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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

13. 12. 2009 - 23:03

Fußball-Journal '09-119.

Die Verlierer der Bundesliga-Herbstsaison 09: der moderne Außenverteidiger und das taktische Verständnis.

Klare Verlierer sind einmal mehr die Vereine, die aus der Retorte geschlüpft sind. In Klagenfurt fällt dem dortigen Team alles auf den Kopf, was dort seit Jahren (politisch motiviert) schiefläuft. Und in Oberwaltersdorf, sorry Wiener Neustadt, wird der bestmögliche Coach per Handstreich ersetzt, wenn er nicht so spurt wie sich das die branchenfremden Bosse und Einflüsterer (Stronach und Neumann) vorstellen (Fall Kuljic).
Das ist nicht traurig, sondern nur folgerichtig, und kündigt den absehbaren Rückzug beider Fördergruppen an.

Nachtrag, ein paar Tage später: Verlierer ist auch der Glaube an das Ende der in Gutsherren-Art geführten Vereine. LASK-Gott Peter-Michael Reichel wird sich im Winter, so scheint es, seines Trainers entledigen. Statt in einer sicheren Aufbau-Saison nachhaltig zu wirken, setzt er wieder auf den schnellen Populismus. Unbelehrbar.

Es rächt sich, wenn man Bilanzen zieht, ehe noch die letzten Spiele absolviert sind. Der Kurier von heute etwa steckt den Austrianer Hattenberger in die Loser-Kiste, seinen Kollegen Suttner unter die Gewinner. Und prompt spielte der eine heute, der andere hingegen nicht; schlechte Optik.

Dazu kommt eine grobe Fehleinschätzung: Markus Suttner, ein wirklich guter Linksverteidiger, ist nicht nur keinesfalls Aufsteiger der Saison, er ist einer der Leidtragenden einer diesen Herbst schwelenden Tendenz zum taktischen Analphabetismus die in Österreich absurde Urständ' feiert: der Abwehr vom Außenverteidiger.

Heute etwa ließ Karl Daxbacher, sonst ein Freund mutiger (und deshalb auch meist richtiger) Entscheidungen, hinten vier Pfosten, quasi vier Innenverteidiger spielen: Ortlechner, der diese Rolle brav aber ohne Lächeln erfüllt, links und Vorisek, der defensive Mittelfeldspieler, rechts.
Das gemahnt an Didi Constantini, Franz Lederer und all die anderen im vorigen Jahrtausend steckengebliebenen, die keine Kenntnis vom modernen Angriffspiel auf der Basis angreifender Außenverteidiger erlangt haben.

Keine Kenntnis von modernem Angriffspiel

Daxbacher hat sich die Rausstellung von Suttner gut überlegt; sie hat einen strategischen Zweck. Eine ähnlichen übrigens wie die eines anderen sehr guten Außenverteidigers, Andreas Dober von Rapid, der in den letzten Spielen auch seinen Stammplatz verlor.

Beide, Suttner wie Dober, spielen direkt hinter einem unverzichtbaren Spieklgestalter, in deren Geiselhaft sich Austria und Rapid sich freiwillig, ja sogar erfreut begeben haben: Acimovic und Hofmann.
Beide haben sich zwar in großen Ligen (Deutschland, Engand, Frankreich...) nicht durchgesetzt, in Österreich aber sind sie wahre Donnergötter.
Sie sind beide so rund um die 30, also im Alter der verlorenen österreichischen Generation, deshalb stechen sie heraus. Sie sind also die Zufalls-Gewinner der Verwüstung, die die Nachwuchs-ignoranten Export-süchtigen Vereinsfürsten der 90er verbrochen haben.

Und weil das so ist, wird ihnen sowas wie eine moderne Philosophie, eine teamorientierte Strategie geopfert. Man richtet das Spiel auf sie aus. Hofmann, der nominell rechts im Mittelfeld spielt, bekommt, nachdem er es über Jahre nicht schaffte den ebenso kreativen Dober als Wasserträger zu domestizieren, jetzt in Stefan Kulovits endlich einen leibwächter, der die Löcher stopft, die entstehen, wenn er seine Position verläßt (was in jedem Spiel andauernd passiert).

Über ein paar andere Verlierer gibt es wenig zu sagen, weil zumindest ich von ihnen auch nichts anderes erwartet habe: die Ultras können es nicht lassen sich ideologisch und auch inhaltlich zu entblöden, müssen Hitler-Fahnen schwenken und Franco feiern, Platzstürme planen, sich mit internationalen Fascho-Truppen verabreden und ihre Vereine erpressen. Selbst die Innsbrucker haben sich dem Niveau angepaßt.

Und in der einzigen Sache, die sie so halbwegs korrekt angegangen sind, in der Frage des Pyro-Gesetzes, haben sie's auch: verloren.

Ein Rückschritt tief in die 50er

Das annähernd selbe gilt für Acimovic, der lieber links im Mittelfeld spielt, wo er weniger arbeiten müßte als in der Zentrale, aber sein Schönwetter-Können effektiver einsetzen kann. Auch er hat hinter sich lieber einen defensiv orientierten Aufräumer denn einen offensiv denkenden Linksverteidiger moderner Prägung.

Das mag punktuell nachvollziehbar sein.
Es stellt aber einen wirklich verheerenden Rückschritt in der taktischen Entwicklung einer nationalen Szene dar. Denn, so die simple Denke einer simple denkenden Branche, was für Rapid und Austria gut ist, wird wohl auch allen anderen passen.

Nun gibt es aktuell mit Ausnahme der Coaches von Kapfenberg und Wr. Neustadt niemanden, der nicht zumindest partiell auf den Zug aufsprang und sein Team vom scheinbaren Übel eines echten "Außenverteidigers" befreite. Gut, Gludovatz hat gleich auf ein ganz anderes System umgestellt, Stevens hat seinen anfänglichen Unfug schnell eingesehen und von einer Vierer-Pfosten-Kette auf die aktuell besten Back-Four umgestellt. Und Franco Foda verirrte sich nur manchmal, mit Sonnleitner auf der Seite.
Dass aber Leute wie Pauschenwein, Thomas Riedl, Sedloski oder Chinchilla als Außenverteidiger mißverstanden werden, dass sich auch beim Nachmacher Constantini im Nationalteam ein Rückfall in die 50er bemerkbar machte, ist die Folge von solch punktuellem Denken.

Das Mißverständnis der Expertise heimischer Coaches

Deshalb sind nicht nur Suttner oder Dober, sondern alle Außenverteidiger die Verlierer des Halbjahres. Und darüber hinaus natürlich das taktische Verständnis in diesem Fußball-Land. Das ist wieder einmal, und zwar merklich, geschrumpft. Und zwar in einer Position und in einem Maße, das ich nicht für möglich gehalten habe.

Dieser Rückschritt ist der katastrophale Nebeneffekt der neuen europäischen Qualität der Top Vier. Das nämlich hat die hiesigen Coaches, die allesamt keine seriöse Auslandserfahrung haben, nämlich in etwas bestätigt, was es gar nicht gibt: eine inhaltliche Expertise der heimischen Trainer-Gilde. Anstatt Europa als das zu nehmen, was es ist, als Lehrmaterial, als Lernbeihilfe, anstatt sich die Strategien der Gruppen-Gegner genau anzuschauen, anstatt zu lernen (wie das einige Spieler taten) nahm man sich das recht heraus sofort mitreden zu können. Die heimischen Trainer, jahrzehntelang europäisch drittklassig, lernresistent, dachten - nach dem Zufall der Qualifikation von vier Vereinen - wieder im Hausverstand-Bereich; und der ist maximal auf der Höhe der 80er angelangt.

Der, der's am deutlichsten aussprach, der Unverblümteste, war der Teamchef, der innerhalb von Tagen seine vorher schon gepflogene Ablehnung gegen die Legionäre durch den Herbst bestätigt sah und das offensiv vorantrieb, was sich Woche für Woche auf den heimischen Plätzen tat. Wer dieses Geschehen als Maßstab für sein Fortkommen, für seine Strategie, für seine Systeme und für seine Taktik nimmt, ist verloren.

Vernichtung von Talent und Substanz

Genau das passiert aber aktuell, und es ist nicht nur, aber durchaus exemplarisch am Beispiel der Vernichtung einer wichtigen Gattung (der der Außenspieler) nämlich festzumachen.

Dass die Wahl zum Fußballer des Jahres die Spieler, um die herum ein Konstrukt mit solchen Folgen aufgebaut wird, an die Spitze bringt: typisch.
Hinter Hofmann und Acimovic wurde da übrigens Janko Dritter, und mit dem wäre das ja fast auch passiert. Glücklicherweise weigerte sich Huub Stevens sein System auf einen einzelnen Spieler auszurichten, glücklicherweise stellte er sein tapsig-unkreatives System von Juni/Juli/August ab September auf ein flexibles, und deshalb lebendiges um.

Aber das berührt schon den zweiten Teil dieser kleinen Reihe, Die Gewinner der Bundesliga-Herbstsaison 09. Das sind unter anderem die 1. Linie von Salzburg, vor allem die Abwehr und Schiemer, die Sturm-Zwillinge, die schnell Aufgerückten wie Dragovic, Drazan, Baumgartlinger, Pehlivan oder auch Ronnie Gercaliu. Morgen mehr.