Erstellt am: 17. 12. 2009 - 10:35 Uhr
Decemberlist, siebzehn
Das ist die Decemberlist
24 Stücke Musik, täglich eines, den ganzen Dezember über, vorgestellt von FM4 MusikjournalistInnen und Webhosts. CDs, die während des Jahres die FM4 Musikredaktion passiert haben und die für uns von Bedeutung waren. Zum Schenken und Beschenktwerden. Von Indie Pop bis Rare Groove, von dänischem Metal bis österreichischem Songwriter Pop.
Die in Watte gewickelten Sehnsuchtslieder: In musikalischer Hinsicht war der unaufgeregt erfreulichste Trend/Antitrend des zu Ende gehenden Jahres die Erfindung und Ausrufung eines Subsubnischengenres, das in seinen Ausformungen so vage und verwaschen ist, dass es nicht einmal mehr nur einen einzigen, sondern gleich mehrere Namen trägt: Dreambeat, Chill Wave und Glo-Fi haben sich da als die dominanten und die möglicherweise (zusammengenommen) am treffsicher beschreibendsten Bezeichnungen durchgesetzt, um der matt schimmernden Musik solch wunderbarer, durchaus unterschiedlicher, dieses Jahr medial dezent hochgekochter Künstler wie Ducktails, Neon Indian, Washed Out oder Memory Tapes beizukommen.
lotus plaza
Gemein ist den Musiken, die unter dem Mantel von Chill Wave brüten, dass sie entspannt und benebelt und betont zurückgelehnt daherkommen, Lo-Fi und hausgemacht, getragen von einer wohligen Melancholie, von der Sonne geküsst, die 80er und einen endlosen Sommer beschwörend. Sich anhand von schlecht kopierten Flugblättern und schon viermal überspielten Tapes die eigene Jugend herbeikonstruieren. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, halb weggenickt, halb im euphorischen Delirium. "Hypnagogic Pop" hat das englische Magazin THE WIRE das genannt, was soviel meint wie "Pop im halluzinogenen Halbschlaf".
Das Schöne an der ganzen Dreambeat-Angelegenheit war dabei, dass quasi sofort mit der Etablierung von Begrifflichkeiten und mit den Worten "neu" sowie "Genre" die Einsicht einhergegangen ist, dass man das ja alles nicht mehr so genau nehmen muss, dass mit "Genres" ja heute ohnehin kein Blumentopf mehr abzuholen ist, vorauseilende Postmoderne. Das Wissen und - wichtig! - auch das Zugeben davon, dass, wenn unterschiedliche Menschen an unterschiedlichen Orten der Welt zufällig zur gleichen Zeit einen ähnlichen Sound produzieren, das keine "Szene" darstellt, sondern erst eine herbeikonstruiert werden muss. Freak Folk, nein, nein, nein, das waren nicht bloß drei miteinander verschwesterte Zottelbärte aus irgendeinem Wald in den USA, und Postrock, nein, das waren auch nicht bloß drei Bands aus Chicago. Wenn man sie nicht wie die Bibel liest (oder ganz GENAU SO, je nachdem), so dürfen schön beschriftete Etiketten für Schubladen im Plattenregal aber doch als lose Orientierungshilfen sehr gerne im Leben willkommen geheißen werden, so die sehr späte Erkenntnis. Genauso wenig also, wie wir es bei Glo-Fi mit einer homogenen "Szene" zu tun haben, ganz genauso sehr ist Lotus Plaza mit seinem Debüt-Album "The Floodlight Collective" der König dieser ganzen spinnerten, verträumten Heimmusikbastler. Mit der guten Chill Wave ist Lotus Plaza bislang noch nicht assoziert worden, sein Album ist ja auch schon im März erschienen, zu früh, das hat die halbe Welt verschlafen, da war das Genre noch gar nicht erfunden.
lotus plaza
Die Menschen der Chill Wave operieren in erster Linie an abgewrackten Synthesizern, Lotus Plaza ist ein Mann der Gitarre, erzeugt aber mit anderen Mitteln dieselben Gefühle, Gefühle von verblassten Urlaubsfotografien, von einer mit diffusem Optimismus angereicherten Schwermut und entwickelt einen ebenso schwammigen, einen ungenauen, einen aus allen Rudern laufenden Sound. Lotus Plaza ist das Soloprojekt von Lockett Pundt, und Lockett Pundt, das kann man nicht verschweigen, ist ein Teil der hervorragenden Band Deerhunter, neben Mastermind Bradford Cox, zumindest auch ein bisschen Kopf und zweitwichtigster Architekt des Sounds von Deerhunter, er hat einige Songs für die Gruppe geschrieben und singt hie und da auch mal.
lotus plaza
So fußt auch "The Floodlight Collective" zu weiten Teilen im mächtigen Klanguniversum "Shoegaze": Wabernde Gitarrenwände, ein ständiges Starren auf die Effektgeräte, Psychedelik, ein Loop und noch ein Loop, Songskizzen, die hörbar wieder einmal bei My Bloddy Valentine und The Jesus & Mary Chain andocken. Die Musik von Lotus Plaza aber ist das Gegenteil von Intensität, es ist höflicher Noise, Zurückhaltung und unkokette Schüchternheit, ein Wimmern, ein beschämtes Hauchen. Lockett Pundt hat alles selbst eingespielt - mit Ausnahme von Drumarbeit von Bradford Cox auf einem Song - und so eine dicht geschichtete Collage zusammengebaut.
lotus plaza
Alles verschwindet hier hinter Rauschen, bleibt undeutlich, die verhuschten, songhaften Sücke verschränken sich mit Ambient-Passagen und einem melodischen Dröhnen, das auf einer Fennesz-Platte durchaus nicht ganz fehl am Platze wäre. Während Bradford Cox auf seinem aktuellen, freilich sehr, sehr guten Atlas-Sound-Album vielleicht ein klitzekleines bisschen zu stark den Genieverdacht zu bestätigen sucht, ist "The Floodlight Collective" bloß ein blöder, kleiner Regenbogen, der kurz einmal einfach da ist. Man muss sich ja trotzdem drüber freuen. Die Vocals klingen wie übers Walkie-Talkie eingespielt, was Lockett Pundt da aber oft mit sich selbst im bittersüßesten Harmoniegesang im Widerstreit singt, greint, jammert und in sich hinein flüstert, das KANN nur mit den schönsten, den allerschönsten, mit größtem Schmerz verbundenen Erinnerungen aus einem besseren Gestern zu tun haben. Ein Album des Jahres, Wehmutssignale vom Grunde des mit Honig gefüllten Aquariums. Man kann sie gerade noch hören.