Erstellt am: 18. 12. 2009 - 15:45 Uhr
Eis, Eis, Baby!
Die Grundsatzentscheidung lautet: Leder oder Hartschale? Schnürer oder Schnallen? Alt oder neu? In der Kleinfamilie geht es fünfzig zu fünfzig aus. Die alte Muttl, also ich, schwört seit dreißig Jahren auf weißes Leder und Schnürbänder, das moderne Kinderl will natürlich die progressive Kombi aus Hartschale (außen) und elastischem Schlapfen (innen). Prompt zwick ich mir den Zeigefinger mit einem klassen Schnalzer beim Kinderfußversenken in der deppaten Schnallenschließtechnik ein.
Fluchend verstaue ich die Straßenschuhe in der Sporttasche und bringe sie zu den Garderobedamen, die optisch in den Anfangstagen der Traditionskunsteisbahn des Wiener Eislaufvereins hängen geblieben sind. Nur an Orten wie diesem ist eine Kleiderschürze für eine Frau zulässig und lässig. Hängen geblieben ist in der "Allgemeinen Garderobe" auch ein jahrzehntealter tropischer Mief von verschwitzten Kindern und innerlich tobenden Eltern, dem - Otto Schenk sei Dank - nun weiterhin Wintersaison für Wintersaison neue Stinkemoleküle zugeführt werden können.
Apropos Otto Schenk: Sollte ich jemals in ein so hohes Alter vordringen wie der Herr Kammerschauspieler und dann mit beiden Kufen noch selbstbestimmt am Eis stehen, wünsche ich mir einen Gentleman an meiner Seite, mit dem ich sonntagvormittags im Paarlauf aufgehen darf.
Derzeit klebt allerdings noch eine fröhliche Fünfjährige an meiner Seite, die eigene Prioritäten setzt: zuerst gaaaanz lange eislaufen, und dann Wurstsemmel und Gummischlangen holen. Oh, das Eislaufbahnresti, diese zeitlose Selbstbedienungsschankstätte, die für Veganer und Freunde der biologisch-ethischen Nachhaltigkeit der gelebte Alptraum ist. Ein Traum.
Nach einem Früchtebeuteltee ziehen wir gestärkt, wie das im Winterfreiluftsportjargon heißt, weiter unsere Runden, brav gegen den Uhrzeigersinn. Das Eck rechts beim Eingang ist wie immer dem Eistanznachwuchs vorbehalten, und so wie es eine Pflicht ist, dass die musikalische Untermalung auf Eislaufplätzen von Ace of Base, Cindy Lauper und Roxette kommt (Liebes Christkind, ich wünsche mir von Dir zu Weihnachten eine FM4 Eisdisco mit den DJs Beware und Functionist, u.a. Danke!), muss die Eiskunstlauftrainerin russische Pelzkappe und Marlene Dietrich-Hosen tragen, während sie die zarten, dünn gewandeten Mädchen kommandiert.
Und weil wir schon beim Kommandieren sind: nur wenige Sportarten - und Eislaufen ist auch körperliche Ertüchtigung, liebe Sportcoolnesspolizei - sind dermaßen kontaktfreudig und kommunikativ wie diese! Man kann tratschen, während man sich an der frischen Luft bewegt, man kann jederzeit an der Bande halten und dischgerieren, ohne die Mitsportler aus dem Takt zu bringen, man kann Körperkontakt suchen, wenn man will, kann aber auch vorzüglich solo tanzen, es gibt keine irren Bekleidungsvorschriften wie bei anderen Freizeittrends - what more can you ask for.
Wer sich zwischen Rockefeller Centeresken Wolkenkratzern, Flutlicht und Eighties-Soundtrack nicht so wohl fühlt, dem sei eine grenzüberschreitende Überfahrt auf dem zugefrorenen Neusiedler See zu empfehlen.
Pamela Rußmann
Dort werden die Gesetze der Schwarmmechanik außer Kraft gesetzt, denn eins ist klar: Gegen die allgemein vorgeschriebene Fahrtrichtung dürfen auf der Kunsteisbahn nur zwei Personengruppen verstoßen: Einerseits die rotgewandeten "Badewaschln" vom Eislaufverein, die mit Pfeiferln die wilden Buben und Mädchen davon abhalten, gar zu nahe an die Eismaschine zu preschen, wenn diese die Oberfläche einwassert; und andererseits die Eishockeycracks, groß wie klein, wenn sie aus dem abgetrennten Hockeyviereck raushechten und den Amateuren zeigen, was Tempo und Durchsetzungsvermögen sind. Sollte sich mein Traum vom Eistänzer übrigens nicht erfüllen, einen durchtrainierten, verschwitzten Eishockeyspieler tät ich auch nehmen.