen und echte HD-Auflösung sind mir lieber - zumal auch die 3D-Effekte mit Brille bei weitem plastischer wirken.
Ausprobiert habe ich auch eines der vielen Head Mounted Displays, die das Nonplusultra in Sachen virtuelle Realität darstellen sollen. Die Bilder werden direkt vor den Augen erzeugt und können auch die Kopfbewegungen in Steuersignale umsetzen. Geräte gibt es von eMagin, Zalman, Nvidia, Samsung, Hyundai oder Wazabee, die Auflösungen bewegen sich zwischen mageren 800 x 600 Pixeln und beeindruckenden 1680 x 1050. Auf Dauer ist das Tragen eines Head Mounted Display allerdings mühsam.

Google

Hier ist die Lösung, die ich bevorzuge: Ein PC mit Nvidia Geforce Grafikkarte, ein stereoskopischer Nvidia-Treiber, Shutterbrillen (auch von Nvidia), und ein LCD-Fernseher von Samsung oder ein Videoprojektor (mit HD-Auflösung und 120 Hz). Eine solche Ausstattung garantiert nicht nur 3D-Spielspaß und Videos in Kombination mit Peter Wimmers Stereoscopic Player, sondern auch Nützliches: Bei der Verwendung von Konstruktionssoftware wie Maya oder 3DSMax tun sich neue, kreative Möglichkeiten auf - allerdings auch neue Fragen in Bezug auf das Benutzerinterface: Die Maus am Tisch nach vorne zu schieben übersetzt unser Gehirn bisher nämlich als Bildschirmbewegung nach oben, nur weil wir es so gewohnt sind. In der plastischen Darstellung müsste dieselbe Bewegung aber ein "nach hinten" Verschieben des Mauszeigers entlang der z-Achse bedeuten. Neue Userinterfaces und neue Steuergeräte sind deshalb im Anmarsch, etwa die bei Machinima-Künstlern und Virtual-World-Usern beliebten Space Navigator Mäuse. Das alles mag am Anfang etwas verwirrend erscheinen, aber: Wer einmal die Google Earth plastisch bereist hat, will sie nicht mehr ohne 3D-Brille und -Maus benutzen.