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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

17. 12. 2009 - 18:24

Aus dem Nest fallen

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge müssen mit 18 aus den betreuten Heimen ausziehen. Das bedeutet oft den Verlust von Bezugspersonen. Und vor der Aufgabe zu stehen, das Leben selbst in die Hand zu nehmen.

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Der 18. Geburtstag, das bedeutet für österreichische Jugendliche das Erreichen Volljährigkeit, endlich alles dürfen und sich nichts mehr dreinreden lassen. Für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ist die Volljährigkeit allerdings kein großer Grund zum Feiern. So meint Klaus Hofstätter von der Asylkoordination Österreich: "Es ist ein brutaler Einschnitt, man feiert seine Abschiedsfeier vom Heim und seinen 18. Geburtstag gleichzeitig. Und verliert dabei quasi sein 'Nest'. Insofern kann man die Jugendlichen auf diesen Tag zwar vorbereiten, aber an der Tatsache, dass man etwas verliert und sowieso schon in einer verlustreichen Jugend unterwegs ist, ändert das nichts."

Raus aus dem Haus

Mit 18 Jahren genießen die Jugendlichen nämlich nicht mehr den Sonderstatus, der ihnen als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zusteht. "Das wesentliche ist hier natürlich: Man muss aus dem Heim für minderjährige Flüchtlinge ausziehen", erklärt Klaus Hofstätter. "Das heißt, man verliert eine ganz spezifische Betreuungsqualität, die es nur in diesen Einrichtungen gibt."

Je nach Status, das heißt ob ihnen Asyl zuerkannt wurde oder nicht, kommen die Jugendlichen dann in ein Heim für Erwachsene oder müssen sich eine eigene Wohnung suchen. Oft ist damit auch ein Ortswechsel verbunden, denn auch in Heimen für Erwachsenen sind die Plätze knapp. Die Jugendlichen werden also aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen. Und: Sie müssen ihr Leben von einem Tag auf den anderen komplett selbst in die Hand nehmen. "Das ist eine totale Schwierigkeit," sagt Klaus Hofstätter, "weil bisher BezugsbetreuerInnen da waren, die die wesentlichen roten Fäden in der Hand hatten. Und die geschaut haben, dass notwendige Dinge passieren."

So helfen die BetreuerInnen zum Beispiel bei Behördengängen, organisieren Ausbildung oder Schule oder bieten Freizeitaktivitäten an. Das fällt dann mit einem Schlag weg, was für die Jugendlichen nicht leicht zu verkraften ist: "Manchmal finden die Jugendlichen in der Einrichtung eine Heimat. Im Laufe von ein, zwei Jahren hat man sich hier eingelebt, und auf einmal ist man damit konfrontiert, die Heimat ein zweites Mal zu verlieren. Was zum Teil auch dazu führt, dass die Leute wirklich starke psychische Krisen haben, die dann natürlich auch nicht mehr in der Betreuung aufgefangen werden, weil es die Bezugspersonen nicht mehr gibt."

Connecting People

Um diese Krisen ein wenig abzufangen, hat die Asylkoordination das Projekt "Connecting People" eingerichtet. Dort bekommen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge österreichische PatInnen zugeteilt. "Und zwar nur die unbegleiteten, die, die ohne Eltern oder Bezugspersonen nach Österreich kommen", betont Klaus Hofstätter, der das Projekt koordiniert. "Nicht weil es die anderen nicht auch bräuchten, sondern weil das die Gruppe ist, die die Betreuung am nötigsten hat."

Die Patenschaften sollen jedenfalls zwei Jahre dauern und ein Beziehungsangebot an die Jugendlichen darstellen. Ob das gemeinsames Sporteln ist, Hilfe bei den Hausaufgaben oder einfach regelmäßiges Spazierengehen und miteinander reden, kommt ganz auf die Beteiligten an. Oft helfen die PatInnen aber dabei, den Alltag zu bewältigen, fungieren als Ansprechperson. "Wenn man sich zum Beispiel eine Schule checken muss oder eine Lehre, dann ist es vielleicht peinlich, wenn die PatInnen mitgehen, aber es ist auch wahnsinnig hilfreich. Weil das Gegenüber dann weiß: Da gibt’s jemanden, der oder die hinter den Jugendlichen steht, auf den oder die man sich bei Problemen beziehen kann. Und das macht viele Dinge wesentlich einfacher.", erzählt Klaus Hofstätter.

Und: Die Patinnen und Paten stellen für die Jugendlichen dann auch den Rückhalt dar, der durch die fehlende Betreuung nicht mehr gegeben ist. "Die Einrichtungen sind sehr froh, wenn die Jugendlichen einen Paten oder eine Patin haben." weiß Klaus Hofstätter. "Denn der Übergang findet dann nicht ganz so brutal statt. Und der Jugendliche hat einfach ein Ressource, einen emotionalen Hintergrund."