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Susi Ondrušová

Preview / Review

18. 12. 2009 - 12:49

Decemberlist, achtzehn

Black Heart Procession "Six"

Das ist die Decemberlist
24 Stücke Musik, täglich eines, den ganzen Dezember über, vorgestellt von FM4 MusikjournalistInnen und Webhosts. CDs, die während des Jahres die FM4 Musikredaktion passiert haben und die für uns von Bedeutung waren. Zum Schenken und Beschenktwerden. Von Indie Pop bis Rare Groove, von dänischem Metal bis österreichischem Songwriter Pop.

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Eigentlich sollten hier 2009 Zeichen über "A New Tide" stehen, das letzte Album von Gomez, einer britischen Band, die ich seit ihrem mit dem Mercury Award ausgezeichneten Album "Bring It On" sehr schätze, auch wenn mir Pitchfork dafür nicht und nicht recht geben will. Vielleicht würden ja Izzie Stevens und Alex Karev in meine Lobeshymne miteinstimmen, aber die reden ja nicht mehr miteinander, also tu ich´s auch nicht und weg damit: "A New Tide" ist ein einfaches Popalbum von einer Band, die sich in ihrer Wahlheimat Amerika (wo ihr Plattenlabel-Boss Dave Matthews sitzt) das dankbare College-Publikum erspielt haben. "A New Tide" hat drei gute Songs, bin ich jetzt draufgekommen, die anderen sind ausdifferenzierte Coverversionen dieser drei Songs. Schöne Songs, aber weiter gehts, ich suche nach positiven 2009er-Zeichen zu einem Dezember-tauglichen Longplayer aka Album. Gerne in Inch-Format gemessen, danke.

Umweg x2

Schauen wir weiter südlich, an Manchester vorbei schnurstracks weiter nach London, bleiben wir an der Queens Road und halten einen Augenblicke inne. Im Hatcham Liberal Club haben sich im 19.Jahrhundert working men zu Gesprächen und ähnlichem eingefunden, im 21. wurde anscheinend eine Clubvenue daraus. Ich kann es nicht mehr verifizieren, denn seit zwei Jahren wird das Gebäude zum Verkauf angeboten und das weiß ich auch nur, weil das teils nach diesem Ort benannte Indie-Quartett Hatcham Social an diese Immobilie erinnert. Hatcham Social also, deren Schlagzeuger Finnigan Kidd bei den Klaxons in die Becken drosch, bevor er sich dafür entschied, seinem Bruder von hinten beim Singen zuzuschauen. Hatcham Social haben mit "You Dig The Tunnel, I´ll Hide The Soil" ein Debüt auf Fierce Panda Rec veröffentlicht, das in seinen besten Momenten an Talking Heads erinnert (diese Stimme, diese Stimme) und überraschenderweise keine schlechten Momente hat. Herrlich, jeder Song passt dorthin, wo er zu finden ist: von "Crocodile" zum euphorisierten "So So Happy Making" über das spoken word-Clowneske "Jabberwocky" bis zum finalen "Give Me The Gift", das einen mit einem letzten Refrain das "suck, suck, suck my hand" einstimmt und an den Anfang (Track 1 oder Seite A) zurückführen möchte, zurückführen muss, denn vielleicht hat man ein narratives Etwas versäumt. Wozu dieses "suck, suck, suck"?

Umweg x3

Schauen wir eher noch weiter, nur ein paar Buchstaben zu S. Nur um auszuprobieren, ob es etwas gibt, was man versäumt haben könnte. Oder überhört? Nein, zu überhören waren Sunset Rubdown im Jahre 2009 nicht. Nicht während ihrem Set beim Donaufestival im Frühling, nicht bei ihrem zweistündigen Set im B72 vor ein paar Monaten. "Dragonslayer" schreit Spencer Krug all over it. Der unterbeschäftigte Musiker mit einem animalischen Freundeskreis (höre Swan Lake, Frog Eyes, Wolf Parade oder Pony Up) hat mit "Dragonslayer" ein Album serviert, das sich nach intensiver sechsmonatiger Beschäftigungstherapie auf einen Song reduzieren lässt, der exakt die Länge von meiner U-Bahn-Fahrt zum Arbeitsplatz misst: Mit 10 Minuten und 28 Sekunden ist der Song Opus und Odyssee zugleich. Titel: "Dragon´s Lair".

Diese Fahrt ist irre, u.a. auch, weil Rapunzel darin vorkommt, die Höhle des Drachen (oder doch der Löwe und sein Rachen?) und eine Witwe, die Metapher für Anfang und Ende schlechthin. "Dragon´s Lair" ist schwer ("you´re such a champion!") und witzig ("I see the muscles in your legs from the way you always rise!"). Selbstverständlich je nachdem, welchen Minutenanteil man mit welchem vokabularischem Verständnis vergleicht. Der "bigger kind of kill" komprimiert alles, was Sunset Rubdown zu bieten haben. Aber sind das 2009 Zeichen über ein Dezembertaugliches Album? Noch nicht!

blackheartprocession

Ankunft

Verlassen wir also Kanada und kommen wir dem Ende näher, indem wir in Joe Plummer´s Auto einsteigen und auf der Rückbank Platz nehmen. (Am Vordersitz ist ein Percussion-Instrument des Modest Mouse/Black Heart Procession/Shins-Drummers angeschnallt.)
Joe Plummer ist gerade auf Heimatbesuch in Toronto gewesen und macht nun einen Umweg, um exakt die Autobahn aufzusuchen, die Portland mit San Diego verbindet.
Dort und nirgendwo anders hatten die Mitglieder der Black Heart Procession ihre mobilen Telefonapparate mit Headsets verkabelt, als sie an ihrem letzten Album "Six" gearbeitet haben. Black Heart Procession haben für "Six" nicht nur geographische Zustände überbrücken müssen, sondern der unglücklichen Wirtschaftskrise geschuldet auch ihre ideologische Labelheimat Touch&Go verlassen, um bei Temporary Residance Limited neue Wurzeln zu schlagen.
Black Heart Procession´s "Six" atmet das Weite. Nein, ihr glaubt, hier geht es um einen Begriff, der abkürzt, ohne zu erklären, aber lasst euch das mal auf der Zunge zergehen: "Six" atmet das W E I T E. "Wasteland" zeugt davon, "Witching Stone" beweist es und hiermit sind wir erst bei Songtitel Nummer Drei angelangt, sprich noch immer auf der A-Seite! Bluestränen rollen auf der B-Seite dann natürlich weiter, die Säge schneidet dicke Raucherluft, teilt das Fegefeuer entzwei. "Six" bedeutet vollkommene Vereinnahmung. Melancholie ist gar kein Ausdruck. "Six" ist der missing link zwischen Pink Mountaintops´ "Outside Love" und dem oben angepriesenen "Dragonslayer".
Wenn Musiken wie Textilien sind, dann ist dieses hier abwechselnd Samt oder Damast. Und es geht hier um innerliche Verdunkelung und Wärme. Und deswegen: 2009mal Hurra für "Six" von Black Heart Procession.