Erstellt am: 15. 12. 2009 - 17:53 Uhr
Journal '09: 15.12.
Die Basic Facts zur Schließung des Südbahnhofs.
Und so war's am Tag danach.
Den Südbahnhof vermissen ganz viele Menschen. Jetzt, wo er nicht mehr da ist. Obwohl er ja schon noch "da" ist, als Party-Location etwa, am Freitag, aber halt nicht mehr in Funktion.
Ich vermisse den Südbahnhof seit irgendwann Mitte der 80er. Ich bin ihn angefahren, mit einem lokalen Zug und hab vom Schaffner einen Folder bekommen samt kleinem Fragebogen. Die ÖBB wollten damals abtesten, wie das wäre mit einem Zentralbahnhof anstatt einer West- und einer Nord- und einem Süd-samt-Ost-Exposition. Kam wohl nicht so gut an, diese Idee, bei den Menschen draußen. Wurde schnell verworfen.
Ich war mit dieser möglichen Geschichte bei den damals unglaublich gut angesehenen Superstar-Chefredakteuren der Wiener Zeitschrift, die dann den Tempo-Zeitschriften-Boom in Deutschland auslösten. Ich dachte das wäre für ein Blatt, das den Namen der Stadt im Titel trägt, interessant aufzubereiten, so ein futuristischer Zentralbahnhof.
Kam bei ihnen auch nicht an. Wäre nichts, was nach der Vorstellung dieser beiden Trend-Wiener die anderen interessieren könnte, schlossen sie sich dem damaligen Mainstream an.
Die Sache mit den Kopfbahnhöfen
Komischerweise war mir ab diesem Zeitpunkt klar, dass ich mich langsam, aber doch über Jahre vom Südbahnhof, einem Ort der fast ausschließlich positiven Erinnerung, verabschieden werde müssen.
Ich bin dann kurze Zeit später sogar dorthin gezogen, fast gegenüber und hab ihn jeden Tag frequentiert, als Lebensader sozusagen. Nicht wegen dieser Abschiednahme, zufällig natürlich, aber gibt es wirklich Zufälle?
Vielleicht liegt es daran, an dieser langen Vorbereitungszeit, dass ich nicht in den in den letzten Monaten unerträglichen Chor der tranigen Seierer einstimmen musste.
Die haben heute genau so wenig nachgedacht wie die Herren Peichl und Hopp damals. Obwohl es mittlerweile ja total offensichtlich ist, warum dieses Ereignis, die Schließung des Südbahnhofs erst Wiens offiziellen Einstieg ins 21. Jahrhundert darstellt.
Denn bis zur vorigen Woche haben wir noch in einer Mischung aus 19. und 20. Jahrhundert gelebt.
In einer Stadt, die sich aus allen Himmelsrichtungen via Kopfbahnhof anfahren lässt. In einer Stadt, die die pure Endstation ist, wie das Billy Joel in seiner "Vienna waits for you"-Schnulze so bedrohlich gemütlich ausbreitet.
Das war für die Hauptstadt einer riesenhaften und zentralistisch organisierten Monarchie gerade richtig und wurde folgerichtig Mitte des 19. Jahrhunderts so geplant und installiert. Südbahnhof und Ostbahnhof immerhin unter einem Dach, auch wegen der zu umfahrenden Donau, im Norden der Kaiser-Franz-Joseph-Bahnhof und dann eben der Westbahnhof.
Die Sache mit dem Eisernen Vorhang
Der wurde in der Nachkriegszeit zum eigentlichen Zentralbahnhof, während die anderen aufgrund des Eisernen Vorhangs ein wenig verkümmerten. Und auch da, im kalten Krieg, in dem Wien der letzte vorgeschobene Posten vor dem Osten war, hatte die Sache mit den Kopfbahnhöfen Sinn.
Heute ist das lächerlich. Österreich liegt zwar wieder, wie zu Kaisers Zeiten, im Mittelpunkt des Kontinents, aber nicht als Anlauf-, sondern als Transit-Station.
Dass der eiserne Vorhang in absehbarer Zeit niedergehen würde, war Mitte der 80er schon klar. Ich war da in einem Winter eine Woche auf einer Art Austausch-Reise in Kiew, Moskau und dem damaligen Leningrad und alle halbwegs seriösen RussInnen, mit denen man damals in Kontakt kam, deuteten mehr als nur an, dass die 1984 unter Andropov begonnene politische Reform unaufhaltsam wäre. Ein Jahr später kam Gorbachev, der Rest ist bekannt.
Und allerspätestens als der damalige Außenminister 1989 unter Tränen gemeinsam mit seinem ungarischen Amtskollegen den Grenzzaun zu Ungarn mit der Zange durchzwickte, war das Prinzip der Wiener Kopfbahnhöfe Geschichte.
Die Sache mit dem nachbarlichen Austausch
Nicht mir mit dem Beispiel von Berlin kommen, wo auch erst 2006 der Lehrter Bahnhof zu einem echten Hauptbahnhof umgebaut wurde. Dort funktionierte die Achse Zoo-Ost auch schon bisher als Durchfahrt, seit spätestens 1990 offen für alle.
Warum diese logische und nötige Selbstverständlichkeit in ihrer Umsetzung dann Jahre dauerte? Weil es außerhalb rein wirtschaftlich platzierter Interessen in den östlichen Nachbarländern keinerlei ernsthaften kulturellen oder gesellschaftspolitischen Austausch gibt. Da mühen sich noch so viele Initiativen und Einrichtungen um echte Kontakte nach Prag, Budapest oder Bratislava - den Österreicher ist´s powidl.
Der Kontakt etwa zu Bratislava, einer Stadt mit der Wien früher per Straßenbahn verbunden war, findet erst statt als sich die Flughäfen zusammenschließen. Wenn ich testweise zehn Menschen, und zwar solche aus einem halbwegs kulturinteressierten Umfeld frage, von welchem Bahnhof aus sie die drei genannten Hauptstädte überhaupt erreichen, wissen das sieben einhalb davon nicht, geschweige denn, dass sie schon einmal dort waren.
Diese grauenvoll ignorante Haltung ist zu einem Gutteil der Verkehrslage geschuldet, der Kopfbahnhof-Situation, die in so simplen Mechanismen wie Westbahnhof = Deutschland, Südbahnhof = Italien denkt.
Der neue Transitbahnhof wird den seit jetzt bereits zwanzig Jahre alten, somit nicht mehr wirklich "neuen" Gegebenheiten endlich Rechnung tragen und Wien als Durchgangs-Station auf dem Weg durch Europa etablieren; was ein völlig neues Selbstverständnis nach sich ziehen wird. Wenn der ganze Kontinent in einem Bahnhof steckt.
Die Sache mit dem Nostalgie-Geraunze
Seltsamerweise ist diese Meilensteinsetzung, die in der Nacht von Samstag auf Sonntag erfolgte, öffentlich nicht ernsthaft gewürdigt worden. Man hält sich viel lieber mit erschreckenden Banalitäten und dem natürlich sofort einsetzenden Nostalgie-Geraunze ein.
Und schon wieder das, was fast immer passiert: was die Mainstream-Medien draus machen ist einfach nur schwach. Ich finde kaum zu Herzen gehende Reportagen, mit einer gehobenen Ausnahme nur bloßen Durchschnitt, dafür jede Menge flapsige Geschichten wie diese hier, bestenfalls Zahlengeklingel und Pannen-Meldungen.
Wo bleibt eine sensationell dichte Auseinandersetzung wie diese hier im Berliner (!) Tagesspiegel? Warum ist kein heimischer Reporter zu einer lässigen Rührstory wie der über den letzten Nachtzug Zürich - Rom in der NZZ im Stande?
Medienschelte anbei ->
Selbst seriöse Menschen wie der Wiener Kulturjournalist Wolfgang Koch, der für die taz ein Wien-Blog führt, kann sich nicht sattschreiben an historischem Geflunker und architektonischen Details.
Ja, eh.
Schön war er, sag ich als ehemaliger Anwohner und heftiger Benutzer durchaus zurecht, obwohl er schon auch recht fest schiach war und stinkig und so ungeputzt wie dieses Eck in meiner Wohnung, in das ich die damaligen Umzugskisten... lassen wir das.
Bloß: die die jetzt seitenweise jammern, ächzen und klagen, die neuen Funktionalitäten anschütten, aktuelle Sonderinfomationen des ÖBB als Nazi-Diktion anbrunzen und die alte Kiste tränenblind als Synonym der Freiheit beschwören, waren in den Jahren, als ich und die anderen Anwohner und Liebhaber alleingelassen waren in der ästhetischen Verteidigung ihres geliebten Monsters, sonstwo, aber nicht an der Seite des Objekts, das sie jetzt fürs Wechseln kommunalpolitischen Kleingelds zwangsinstrumentalisieren.
Die Sache mit der Durchlässigkeit
Danke, auf solche Verteidiger des Abendlandes darf ich im Namen meines Nachbarn verzichten (genauso wie Klugscheißer, die mir die von mir täglich frequentierte Karlsplatz-Passage, die sie maximal von Expeditionen kennen, erklären wollen, schön bitten darf, ihre wichtigen Botschaften doch in ein Plastiksackerl zu sprechen und mir dann zu schicken).
Wahr ist vielmehr, dass er, der Südbahnhof, mir in der 90ern und im aktuellen namenlosen Jahrzehnt oft genug erzählt hat, dass er seine alte, ihn ächzen machende Hülle wirklich gerne aufgibt, wenn auf dem vor ihm recht brach herumliegenden Areal ein moderne Ansprüche erfüllendes Ding hingestellt wird, das endlich den Anspruch Wien ins 21. Jahrhundert zu führen wahrmacht. Und einem ehemaligen Wasserschädel mit viel zu vielen Kopfenden zu einer durchlässigen Stadt, die für die Menschen da ist, macht, anstatt die Menschen dauernd dazu zu zwingen für die Stadt da zu sein.