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Trishes

Beats, Breaks und Tribe Vibes - oder auch: HipHop, Soul und staubige Vinyl-Schätze.

19. 12. 2009 - 12:07

Decemberlist, Neunzehn

Ein sensationeller Fund der Soul-Archäologie: "Gone: The Promises Of Yesterday" präsentiert Fragmente eines nie erschienenen zweiten Albums von 24 Carat Black.

Das ist die Decemberlist
24 Stücke Musik, täglich eines, den ganzen Dezember über, vorgestellt von FM4 MusikjournalistInnen und Webhosts. CDs, die während des Jahres die FM4 Musikredaktion passiert haben und die für uns von Bedeutung waren. Zum Schenken und Beschenktwerden. Von Indie Pop bis Rare Groove, von dänischem Metal bis österreichischem Songwriter Pop.

fm4.orf.at/decemberlist

Dale Warren war ein Visionär: Nicht lange, nachdem er von seinem Kollegen Don Davis zur in Memphis beheimateten Southern Soul-Fabrik Stax Records geholt wurde, schrieb der klassisch ausgebildete 26jährige die Arrangements für das Album "Hot Buttered Soul", mit dem Isaac Hayes unabsichtlich zum Popstar wurde. Der epische Aufbau von Songs wie Walk On By klingt auch heute noch atemberaubend, damals rüttelten Songlängen jenseits der zehn Minuten aber komplett an den Grundfesten einer Industrie, die noch in 7-Zoll-Scheiben dachte.

Kompromisse waren Dale Warrens Sache nicht, und mit neuem Rückenwind von Stax-Chef Al Bell machte er sich daran, seinen Entwurf symphonischer Soulmusik in einem eigenen Projekt weiterzuentwickeln. "24 Carat Black" hieß die erdachte Band, zu der anfangs aber noch die passenden Musiker fehlten. Warren erinnerte sich an die aus Cincinnati stammenden Ditalians, die ihm bei früheren Jobs des öfteren über den Weg gelaufen waren. Die Band um Willie Cottrell (dessen Sohn Tony übrigens ein Vierteljahrhundert später als DJ Hi-Tek Furore machen sollte) hatte sich einen hervorragenden Ruf als tighte Groove-Einheit erspielt und schien somit perfekt für den Job.

Die Band 24 Carat Black

numero group

Empfohlene Hörproben:

Plus: Die vielen HipHop-Songs, die ohne dieses Album nicht so klingen würden, wie sie es tun.

Nach drei intensiven Aufnahme-Wochen und Monaten des perfektionistischen Abmischens erschien 1973 das düstere Konzeptalbum "Ghetto: Misfortune's Wealth" - und ging trotz oder wegen des innovativen Soundkonzepts kommerziell gnadenlos unter. Die Band tingelte ein wenig am "chitlin circuit" herum, aber mangelnde Zukunftsperspektiven und endende Geldmittel verleitete den Großteil der Mitglieder zu einer Meuterei am Parkplatz des Holiday Inn in Memphis. Weil Dale Warren das große Gesamtwerk wichtiger war als einzelne Musiker, stellte er einfach eine neue Band zusammen, die dann auch begann, ein Nachfolgewerk aufzunehmen.

Dass das mächtige Stax-Imperium 1975 durch übermäßige Expansion und windige Finanzierungspartner in den Ruin getrieben wurde, hätte beinahe das traurige Ende einer ambitionierten Bandgeschichte bedeutet. Fast 35 Jahre vergingen, bis die verdienten Musikarchäologen von der Numero Group im Keller von Keyboarder Bill Thompson die dahinmodernden Bänder der damaligen Sessions fanden. Leider waren diese in sehr schlechtem Zustand: Von 20 Songs konnten nur sechs gerettet werden, so manch grandioser Song war nur noch in Ansätzen zu hören.

Cover zu "Gone: The Promises Of Yesterday" von 24 Carat Black

numero group

Gone: The Promises Of Yesterday kann uns so nur einen kleinen Einblick in die weiteren musikalischen Visionen des Dale Warren geben. Statt Armut und innerstädtischer Verwahrlosong wie auf der Debüt-LP geht es hier um den klassischen Themenkreis des Soul: Geschichten aus dem Zwischenmenschlichen. Die hypnotischen und ausufernden Arrangements dienen sich den Songs über Verlangen und Verlassen perfekt an, und lassen nur die Frage offen, was mit diesem Material in den richtigen Händen damals passieren hätte können.

Die Realität verweigerte Dale Warren das happy end: Er starb 1994 an den Folgen von jahrzehntelangem Alkoholismus. Vielleicht kann ihm diese späte Wiederentdeckung aber zumindest seinen verdienten Platz in der Soul-Geschichtsschreibung sichern.