Erstellt am: 12. 12. 2009 - 12:03 Uhr
Escape in New York
Wer zu spät kommt, den bestraft der Check-In-Schalter. Und so wurde ich am Samstag, dem 28. November, eine Stunde vor Abflug der Maschine, wieder nach Hause geschickt. Ich tumber Tor, der ich in diesem Jahrtausend noch nicht in die USA eingereist war, hatte vergessen oder verdrängt, dass seit 9-11 die langen Arme des Heimatschutzes bis nach Schwechat reichen und daher, selbst bei nur mit Handgepäck einreisenden Touristen wie in meinem Fall, wohl tatsächlich zwei- bis dreistündige Vorwarnzeiten vor Abflug einzuhalten sind. Oder war der Flug nur einfach überbucht und ich der Handgeküsste? Schade, aber egal. Jedenfalls musste ich wohl oder übel meine Reise auf den nächsten Tag umbuchen, aber ab dann ging alles glatt.
Drei Tage New York lagen vor mir. Drei Tage in einer Stadt, die ich früher trotz und wegen allem großartig fand. Überwältigend und überfordernd, fremd und vertraut, kühn und kaputt, schön und hässlich, modern und traditionsreich zugleich. Eine Stadt, der ich Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre mehrmals im Hochsommer beim Gentrifizieren zugesehen und mir dabei zwischen Tiefkühl-Indoor-Zonen und Freiluftsauna den bis dato einzigen veritablen Kreislauskollaps abgeholt hatte.
Diesmal, über ein Jahrzehnt nach meinem letzten Aufenthalt, war es Spätherbst, und auch sonst hatten sich vielen Rahmenbedingungen geändert. New York gilt heute ja nicht mehr nur die Stadt der Versprechungen, sondern auch als Stadt der Krise. Eine Metropole, deren Leben und Überleben noch strikter der Willkür des globalen Kapitals unterworfen scheint als andere und sich trotzdem eine unberechenbare Energie bewahrt hat; die sich trotz der gar nicht mal so unsichtbaren Hand des Markts, der ausuferndem Sicherheitswahn- und einschneidenden Kontrollfantasien (von den horrenden Strafen für Outdoor-Trinken bis zur hyperbürokratischen Fixierung auf möglichst detailierte „credit reports“ zur Durchleuchtung der Schulden bzw. Geschäftswürdigkeit) in ihrem Eigensinn immer wieder neu erfindet.
Texte zur Kunst
„Escape to New York“, hieß der mit John Russell alias Snake Plissken bebilderte Titel eines 2004 erschienenen Themenhefts von „Texte zur Kunst“. Darin wurde, schließlich darf man den Titel ja auch im John Carpenter-Sinn einmal umdrehen, von Kim Gordon bis Yoko Ono diverse Künstlerinnen gefragt, ob sie schon einmal daran gedacht hätten, New York zu verlassen. Die Ex-Kölner Zeitschrift selbst hatte ihrer Gründungsheimat Köln bereits 2000 den Rücken gekehrt und war, wie so viele andere kunstaffine Institutionen in den Nullerjahren, in die kreative Boomtown Berlin abgewandert. Berlin, so behaupten nicht wenige, habe - vor allem wegen des im Vergleich billigen Wohn- und Arbeitsraums und des dadurch motivierten internationalen Kunstvolkzuzugs - mittlerweile New York den Status der Weltkunsthauptstadt den Rang abgelaufen. An der Spree sei halt alles immer noch ein bisschen arm und ziemlich sexy. Dem Hudson und seinen schicken, mit High-End-Modeläden durchmischten Galerienclustern in Chelsea bleibe da maximal die Goldmedaille am Markt.
Auch ich wollte mir auf meinem Kurztrip diesmal in erster Linie Kunst ansehen. Unmittelbarer Anlass dafür war eine noch an 10 weiteren Orten zwischen Israel und Fernost andockende Wanderausstellung, die derzeit in ihrer Maxi-Version in der Kunsthalle Wien und in New York in abgespeckter Variante im Austrian Cultural Forum auf der 52. Straße zu sehen ist: „Videorama“, eine Überblicksschau über aktuelle österreichische Videokunst. Während in Wien die aus den Beständen des 2006 gegründeten Videoarchivs der Kunstmäzenin Ursula Blickle bestückte Selektion in teils ungestümer VJ-Manier und mit innovativen Ineinanderblendungen von Projektionen verschiedene Arbeiten aufeinanderhetzt (was manchmal zu gelungenen Mixes mit synästhetischem Mehrwert führt, manchmal aber auch zur sinnentleerten, kunterbunten Schauwert-Opulenz gerinnt), geht es in New York weit konservativer zu. Dort hat man versucht, den Wildwuchs der Kunst-Videos, die in der Wiener Variante auch stark von der Experimentalfilmszene (vom anarchischen Humor Mara Mattuschkas bis zu den U-Bahn-Architektur-Wahrnehmungsstudien von Darius Kowalski) genährt wird, mit drei Begriffen zu bändigen: „Subversion, Absurdität und Form“. Abgesehen von der Allerweltsformel der Form, sollten die ersten beiden Hinweise auf Subversion und Absurdität wohl auch als spezifisch österreichische Attribute für eine aufmerksamkeitsökonomische Labelung der Ausstellung sorgen. Schließlich hat man es in New York nach wie vor mit einer kaum überschaubaren und von harter Konkurrenz geprägten Kunstöffentlichkeit zu tun. Aber stellt sich eine „Subversion“ des Kunstmarkts tatsächlich schon über das bloße Insistieren auf ein angeblich nach wie vor kommerziell sperriges Format Video ein, wie es in einer Podiumsdiskussion vor Ausstellungseröffnung der Rektor der Angewandten in Wien, Gerald Bast, nahelegte? Der Künstler Thomas Draschan, der in seinem Beitrag “Heroes“ (2004) ein rasant geschnittenes Mash-Up filmischer Bewegungen und Gesten zwischen Kriegsbildern und Hollywood-Pathos lieferte, widersprach jedenfalls gleich jeder Vereinnahmung seiner Arbeit als „kritische“ Kunst - und suhlte sich lieber in der Lobrede auf den seiner Arbeit eigenen Eskapismus: Stop making sense, immer noch.
Tomas Eller
Einige andere Arbeiten setzten hingegen auf dezentere Verschiebungen von (medialen) Erfahrungsräumen: zum Beispiel „Electricnight“ von 2002. Ein Video über das somnabule Treiben von Pistenraupen in einer nächtlichen Schneelandschaft, das Tomas Eller zu einem fast melancholisch anmutenden Ballett wie sinnlos herumkurvender Scheinwerferaugen choreographiert hat. Oder Paul Divjaks Hommage an die gute alte schlechte Medienzeit „Die letzten Bilder der Nacht“(1994): eine geisterhaft zitternde Überblendung zweier Close Ups auf den Adler der österreichischen Flagge, deren Bild in längst vergessenen Zeiten noch den Sendeschluss im ORF markiert hatte.
Apropos längst vergessene Zeiten: Als ich am mittelmäßig besuchten Eröffnungsabend vor der Tür eine Zigarette rauchte, wies mich ein offenbar semiprofessioneller New Yorker Vernissagen-Crasher darauf hin, dass mein weißer Spritzer unbedingt innerhalb der gläsernen Demarkationslinie namens Eingangstür abgestellt werden muss, weil die New Yorker Polizisten absolut keinen Alkohol auf der Straße tolerieren würden. Mit Wehmut dachte ich da an die seligen 80er Jahre und ihre braunen Alk-Camouflage-Papiersackerln. Später, ich war im Schlepptau eines balkanaffinen und New York-auskennerischen Pärchens, dachte ich in zwei angeblich schwer angesagten, aber an diesem Montag gar nicht so vollen Bars an gar nix mehr außer an wohlmeinende Getränke mit hirnerweichenden Namen.
Am nächsten Tag ging´s los mit einer Inspektion des UNO-Gebäudes und dessen Rauchpolitik im Zeichen globaler Kulturkämpfe. In einem Versammlungssaal mit modernistischem 50ies-Chic prangte statt dem amerikanisch-energischen „No smoking“-Schild die Kompromissvariante „Smoking discouraged“, und im traditionell vollgequalmten Presseraum durften wir den etwas erratischen Hinweis „No smoking allowed“ bestaunen. Schön, aber nicht so schön wie die großartigen Agit-Pop-Siebdrucke der Odensschwester Corita Kent, die ich am Nachmittag in einer Galerie in Chelsea zu sehen bekam.
Radio FM4 / Thomas Edlinger
Die meisten der auch typographisch eindrucksvollen Wort-Bild-Kombinationen der 1986 verstorbenen katholischen Ordensschwester sind Zeugnisse der politischen Kämpfe der 60er und 70er jahre, zwischen Antikriegsprotesten, den Bürgerbewegungen und Feminismus - und wirken auch heute noch kraftvoll, originär und unverbraucht. Tags zuvor hatte mich das MOMA mit einer hervorragenden, dichten Bauhaus-Ausstellung ebenfalls mit visionären Grafiken beeindruckt, nur atmeten die noch nicht den Geist von Pop-Art, sondern den der mitteleuropäischen Moderne der 20er und 30er Jahre.
Radio FM4 / Thomas Edlinger
Am Ende aber, nach einer leider nur hastig durchgehechelten historischen Fotoschau „Who shot Rock &Roll“ im imposanten Brooklyn Museum kriegte mich noch ein ganz anderes Amerika. Eines, das ungefähr so viel mit Europa zu tun hat wie Nevada mit New York.
Radio FM4 / Thomas Edlinger
Mike Kelley, der in Los Angeles lebende Spezialist für das US-amerikanische Unbewusste und seine bewusste Vorliebe für Trash, lieferte im Sculpture Center in der Nähe des PS1 in Brooklyn eine Bubble Gum-Überhöhung des alljährliche „Burning Man“-Festivals in der Wüste Nevadas. Dort treffen sich alljährlich nicht nur tausende Rave-Eulen mit Hang zu Bastel- und Ausdruckskunst und anderen bad taste-Vorlieben. Kelley selbst verfolgt wie in einem Stationendrama auf mehreren Videoscreens ein Riesenbaby in Windeln bei diesem neohippiesken Aberwitz und kommentiert die Videos räumlich mit einigen, dem Fantasyland in der Wüste nachempfundenen installativen Gerüsten. Die Hauptperson, das Baby IKKI alias der Performancekünstler Michael Smith macht „ A Vojage of Growth and Discovery“, so der Titel der Medieninstallation.
Mike Kelley and Michael Smith
Mike Kelley and Michael Smith
Nur enthält dieser Entwicklungsroman keinen Reifungsprozess, sondern assoziiert einen Zusammenhang von Infantilismus, Techno-Kult, Bastelseligkeit, Regression, Hippie-Sex - und nicht zuletzt existentieller Verlorenheit, die sich auch zwischen gierig reingesaugten B-Movies als Muttermilchersatz im Wohnwagen und rituellen Feuerspektakeln nicht bannen lässt.
Kaputtkomisch, derbtraurig und so abgründig, wie böser Pop sein soll. Ein schöner, ein würdevoller Abschluss meiner leider doch viel zu kurzen New York-Reise. Escape from oder escape to New York? Am 2. Dezember hätte ich dazu am liebsten einen alten Satz nachgebetet: Überall ist es besser, wo wir nicht sind – nur nicht im ewig dahinzuckelnden A-Train, der nicht und nicht am JFK-Flughafen ankommen will.