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Burstup

Physische Welt, virtuelle Realität. Politik und Kultur.

17. 12. 2009 - 10:50

#unibrennt

Neue Besetzungen, die erste polizeiliche Räumung, keine Freigabe des Audimax: Wo steht die Protestbewegung?

Je nachdem, ob man in letzter Zeit vormittags oder abends ins besetzte Audimax ging, bot sich dort ein sehr unterschiedliches Szenario. Am Vormittag: Kaum Studierende, dafür 30 bis 40 Obdachlose, die auf umgeklappten Sitzen schlafen und ein sehr strenger Geruch. Am Abend: Mehrere hundert StudentInnen im (sauberen) Hörsaal, Infostände und diskutierende Menschen am lebhaft besuchten Gang. Genauso weit wie diese beiden Realitäten sind auch die Wahrnehmungen der anhaltenden #unibrennt-Proteste voneinander entfernt. Für einige Beobachter sind die Besetzungen aus dem Ruder gelaufen. In Foren diverser Webmedien werden diskutierte Forderungsideen, etwa nach einem eigenen Uni-Radio, lächerlich gemacht oder wütend verurteilt. „Wenn nun die Studenten auch noch Obdachlose vor ihren Karren spannen, so ist das ausgesprochen perfide“, schreibt ein Leser des Online-Standard. „Wie sollen berechtigte Anliegen in dieser Form den Menschen nahegebracht werden? Eine ganze miese Geschichte!“

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Bleiben wir bei den Obdachlosen: Die Protestbewegung setzt sich seit Wochen mit den Problemen der „Sandler“ auseinander, weil es die Gemeinde Wien nicht tut (Obdachlose aus EU-Staaten, die keinen österreichischen Pass besitzen, haben keinen Anspruch auf einen der geförderten Notschlafplätze Wiens. Sie werden auch in der "Gruft" nicht aufgenommen). Die Studierenden sind mit der Lebensrealität dieser unterkunftslosen Menschen konfrontiert und diskutieren in verschiedenen Arbeitsgruppen über die Notwendigkeit ihrer Versorgung und besserer sanitärer Anlagen. Und die hervorragend vernetzten Protestteilnehmer, die Angehörigen der Generation Wiki, sind es gewohnt, ihre Vorschläge, Ideen und Denkanstöße sofort zu posten, ohne lange herumzuscheißen. Ideen werden online diskutiert und weiterentwickelt. Fehler Nummer eins geschieht dann bei Journalisten, die diesen öffentlichen Online-Diskussionsprozess als beschlossenen Forderungskatalog interpretieren. Und Fehler Nummer zwei geschieht bei Lesern dieser journalistischen Schnellschüsse, die denken „Die Studenten spinnen, was haben Duschen für Obdachlose mit der Bildungspolitik zu tun“. Auch Michael Völker fragt sich in einem Standard-Kommentar, warum die Studenten mit den Obdachlosen solidarisch seien und führt aus, dass die "hehren Ansätze für eine bessere Bildungspolitik" nichts mit Obdachlosigkeit zu tun haben dürften. Tatsächlich hat die Herstellung von Verhältnissen, in denen Bildung einen möglichst hohen Stellenwert hat, natürlich sehr mit der Beseitigung von Armut, Obdachlosigkeit und sozialer Not zu tun.

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Es ist zu leicht, die Protestbewegung nach 56 Tagen jetzt auf das am Vormittag stinkende Audimax zu reduzieren und daraus zu folgern, sie hätte sich ad absurdum geführt. Diese Woche wurde nicht nur in zahlreichen Arbeitsgruppen weiter an Ideen zur Beseitigung der Hochschulmisere gearbeitet. Es kam auch zu spontanen Neubesetzungen von Büros an der Uni Wien, deren anschließender Räumung durch die Polizei, es gab eine spontane Demonstration vor dem Parlament, und das Audimax war am Mittwoch so voll wie in den Anfangstagen der Bewegung – nicht nur, weil Josef Hader und André Heller dort auftraten, sondern auch, weil dort über genau jene Probleme diskutiert werden kann, die beim von den Studierenden abgelehnten „Hochschuldialog“ des Wissenschaftsministers nur ansatzweise zur Sprache kommen.

Mit der Entscheidung zu einer teilweisen Freigabe des Audimax, deren angebliche Bedingungen in diversen Medien verfrüht kolportiert wurden, wollen sich die BesetzerInnen Zeit lassen – einen Plenumsbeschluss dazu gibt es wahrscheinlich erst am Montag, dem 21. Dezember, und er könnte durchaus ablehnend ausfallen. Die Protestbewegung bereitet sich auch auf die Veröffentlichung und Präsentationskonzerte der Unibrennt-Compilation vor, und diskutiert auch darüber, wie die Bewegung zu „Freinachten“ (Weihnachten und Silvester) agieren soll. Selbst wenn das Audimax in den nächsten Tagen polizeilich geräumt würde: Ich sähe kein Ende der Proteste, denn sie speisen sich aus der Kreativität und dem berechtigten Ärger ihrer Akteure.