Erstellt am: 11. 12. 2009 - 06:02 Uhr
Hipsters vs Hasids?
Dächer dieser Welt
Mein mehrköpfiger Familienbesuch zieht gerade über die oberste Aussichtsplattform des Rockefeller Center: Im Süden der King Kong Hort namens Empire State Building, zu unseren Füßen das Lichtermeer der Insel Manhattan, umspült von den Wassern des East und Hudson River.
Während der Ansichtsfotograf unbeschäftigt - halb fröstelnd, halb schlafend - in einem Türrahmen lehnt, weht die kalte Prise das babylonische Sprachengewirr des touristischen Midtown über dieses eine Dach der Welt. Darunter auch Schwyzerdütsch.
Christian Lehner
Da muss ich unweigerlich an die Minarett-Debatte denken, die es bis in Jon Stewarts Daily Show schaffte und daran, dass die eidgenössischen Touris im vermeintlichen Schmelztiegel New York wohl auch nicht allzuviele muslimische Türmchen zu Gesicht bekommen werden (Die St. Patrick´s Cathedral hingegen ist vom Rockefeller aus sehr gut zu sehen, auch wenn sie zwischen all den Büro- und Apartmentsilos so richtig mickrig wirkt, wie eine architektonische Einmahnung der im First Amendment festgeschriebenen Trennung von Staat und Religion).
Minarett und Melting Pot
Dass der Melting Pot New York ein Ideal ist wie der amerikanische Traum, also von der Realität abweicht wie ein labriger Kettenburger von einem stolzen Quarter Pounder eines traditionellen Diners, ist eine Realität, der sich die gern kosmopolitisch präsentierende Stadt nur ungern stellt.
Die gelebte Freiheit bedeutet oft auch nur, dass man sich dem Eigenen zuwendet und gegen das Andere abschottet. Im weitesten Sinn gelten die Tendenzen zur sebstgewählten Isolation für alle, die sich selbst als Community verstehen, ob Latinos, Hipsters, orthodoxe Juden, Koreaner, die Wall Street Banker der Upper East Side, Afroamerikaner, der liberale Kulturadel der Upper West Side, you name it.
Wenn sich diese Communities dann aus irgendeinem Grund umbauen, überlagern, den Verwerfungen der Gentrification ausgesetzt sind oder wachsen, treten die Konflikte offen zu Tage und werden nicht selten mit militanter Vehemenz ausgefochten.
So fand die letzten paar Tage, versteckt in einer kleinen Meldung der Lokalseiten, jedoch groß ausgetragen in den Userforen von Indie-Blogs, Boulevard-Zeitungen und digitalen Stadtzeitschriften, eine hochemotional geführte Debatte über eine simple Maßnahme des City Transportation Department statt.
A Thin White Line
Was war geschehen? Die Behörde ließ auf der Bedford Avenue in South Williamsburg über die Länge von 14 Blocks die Markierungen eines Fahrradweges entfernen.
Dies geschah auf Wunsch der chassidischen Community, die dort die Bevölkerungsmehrheit stellt.
Die Sprecher der jüdisch/orthodoxen Glaubensgemeinschaft sahen in der Bike Lane ein Sicherheitsrisiko. Außerdem sei den Mitgliedern der vom Großteil des jüdischen Mainstreams als Sekte bezeichneten Chassiden verboten, Menschen des anderen Geschlechts allzulange anzustarren – aus religiösen Gründen.
Gemeint waren die für die Community Leaders zu aufreizend gekleideten Hipsters von Williamsburg, die mit ihren Vintage-Schwinn-Bikes über die Bedford Avenue direkt auf die Williamsburg Bridge zufahren. Die Route ist für Radler ein wichtiger Zubringer auf dem Weg nach und von Manhattan.
Michael Birch
Eine Schmieraktion
In der Nacht von Sonntag auf Montag wurden dann zwei sich selbst als "self-hating jewish hipsters" bezeichnende Fahrradaktivisten erwischt, wie sie in einer illegalen Aktion die Straßenmarkierungen des Fahrradweges wieder anbrachten.
Gestellt und der Polizei übergeben wurden sie von der Shomrim Patrol, einer zivilen Wachmannschaft der chassidischen Community.
Seit der Verhaftung der beiden Aktivisten Quinn Hechtropf (25) und Katherine Piccochi (24) herrscht nun Krieg in den Webforen.
Da treffen nicht nur die üblichen Trolle der leidlichen links/rechts Fraktionen aufeinander. Nein, hier, an dieser simplen white line scheint ganz New York verbal übereinander herzufallen: Biker gegen Autofahrer, Sexisten gegen Frauen, Fundis gegen Liberale, Chassiden gegen Chassiden, Aktivisten gegen Politiker, Antisemiten gegen Juden, Behörden gegen Biker, hippe Nichtradler gegen hippe Radler, New Yorker gegen Zugezogene, Biker gegen Biker, Orthodoxe gegen Liberale, alle gegen jeden.
Von Symbiosen und Handschlag Deals
Dabei haben die Chassiden und Hipsters lange Zeit in einem wechselseitig nützlichem Verhältnis gelebt. Die einstigen Brachen und Industrie-Ruinen von Williamsburg, überwiegend im Besitz der chassidschen Gemeinde, waren billiger Wohnraum für die mittellose Boheme.
Diese begann bereits Ende der 70er Jahre, sich in mehreren Fluchtbewegungen von den teureren Mieten der Lower East Side und des East Village in Richtung Osten über das Ufer des East River abzusetzen.
Brooklyn war plötzlich eine Option.
Der Handschlag Deal der ersten Hipster-Generation mit den Peies-Locken tragenden Landlords lautet nicht selten: gratis Wohnraum gegen Instandsetzung ganzer Gebäudekomplexe.
Christian Lehner
Hier der Link zu einer Geschichte über den chassidischen Rapper, Producer und MC Matisyahu
W-Burg Hype und Gentrification
Die ersten dunklen Wolken zogen auf, als mit dem großen Brooklyn-Hype Anfang der Dekade der Gentrification-Druck stieg – interessanterweise nicht nur gegen Locals oder die Polnische Community im nördlich gelegenen Greenpoint, sondern gegen die DIY Kreativos selbst, die nun den ansteigenden Mieten weichen mussten.
Freilich, dem Magnet Williamsburg, als Trendhochburg der 00er Jahre, hat das nicht geschadet. Ab nun kamen jene, die sich das Wohnen dort auch leisten konnten.
Vor fünf Jahren schien dann das Schicksal der am East River gelegenen "Waterfront" von Williamsburg und Greenpoint besiegelt. Die Neighborhoods wurden durch ein sogenanntes Rezoning Verfahren in reine Wohngebiete umgewandelt. Es folgte der Bau von Luxus-Condos für jene Lifestyle-Gruppe, die man vor wenigen Jahren noch als Bobos bezeichnet hat.
Nach und nach verschwanden die (illegalen) Clubs und abgeratzten Party Spaces und wurden durch Sport Bars und professionell betriebene Konzert-Venues ersetzt. Williamsburg drohte zum Hipster-Disneyland zu verkommen.
Money-Muscle-Politics
Ein Veranstalter Zampano der aktuellen Do It Yourself Musikszene von Brooklyn, der auf informeller Ebene mit allen relevanten "Powerhouses" des Boroughs kooperieren muss, hat mir einmal erklärt, dass sich Bürgermeister Bloomberg bei seiner zweiten Wahl mit dem Rezoning von W-Burg die Stimmen der häufig als Block wählenden Chassiden gesichert hat – kein ungewöhnlicher Deal in der lokalen US-Politik. Doch dann kam die Finanzkrise und plötzlich standen viele der Baumaschinen an der Waterfront still und zahlreiche Neubauten leer.
Die Gentrification geriet ins Stocken.
Statt finanzkräftiger, junger Familien zogen Gutter-Punks in die Bauruinen und die Masse der aus dem studentischen Mittelstandsmilieu stammenden Hipsters konnte nun doch in Williamsburg bleiben.
Christian Lehner
Wie zum Spott gegen die ehrgeizigen Bauprojekte an der Waterfront halten sich noch immer die letzten Reste der anarchischen Do It Yourself Szene (Glasslands Gallery, Death By Audio Club) direkt an der Kent Avenue, dort, wo auf der anderen Straßenseite die zum Teil erst halbfertigen Condo-Buildings stehen.
Anonymer Foreneintrag auf Brooklynvegan.com:
"HASIDS: Uniform dress, Silly haircuts, Flock to Williamsburg from outside places, Have unprotected sex, Complain about cost of living, Love Bagels and Lox, Don't tip well.
HIPSTERS: Uniform dress, Silly haircuts, Flock to Williamsburg from outside places, Have unprotected sex, Complain about cost of living, Love Bagels and Lox, Don't tip well".
Das Ende einer Zweckehe
Ausgerechnet Bürgermeister Bloombergs "grüne" Stadtpolitik hat nun zur Erosion der Zweckgemeinschaft dieser sich wohl nie ganz grünen Communities der Chassiden und Hipsters beigetragen.
Zunächst tauchten - wie überall in der Stadt - immer mehr Fahrradwege auf den Straßen von Williamsburg auf.
Als dann Anfang Juli DIE Sommer-Konzert-Reihe schlechthin, die sogenannten Pool Parties, vom McCarren Park an die Waterfront übersiedelte und jeden Sonntag hunderte Hipsters durch South Williamsburg radelten, häuften sich die Beschwerden chassidischer Vertreter, die sich auch schon zuvor durch die freizügige Präsenz der immer unliebsamere Immobilien Klientel kompromittiert fühlten.
Die potentiellen American Apperal Models beider Geschlechter entsprachen ganz und gar nicht den Moralvorstellungen der Community Leaders.
Ich vermute ja, dass diese Realpolitik gewordene Farce der Sorge um den Erhalt der Gemeinschaft entspringt und weniger religiös motiviert ist (schließlich würde die "Verfehlung" dann ja ausschließlich im Auge des – ich schreibs jetzt ganz bewusst eingeschlechtlich – Betrachters liegen).
Flickr
Vielmehr lässt sich beobachten, dass sich viele junge Chassiden nicht mehr den alten Autoritäten und strikten Regeln beugen wollen. Immer häufiger tanzen sie im wahrsten Sinn des Wortes aus der Reihe (in den Clubs von W-Burg nämlich) und fordern vermehrt das Recht nach individueller Entfaltung.
Wenn dann noch eines der aktivsten Zentren der Popkultur direkt vor der Haustür prosperiert, kann man sich gut vorstellen, dass so manch Talmud Schüler schon mal seine religiösen Verse gegen Song-Lyrics tauschen möchte.
So hatte Bloomberg laut New York Times bei der letzten Wahl auch seine Not, die chassidischen Communities von Brooklyn als Block hinter sich zu vereinen.
Im Fall der entfernten Bike Lanes liegt das Versagen ganz klar bei der City Hall. Fahrradwege auf öffentlichen Straßen können nicht aus religiösen Gründen abgeschafft werden – egal von welcher Konfession, Kirche oder Glaubensgemeinschaft.
Baruch Herztfeld, ein orthodox jüdischer Sprecher der Fahrrad-Aktivisten, hat indes weitere Maßnahmen gegen die erneute Entfernung der Straßenmarkierungen durch das Department Of Transportation angekündigt.
Im Netz kursieren bereits die ersten Aufrufe zu organisierten Bike-Touren mit knappem Textilanteil – mit oder ohne weißer Linie am Straßendrand.
Mit erregter Anteilnahme ist zu rechnen.