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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

17. 12. 2009 - 15:56

Der Godfather ist wieder da

Francis Ford Coppola meldet sich mit "Tetro" künstlerisch zurück.

Ich gehöre ja zu den Typen die Kunst im weiteren Sinn wirklich über fast alles stellen. Nicht aus einem selbstzweckhaften L’art pour l’art-Grund heraus, sondern weil Filme, Musik oder Bücher für mich ein zentrales Lebensmittel sind, Trostspender, Mutmacher, Ratgeber, Quelle der Inspiration und Euphorie.

Deshalb werden mir knochenhart arbeitende, sich selber bis aufs Blut schindende, niemals aufgebende Künstler immer imponieren, auch wenn mir insgeheim klar ist, dass ich einem Auslaufmodell aus dem 19. Jahrhundert nachhänge.

Francis Ford Coppola

American Zoetrope

Ich genieße masochistisch die Stories von Bands wie Radiohead, die sich jahrelang im Studio zerfleischen, um das perfekte Album einzuspielen. Favorisiere besessene Autoren wie James Ellroy, die sich handschriftlich ihre Wälzer abquälen. Verehre Regisseure wie James Cameron, die eine beinahe übernatürliche Energie am Set entwickeln und das über Dekaden, während dabei Ehen, Freundschaften, der Alltag auf traurige Weise den Bach runtergehen.

Mein absoluter Lieblingsmoment in Sachen künstlerischer Besessenheit wurde in einer grandiosen Doku festgehalten. "Hearts Of Darkness" zeigt die wahnwitzigen Dreharbeiten des Vietnamepos "Apocalypse Now" auf den Philippinen, rückt Wetterkatastrophen und endlose Streitereien ins Bild, bis hin zum blanken Irrsinn am Rande des Todes.

Francis Ford Coppola

Constantin Film

Die Close Ups des verzweifelten Regisseurs Francis Ford Coppola fressen sich ins Hirn, machen einen fertig, dienen aber auch als Aufputschmittel, wenn man selber bei seinen eigenen bescheidenen künstlerischen Unternehmungen ins Stocken kommt oder strandet.

Denn Coppola hält durch. Er überlebt unvergleichliche Strapazen und mehrere Nervenzusammenbrüche, kehrt 1979 aus dem Dschungel zurück, mit einem Meisterwerk im Gepäck. Der Mann, der zuvor schon dank grandioser Streifen wie "The Conversation" und "The Godfather" zu den Shootingstars des New Hollywood zählte, gehört mit "Apocalypse Now" als Vierzigjähriger zu den Kinogöttern.

Francis Ford Coppola nutzt seine neue Macht aus. Er gründet begeistert ein Studio, das auch anderen Regisseuren die Möglichkeit bieten soll, Filme nach eigenen Vorstellungen zu drehen. American Zoetrope heißt das Kreativunternehmen, Coppola steckt selbst einen Großteil seines Vermögens hinein.

Francis Ford Coppola

American Zoetrope

Aber schon der erste Film der neuen Firma, das artifizielle Musical "One From The Heart" wird zum gigantischen Flop, der alles in der Abgrund reißt. Regie führt der Chef höchstpersönlich.

Der gefeierte Coppola steht vor den Trümmern seiner Existenz. Er verliert sein Haus, sein Studio, seine Visionen. Jahrzehntelang muss der Regisseur kommerzielle Auftragsarbeiten annehmen, um seine Schulden zu bezahlen, vernachlässigbare Filme wie "Peggy Sue Got Married", "Gardens of Stone" oder "The Rainmaker".

Immer wieder schleicht sich die alte Meisterschaft für einige Szenen ins neue Kommerzkino ein, wie in "Bram Stokers Dracula" zum Beispiel. Aber es sind Coppolas Kinder, die irgendwann dem legendären Namen eher gerecht werden. Sein Sohn Roman dreht aufregende Musikvideos für die Strokes, Phoenix oder Arctic Monkeys. Und vor allem Sofia Coppola mutiert zu einer der wichtigsten Regisseurinnen des Gegenwartskinos.

Tetro

Stadtkino Verleih

Seit kurzer Zeit wagt aber auch Papa Coppola einen Neustart. Mit siebzig Jahren verfügt er über eine Gelassenheit, die nur jemand entwickeln kann, der fast alles erlebt und erlitten hat. Er verdient gut durch die Vermarktung seiner alten Klassiker, aber noch lukrativer ist sein gefeiertes Weingut mit Exporten in alle Welt.

Der künstlerische Drang, dieses Fieber des Kreativen hat den Mann aber nie losgelassen. Und deshalb beginnt Francis Ford Coppola jetzt nochmal ganz von vorne, ohne Hollywood-Unterstützung, mit selbstproduziertem Indiekino.

"Tetro", Coppolas neuester Streifen, mag eine digital gedrehte Guerillaproduktion sein, mit relativ wenig Geld entstanden. Aber man sieht das dem Film in keinem Moment an. Ganz im Gegenteil. In edlem Schwarzweiß kommt "Tetro" daher, immer wieder von schwelgerischen, grellen Farbsequenzen unterbrochen.

Gediegen, geschmackvoll, bisweilen höchst manieristisch, so könnte man die Bilder dieses Films beschreiben. Aber auch die Geschichte hat etwas Barockes an sich.

Tetro

Stadtkino Verleih

Ein junger New Yorker (gespielt vom knuddeligen Leo DiCaprio-Double Alden Ehrenreich) besucht seinen exzentrischen Bruder im argentinischen Exil. In einer kleinen Wohnung in Buenos Aires lebt dieser Tetro, ein verkrachter Dichter und Menschenfeind, der nur mit seiner Freundin kommuniziert. Eine Paraderolle für unser aller Lieblingsspinner Vincent Gallo, der lustvoll auf sein eigenes Repertoire an Verweigerungsposen zurückgreift.

In Rückblenden wird klar, dass Bennie und Tetro, die ungleichen Brüder, unter ihrem übermächtigen Vater leiden, einem monomanischen Dirigenten, den Klaus Maria Brandauer fabelhaft outrieren darf. Ein dunkles Geheimnis scheint die ganze Familie zu belasten.

"Tetro" ist ein Film wie aus einer anderen Ära. Ein opernhaftes Melodrama, eine überzogene Auseinandersetzung mit Künstlern und ihren Obsessionen, Ticks und Allüren. So nahe an der Grenze zur unfreiwilligen Parodie inszeniert Coppola manchmal, dass er feindlich gesinnten Kritikern ins offene Messer läuft.

Tetro

Stadtkino Verleih

Aber, mit Verlaub, genau diese altmodische Überzogenheit macht die Stärke aus. Wer traut sich heute schon einen derartig herrlich theatralischen Film zu machen?

Von seinen früheren Genialitäten ist Francis Ford Coppola noch immer weit entfernt, aber "Tetro" reicht für einen magischen Kinoabend.