Erstellt am: 12. 12. 2009 - 13:45 Uhr
Abgenabelt
FM4 unterstützt dieses Jahr das Laura Gatner Haus, ein Heim für unbetreute minderjährige Flüchtlinge
Alle drei Tage fährt Herbert Steiner junge Flüchtlinge in den sogenannten Außenwohnungen des Laura-Gatner-Hauses besuchen. Steiner arbeitet seit sechs Jahren als Betreuer in dem Heim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im niederösterreichischen Hirtenberg. Von der Glühbirne, übers Klopapier bis zu Fragen die Ausbildung der Burschen betreffend, gibt es bei seinen "Versorgungsfahrten" jedes Mal vieles zu klären.
FM4/Sarah Seekircher
Das erste Ziel der heutigen Fahrt ist eine Wohngemeinschaft im von Hirtenberg zehn Kilometer entfernten Theresienfeld. In einer spärlich eingerichteten Wohnung leben Mirweis und Arian (Namen von der Redaktion geändert) mit zwei anderen Burschen auf Afghanistan. Herbert Steiner setzt sich ihnen an den Küchentisch. Er erkundigt sich, wie es ihnen in ihren EDV-Kursen und mit dem Deutsch-Lernen geht. Man redet über die Heizung, die zeitweise nicht funktionieren will. Steiner verspricht, in drei Tagen wiederzukommen, um die Heizung zu entlüften. Dann muss er sich auf den Weg zur nächsten Wohnung machen.
Minderjährig sind weder Mirweis noch Arian noch all die anderen Burschen in den Außenwohnungen des Laura-Gatner-Hauses. Sie sind zwar als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Österreich gekommen, inzwischen aber 18 Jahre alt geworden. In der Regel müssen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach ihrem 18. Geburtstag in Österreich in ein Erwachsenenquartier umziehen. Für die Burschen aus dem Laura-Gatner-Haus kämen zum Beispiel die Flüchtlingsquartiere in Greifenstein oder Unterwaltersdorf in Frage. Das hieße für die Burschen aber nicht nur, dass sie in eine ganz andere Ecke in Niederösterreich ziehen müssten und damit alle Integrationsschritte in Hirtenberg zunichte gemacht werden, ein Umzug in ein Erwachsenenquartier würde außerdem bedeuten, dass sie ihre Aus- und Fortbildungen nicht mehr weiter verfolgen können, denn in Erwachsenenquartieren werden nicht einmal Deutschkurse angeboten.
FM4/Sarah Seekircher
Das Laura-Gatner-Haus bietet "seinen" Flüchtlingen deswegen die Möglichkeit, nach ihrem 18. Geburtstag in eine der Außenwohnungen zu ziehen. In denen werden die Burschen zwar nicht mehr so intensiv betreuet wie im Laura-Gatner-Heim selbst, sie müssen auch selber einkaufen gehen und kochen, aber sie können ihre begonnenen Ausbildungen abschließen.
Bei vielen ist dies die Polytechnische Schule oder die Hauptschule, bei manchen eine weiterführende Schule. Die Flüchtlinge aus dem Laura-Gatner-Haus kommen mit durchschnittlich 16 Jahren nach Österreich, der Großteil stammt aus Afghanistan. Innerhalb weniger Jahre Deutsch zu lernen und einen Pflichtschulabschluss in Österreich zu erlangen, ist eine große Herausforderung; nur wenige schaffen es, auf einer weiterführenden Schule eine Ausbildung zu beginnen.
Navid ist so einer. Auch er ist aus Afghanistan nach Österreich geflüchtet. Jetzt, mit 20 Jahren, besucht er eine Handelsakademie in Wien. Herbert Steiner ist ziemlich stolz auf Navid, der bisher gute Noten in den Prüfungen geschrieben hat - und das obwohl sein Deutsch noch ein wenig holprig ist. Er und Navid setzen sich in die Küche der Wohngemeinschaft in Theresienfeld, in der Navid mit drei anderen ehemaligen Laura-Gatner-Haus-Bewohnern lebt. Navid serviert Getränke. In letzter Zeit reden Herbert Steiner und Navid immer über das gleiche zermürbende Thema: Navids Zukunft.
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Navid feiert demnächst seinen 21. Geburtstag, ab dann fällt er aus der Grundversorgung (das ist das von Bund und Land gemeinsam finanzierte System, das nicht abschiebbare Flüchtlinge mit Unterkunft, Verpflegung, Krankenversicherung und einem geringen Taschengeld versorgt) und er muss aus der Außenwohnung des Laura-Gatner-Hauses ausziehen. Das heißt, Navid wird sich den Schulbesuch nicht mehr leisten und trotz seines schulischen Erfolgs die HAK nicht abschließen können. Es wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als einen Job zu suchen, den er in Zeiten wie diesen wohl eher schwer finden wird. Statt seine Ausbildung zu beenden, die ihm einen höher qualifizierten Job in Aussicht stellt, wird Navid also zum Sozialhilfeempfänger.
Dass über 21-jährige Flüchtlinge ihre Unterkunft verlassen müssen, steht im niederösterreichischen Jugendwohlfahrtsgesetz. (Die Jugendwohlfahrt organisiert die Unterbringungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.) Neu ist diese Regelung nicht, neu ist aber, dass sie ab kommenden Jahr strenger gehandhabt wird. Das Innenministerium übt bei den zuständigen Behörden verstärkt Druck aus.
FM4/Sarah Seekircher
Es gibt nicht viele wie Navid, die mit 21 Jahren eine Ausbildung fortsetzen können und möchten, denn die meisten jungen Flüchtlinge wollen arbeiten gehen. Heinz Fronek von der Ayslkoordination Österreich plädiert dafür, dass diesen Einzelfällen die Fortsetzung des Schulbesuchs ermöglicht wird. Fronek kennt einen anderen Fall in Niederösterreich, der umso absurder ist, weil der betreffende Flüchtling wegen seiner 21 Jahre eine Krankenpflegerschule abbrechen musste, Krankenpfleger in Österreich aber dringend gesucht werden.
An diesem Nachmittag kommen Herbert Steiner und Navid zu keiner Lösung, wie es mit Navid weitergehen soll. Dann verabschiedet sich der Betreuer. In drei Tagen wird er wieder vorbeischauen.