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Albert Farkas

Ein kühnes Kratzen an der Oberfläche von Hohlräumen.

12. 12. 2009 - 23:36

Trance Ferdinand

Poptheoretische Nullsummenreflexionen über das Wesen des Live-Konzerts als Garnier zu einer schottischen Prog-Massentaufe im Wiener Gasometer.

Als Robert Atchison, in seinem Brotberuf ein Manager in der Reiselogistikabteilung von Apple in Kalifornien, 1987 im Alter von 34 endlich das erste Mal Fuß in das Innere des Alexanderpalasts setze, war er unbeeindruckt. Auf die Lektüre eines Kinderbuches über das Schicksal von Prinzessin Anastasia hin hatte er sein ganzes Leben davon geträumt, den Herrschaftssitz außerhalb von St. Petersburg zu sehen. Aber dem Gebäude, das seit Ende der Zarenzeit zwischenzeitlich als Marinedepot, SS-Kommandantur und als Waisenhaus hergehalten hatte, war durch die Jahrzehnte der Verwahrlosung schwer zugesetzt worden; die Fassade befand sich im fortschreitenden Zustand der Zerbröckelung, vielerort hatten Schimmel und achtlose Handhabung Decken- und Wanddekorationen verwüstet und generell hatte das ganze Anwesen kaum mehr etwas mit den imposanten Vorstellungen seiner kindlichen Fantastereien gemein. "Na schön", dachte er sich, krempelte die Ärmel auf, gründete nach der Wende die Vereinigung für den Wiederaufbau und die Restaurierung des Alexanderpalasts, und widmete sich seitdem persönlich der Leitung der Instandsetzungsmaßnahmen. Das ist ein höheres Maß an Engagement, als man den meisten Kulturliebhabern zuschreiben kann, bei denen es in ihrer erstmaligen Begegnung mit dem Objekt ihrer Leidenschaft nicht gefunkt hat.

Alex Kapranos

Florian Wieser

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Alles....muss...sollte...vielleicht..mal...raus...

Heute, wo jeder Mensch mit Internetanschluss binnen eines Fingerklicks von allem und jedem die Kopie eines Bild- oder Tondokuments in Haus geliefert bekommen kann, ist es wohl schwieriger, das Fermentieren so eines ideellen, leidenschaftlichen inneren Bezuges durch die Ausblendung allfälliger Zweifel zu begünstigen. Trotzdem ist es nicht zulässig, Userinnen und User, die angesichts dieser universellen Verfügbarkeit schon der Ansicht sein mögen, dass die von einigen wenigen tatsächlichen Erlebnissen ausgehende Stimulierung mit jener der Zufuhr einer so großen Masse an digitalen Symbolen schon gar nicht mehr mithalten kann, in diesem Glauben zu belassen.

Es gibt nach wie vor zwingende Gründe, dass man rausgehen muss. Bewunderer bildender Kunst werden argumentieren, dass die Wahrnehmung der verwendeten Farben und des variablen Lichteinfalls die Erfahrung eines physisch vorhandenen Gemäldes von der Begutachtung eines generischen Fotos distinkt machen, Reise-Aficionada/os werden zurecht darauf verweisen, dass sich die echte Atmosphäre eines Ortes genausowenig von Google Earth vermitteln lassen kann wie von analogen Prospekten, und Verfechter klassischer Musik werden die bestechende Akustik der renommierten Aufführungshäuser veranschlagen, die man einfach vor Ort miterlebt haben muss. Und Fans von Rock-Konzerten….ja weiß Gott, was die da alles anführen werden.

Nick McCarthy

Florian Wieser

Single...Album...Single...Tour...Single...Single...Album... Tour...Zahnspange

Seit mehr als 50 Jahren ist die Reproduktion eines Stücks Musik auf einer Bühne das unhinterfragte O zum studioplattenhaften A, die Tournee und ihre eigentlich-rigideren-als-man-glauben-möchte Konventionen der anerkannte Modus zur direkten, lebendig-machenden Übertragung der eigenen Kunst aufs Publikum. Seit Elvis kam dieser Ritus mit dem Personenkult-Benefit, dem zufolge sich Hörerinnen und Hörer zu Hause bei allen mögliche Interpreten in eine Vorstellung hineinversetzen konnten, in der sie die jeweiligen Musiker liebten, und in der sie sie möglicherweise zurückliebten, wo jedenfalls die Aussicht bestand, dass diese Beziehung durch die fleischliche Anwesenheit dieser Ikonen und das Geschrei und den Schweiß (wenn nicht durch's darauf folgende, unablässige Ausharren vor den Backstage-Toren) auf's 1000fache intensiviert würde. Dieses Phänomen hat, möchte ich meinen, dadurch, dass es sich auf ein stetig anwachsendes Aufgebot an im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit stehenden Stars aufgeteilt hat, an Stärke etwas verloren.

Ein anderer Bonus ist die Berechenbarkeit der Performance, die ja aber im Pop eh noch immer geringer ist als in der klassischen Musik, die es einer Besucher/in aber immer noch ermöglicht, anzunehmen, dass zumindest die populäreren ihrer/seiner Lieblingslieder mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zur Darbietung kommen werden, und das in Alltagssituationen endlos geprobte Mitsingen dann endlich voll zur Entfaltung kommen kann. (Bei der einen Hälfte der Menschheit ist da aber zumindest die Textebene völlig vernachlässigbar, weil Musik eh nur rein über den Körper stattfindet, das ist dann immer extrem super.) Wobei ja aber in Wahrheit ein Großteil der Freude bei einem Konzert damit steht und fällt, ob man rechtzeitig zum Einsatz selbst individuell zur emotionalen Identifikation mit diesem oder jenem Herzenslied finden oder wieder finden kann. Ob dieser zum Gelingen notwendige Funke eigentlich tatsächlich mehr eine Bringschuld der KünstlerInnen oder eine Holschuld des Publikums, oder von überhaupt irgendjemandem eine Schuld darstellt, würd ich mich bis heute, außer in Ausnahmefällen, wo ein Act offensichtlich komplett durch den Wind ist, nicht aufzuzeigen zutrauen.

Alex Kapranos

Florian Wieser

...und was zum Spielen....und Schokolade!

Abgesehen von all dem ist ein Live-Konzert aber natürlich, wenn man sich darauf einlassen kann, ein kommunales Erlebnis, wie eben auch in die Kirche zu gehen, oder sich im Mittelalter eine Hinrichtung anzuschauen, oder Schauprozesse, wobei es da, selbst bei der prosaischsten Landpredigt, ja aber eben auch immer das Überraschungselement gibt, auf das ich, nachdem ich diese ganzen Abläufe jetzt unnotwendigerweise so geschildert habe, als ob ich es mit einer Leserschaft von Marsmenschen zu tun hätte, nicht zum Schluss eingehen will: 90% aller Lieder, die ich jemals in einem Live-Kontext vorgespielt bekommen habe, waren in (grob) exakt demselben Arrangement gehalten wie auf Platte.

Das hat natürlich mit praktischen Gründen zu tun. Wenige Laien können es sich überhaupt vorstellen, ein auch nur 15 Nummern umfassendes Repertoire für eine 10, 20 30, oder, so wie im Fall von Franz Ferdinands am Freitag zu Ende gegangener Tour, 50 Termine umfassende Konzertreise einzustudieren. Da noch für jeden Song abweichende Orchestrationen und Tempi einzustudieren, und womöglich dann gleich mehrere, ist so, wie wenn man es sich als Regisseur aufbürden würde, den selben Film in seiner Gesamtheit einmal als Spielfilm, als Animationsfilm, als Dokumentarfilm und als Pantomimenfilm umzuetzen, um das Endprodukt aus Teilen all dieser Fassungen mühsam zusammenzustückeln (also ungefähr so, wie der Soundtrack von "Apocalpyse Now" zustande gekommen ist).

Es kann es niemand einer Band verdenken, wenn sie sich im Schweiße ihres Angesichts mal dazu entschließt, dass der Nachweis ihrer musikalisch-technischen Fähigkeiten und die generelle Projektion ihrer Attitüde hier und heute mal Genüge tun muss. Trotzdem empfinde ich hier sogar den Medley-Ansatz bei alt-eingespielten Kräften wie einen Hauch frischen Atems.

Alex Kapranos

Florian Wieser

Ich habe es mir hier aber darüber hinaus erlaubt, im Laufe der letzten Monate einige Ideen zusammenzutragen, wie man diese doch etwas steif gewordenen protokollarischen Gebräuchlichkeiten etwas reformieren könnte. Es sind ja nur Vorschläge.

1) Szenarien schaffen, in denen die Interpreten situationsbedingt extrem benachteiligt sind. Antagonismus trägt immer extrem dazu bei, mit der Dramatik des Moments aktiv mitzufiebern. Ich empfehle die regelmäßige Installation eines Mega-Windkanals, "Song 2"-Style, am Bühnenrand, gegen den die Musiker anspielen müssen. Oder gegebenenfalls das ersponnene oder tatsächliche gegen-sich-Aufbringen von Securities oder sogar der Polizei. Konzerte, die aus welchen Gründen auch immer am Rande des Abbruchs stehen, haben einfach einen unleugbaren naiven Charme.

2) Mehr Theatralik. Ich mein das wortwörtlich, im Sinne von Theater-Performance. Soll doch ein Schauspieler-Ensemble, so genügend Platz ist, die Handlung oder Stimmung der Lieder parallel zur Darbietung gestisch darstellen. Mir ist das egal, wenn das zu highbrow werden könnte, ich glaube, dass das Vorhandensein der Band und überhaupt des ganzen Rock-Kontexts schon genug ist, um das Abdriften eines solchen Kniffs in reine blutleere Ballett-Nirwanahaftigkeit zu verhindern.

3) Mehr Kommunikation mit dem Publikum, mehr originelle, formal innovative Interaktion mit dem Publikum. Sorry, aber das ist nach 50 Jahren reiner Klatsch- und Stampfaufforderungen echt nicht zu viel verlangt. Ich sehe hier Potenzial für ironische Rahmenbrechungen und –rekontextualisierungen galore. Beginnend mit möglichen Einleitungen wie “Dieses Konzert kann für Ausbildungszwecke aufgezeichnet werden” über ostentative Trivial-Affirmation ("Wer von Euch hier drin trägt gerne….T-Shirts?!?" in etwa) bis hin zur Austragung soziopolitisch stichhaltiger Referenden (pro oder contra Atomstrom, Emissionshandel, Essigchips etc). Da geht noch was, ich bin überzeugt.

4) Äh, laut sein. So laut es geht halt. Haben eh schon Spinal Tap gewusst. Wenn nichts mehr geht, geht doch immer noch Überwältigung, oder? Vielleicht bin ich einfach nicht filigran genug.

...ODER!, VOILÀ, TONIGHT:

the drums of death

Florian Wieser

Franz Ferdinand

All das oben geschriebene trifft aber jeden Falls ohnehin nicht auf Franz Ferdinand zu. Die haben, was mich angeht, spätestens seit “Eleanor Put Your Boots On” die Krone als Meisterabwandler ihres eigenen Song-Inventars inne, und das gestern vorgeführte Cover von LCD Soundsystems "“All My Friends" beweist, dass sie es auch bei aus fremden Quellen stammendem Material verstehen, einen fabelhaften Song zu einer noch unglaublichere Neufassung umkonfigurieren zu können. Außerdem war überhaupt alles, alles vom Ablauf her anders als noch vor 11 Monaten im Tortenrausch, eine expertenhaft gewichtete Version von "Walk Away" ist jetzt die designierte Zugabenblock-Einleite-Nummer, und "This Fire" ist nicht mehr die obligatorische Schlussnummer, sondern "Lucid Dreams".

Und das wiederum ist gemündet in eine Konstellation, in der sowohl Alex als auch Nick sich an den Keyboards zu einer Elektro-Bombastorgie verstiegen haben, die sich zu einem hypnotischen wagnerianischen Höllenritt emporgewunden hat, bis alles andere, alle vorhergegangenen Stücke um mehr als eine halbe Stunde, und damit in die entlegensten Winkeln des Bewusstseins entrückt waren, sprich, bis sich jede/r Anwesende/r ganz und gar in einem Bannzustand befunden hat, der mit einem herkömmlichen Popkonzert aber wirklich schon gar nichts mehr zu tun hat. Und da haben wir das überbordernde Quartett-Schlagzeuger-Gelage bei "Outsiders" noch gar nicht mal zur Sprache gebracht.

Etwas vergleichbares an Wagemut und Virtuosität habe ich vorher überhaupt erst einmal miterlebt, als The Coral bei einem Festival-Auftritt nach drei regulären Nummern einfach in einen abendfüllenden Jam ausgebrochen sind. Fuck, sowas will ich sehen, keine erwartungsgemäß dahingespulten 3-Minuten-Nummern!

Franz Ferdinand sind eine Band, die als eine von ganz ganz wenigen bei Überlegungen, ob man selbst von der eigenen Beschaffenheit her nun wohl eher für eine Musik nach zerebraler oder erschütternder oder verrückter oder verfluchter Art empfänglich und also der "richtige Typ" ist, nie ein Ausschlussfaktor ist. Diese Band liebt ihre Fans und ist bereit, sich in der Ausforschung und Auslebung ihres kreativen Arsenals an den Rand der Selbstaufopferung zu treiben, um alle ihre Fans auf eine höhere – und tiefere – Bewusstseinsstufe zu befördern. Und das ist mindestens so wertvoll wie ein Fabergé-Ei.

...keep pounding

Florian Wieser