Erstellt am: 12. 12. 2009 - 20:27 Uhr
Journal '09: 12.12.
Kürzlich hab ich mir nächtens meine Aufzeichnung einer TV-Live-Sendung angesehen. Der deutsche Kabarettist Dieter Nuhr hatte sich im November und Dezember über vier Live-Shows drübergetraut (gut, nur die beiden ersten waren wirklich live, die beiden letzten wurden am Tag der Sendung aufgezeichnet) - durchaus eine Seltenheit.
Abseits von News, Sport und Samstagabend-Show ist das "Live" ja eine riesenhafte Angst-Hürde. Weil Fernsehen ein wenig bewegliches Medium ist, in dem weltweit Vorsicht, Hasenfüßigkeit und Penibilität regieren hat sich der Mut zu "live" in den letzten Jahren und Jahrzehnten ja zurückentwickelt.
Dass etwa Late Nites sich seit Jahren mit einer Aufzeichnung kurz (USA, Deutschland) oder Tage (Österreich) davor begnügen, liegt in den vielen Ängsten begründet. Die Sicherheit allzu Gewagtes noch rausschneiden zu können, bedient das entsprechende Bedürfnis der Verantwortlichen. Und, ja, auch diese kleine Form der Feigheit und dem Nachgeben einer zumeist als purem Konstrukt anwesenden Form von "Security" führt dazu, dass sich Gesellschaften, die sich ohnehin schon (grundlos) unsicher fühlen, noch zusehends einbunkern und zu fremdeln (und dadurch dann automatisch auch zu stinken) beginnen; nur per Mosaiksteinchen, aber doch.
Echtzeit-Feeback
Dass Dieter Nuhr sich im Rahmen einer Satire-Sendung drübertraut ist aller Ehren wert, noch dazu wo er da ein Schritterl weitergeht als etwa Alfred Dorfer mit seinem Donnerstalk und auch mit unkontrollierbaren Live-Elementen (zb Mails) anreicherte. Das war die ersten beiden Shows über wenig hilfreich, weil auch der beste satirische Autor seine Gags und real-Zynismen nicht spontan findet, sondern eine Nachdenk-Phase braucht. In den beiden letzten Shows wurden dann Mails/Videozuspielungen verwendet, die dem Sendungsträger schon im Vorfeld bekannt waren; das klappte dann besser.
Trotzdem führte das Live bzw Fast-Live einer im Normalfall sicher aufgezeichneten, editierten und eben nicht total tagesaktuell vorproduzierten Show zu zahlreichen Situationen, die den Unterschied zwischen gescripteter Einlage und Echtzeit-Feedback deutlich aufzeigten. Vor allem, wenn man etwas seriell aufzieht.
Auch weil der Proponent das zuließ.
Wenn es nämlich Reaktionen auf feststehende einzelne Programme gibt, dann versickern die im Halb-Privaten. Bei Reaktionen auf Serielles fließen die in der nächsten Folge ein. Ganz wie es die neuen Kommunikationswege in den neuen Medien vorgeben: die statische Form, in der derlei sonst zumindest ab dem Wochenformat passiert, ist nicht sinnvoll aufrechtzuerhalten.
Formalistisches Ablenken
Im Fall der Nuhr-Sendung führt das zu durchaus bekannten Phänomenen. Da sieht sich dann auch der Satiriker genötigt, auf Dinge einzugehen, die eher formalen und wichtigtuerischen Wert haben als inhaltliche Relevanz.
Und der sonst so souveräne Nuhr spricht grimmig feixend von "Korinthenkackern" die sich über Wenig-Wichtigkeiten wie die richtige Aussprache von "Chile" ereifern, anstatt seine grandiosen Denkanstöße zur Absurdität des deutschen Einsatzes in Afghanistan aufzugreifen und weiterzudenken.
Draufzukommen, dass jedes Publikum, auch das scheinbar intelligente, ab einer gewissen Partizipations-Dichte zum oberflächlichen Kritikaster degeneriert und sich - hinter dieser gesellschaftlich akzeptierten Form der Pöbelei versteckend - einer Debatte durch formalistische Ablenkungen und Beckmessereien enthebt, ist eine bittere Erkenntnis.
Man konnte Dieter Nuhr quasi live dabei zuschauen, wie ihm genau das einschoss.
Es ist nichts Neues, dass die Krawattenfarbe des Präsentators für die Mehrheit mehr Bedeutung hat als die von ihm angebotene Nachricht. Und genau deshalb ist der Kampf um das Bewusstsein des Publikums in der Live-Situation höllisch schwer - und umso lohnender. Weil "live" ganz schwer lügen kann wird natürlich alles, was sich darin bewegt mit der größtmöglichen Glaubwürdigkeit versehen.
Reaktives Zucken
Und die, die sich dort bewähren, sind dann die wirklichen Stars. Egal on Armin Wolf oder Benni Raich oder alle anderen, die durch die Lehrstunde, der sich Nuhr gerade eben unterzogen hat, schon durch mussten.
Ich schätze, dass die letzte natürliche Autorität, die sich die österreichischen Politiker bewahrt haben, aus genau dieser Live-Authentizität ziehen.
Und wenn wir jetzt einmal den Schwachsinn, mit dem ein Publikum, das sich in jedem Fall jedem gegenüber so ziemlich alles anmaßt (was in der demokratischen Natur der Sache liegt) gegen Nuhr, Wolf oder Raich stichelt, auf die Volksvertreter hochrechnen, offenbart sich der irrsinnige Druck unter dem diese Kaste steht. Denn das, was bei Satirikern, Fragestellern oder Sportlern noch als gemeinsamer Auftrag verstanden wird, das wendet sich bei "der Politik" fast ausschließlich ins Feindbildhafte.
Eigentlich haben Politiker im Rahmen dieser Dynamik überhaupt keine Chance einem destruktiven Feedback zu entkommen. Letztlich sind sie und ihre medialen Verhaltensweisen nur ein reaktives Zucken eingesperrter Kaninchen in einem von den Konsumenten gesteuerten Käfig mit Kochplattenboden. Letztlich haben wir also die Vertreter, die wir selber so hingedrillt haben.
Die Leserbrief-Demokratie
Wer nämlich, wie die österreichische Mehrheitsgesellschaft, auch die politisch interessierte, nicht Willens ist, tatsächlich relevante inhaltliche Aussagen der Verantwortlichen zu belohnen, sondern nur an Wrestling-Ausmachungen gemahnende Figuren fördert, der bekommt sie.
Denn nicht einmal das, was der cleverste österreichische Medienmacher neu entdeckt und wiedererfunden hat, ist an den Bedürfnissen der Mehrheitsgesellschaft vorbei entstanden: die Krone-Leserbrief-Schreiber und ihre definitorische Herrschaft über das Land.
Hans Dichand mag aktuell ja gar keine eigene Meinung mehr wiedergeben, wenn er in seiner Freitagsbeilage rituell befragt wird. Es ist auch nicht mehr nötig: es genügt völlig die dort entsprechend entwickelten Meinungen zu zitieren und auf dei Relevanz dieser neuen Schein-Volksherrschaft zu verweisen.
Und auch das hat sich die Mehrheitsgesellschaft der politisch Interessierten verdient. Wer sich rausnimmt aus allen Debatten, egal mit welcher flachen Ausrede (inneres oder echtes Exil, "ist mir zu blöd", man kann eh nix ändern etc) hatte immer damit zu rechnen, dass sich dann eine Vorurteils-Lobby durchsetzt.
... und die Gegenmaßnahme
Und die Wertigkeit der Publikums-Partizipation wird steigen. Egal ob in den neuen oder den alten Medien, egal ob sie echt, geschönt oder hingefönt wird.
Gut beraten ist, wer sich dieser Entwicklung - und damit auch der Problematik der Live-Situation - stellt.
Gut beraten sind auch diejenigen, die die Rolle dieses Publikums neu interpretieren. Denn die Ausreden-Generation der heute über 35jährigen, die sich selber aus dem Spiel genommen haben, hat versagt.
Es liegt an den jungen Audimaxisten sich hier so clever und effektiv einzubringen, dass man mehr nicht an ihnen vorbeiwerkeln kann; und auch dass sie den Turnaround von der gesteuerten Meinungsabgabe bezahlter Jubelperser hin zu einer echten Partizipations-Demokratie schaffen.