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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

11. 12. 2009 - 07:00

Decemberlist, elf

Let's Wrestle - die neuen Lieder Londoner Beschäftigungsloser

I won't lie to you, heißt einer der Songs von Let's Wrestle, und ich seh das auch so.

Ehrlich gesagt hätte es hier ursprünglich nämlich um eine andere Platte gehen sollen, und zwar „Yeah So“ von Slow Club.

Ein sehr schönes Album von einem hauptsächlich akustischen, weiblich-männlichen Duo aus Sheffield, aber je genauer ich mich damit beschäftigte, desto mehr schienen mir diese Songs durch die Finger zu rinnen, hineinprojizierte Bilder zu verblassen. Sowas kommt vor und ist nichts Böses, es sei denn, man schreibt gerade an einer Decemberlist, wo es doch um winterliche Vertiefung in das im Laufe des Jahrs zur Seelenerwärmung eingelagerte Hörmaterial gehen sollte.

Dankenswerterweise gibt's Platten, bei denen's mir dafür genau umgekehrt geht: „In the Court of the Wrestling Let's“ ist kein offensichtlicher Kandidat.

Zunächst wegen seines lustigen aber elitären Titels, der auch nach seiner Dekodierung (eine Anspielung auf „In the Court of the Crimson King“ von King Crimson) bloß jene ansprechen wird, die ihre Jugend mit dem Studium der Rockgeschichte verschwendet haben.

Die Musik wiederum ließe sich bei schlechter Tageslaune als nicht mehr denn das logische Resultat einer The Wedding Present-Pavement-Jonathan Richman-Swell Maps-Indie-Grundausbildung deuten. Der Bass folgt dem britischen Post-Peter-Hook-Idiom melodischer Konkurrenz zur Gesangslinie aus einem steifen Handgelenk, die Gitarren schrubbeln schludrig drüber hinweg, und hin und wieder sagt uns ein herzhaft verhumpelter Trommelschlag deutlich, dass ganz sicher keine Softwarekosmetik zwischen uns und diese Sounds gelassen wurde.

Cover von Let's Wrestle, "In the Court of the Wrestling Let's"

Stolen Recordings

Aber wer an Glamour, Pop-Artefakte und Kostümierung glaubt, wird verstehen, dass auch deren Abwesenheit ein effektvolles Bühnenbild sein kann. In diesem Fall für die nüchterne Härte der Lebensbeobachtungen von Sänger und Gitarrist Wesley Patrick Gonzales, vorgetragen in einer stets am Rande zum Kippen wandelnden Stimme, die keinen Zweifel am ernsten (von den lustigen Videos, die ich hier nicht verlinken will, sabotierten) Kern seines sauren Sarkasmus lässt.

„They said if you want to help just kill yourself,“ singt er im Opener „My Arms Don't Bend That Way, Damn It“, mit dem trotzigen Nachsatz, „But I won't.“
Wie der Titel schon sagt, hat er es hier mit einer Institution aufgenommen, die das Verdrehen von Armen zu ihren Überzeugungsmitteln zählt.

Das ist die Decemberlist
24 Stücke Musik, täglich eines, den ganzen Dezember über, vorgestellt von FM4 MusikjournalistInnen und Webhosts. CDs, die während des Jahres die FM4 Musikredaktion passiert haben und die für uns von Bedeutung waren. Zum Schenken und Beschenktwerden. Von Indie Pop bis Rare Groove, von dänischem Metal bis österreichischem Songwriter Pop.

fm4.orf.at/decemberlist

Seine Freunde sitzen alle im Gefängnis, erklärt er uns, und dort will er auch hin, „cause I hate everywhere“. Er ist „in love with Destruction“, aber das auch nur, weil aus der anderen, der konstruktiven Liebe, nie was zu werden scheint.

In „Tanks“ scheitert selbst die Staatsgewalt an der Hoffnungslosigkeit seines Liebenslebens: „Not a squadron of tanks or soldiers of different ranks could save us / Not a fleet of policemen or faith or religion could give me the guts to talk to you again.“

Die Tatsache, dass ihn das ein bisschen erbärmlich erscheinen lässt, geht am Autor nicht vorüber. „My Schedule“ beschreibt sein Scheitern zu den kläglichen Klängen einer durchs Vibrato gejagten Billigorgel.

„I'm going to my local library / And then I go to the charity shop / Who knows where I'll go after that / Then I think I'll go home / When I get home I'll put on the kettle / But I'll forget and I won't make the tea / I'll sit in my armchair watching telly / And then I'll go to bed“

Sie ruft nicht an, wieso sollte sie auch.

Natürlich appelliert sowas an die typisch männliche Vorliebe für Loser-Figuren als Transportmittel des eigenen Selbstmitleids, aber das Bild, das Let's Wrestle da wachrufen, ist alles andere als bloß das vorhersehbare Protokoll des jährlichen Solipsistenkongress. „In the Court of the Wrestling Let's“ ist vielmehr eine der ersten britischen LPs aus der Welt nach dem Platzen der Wohlstandsblase.

Nicht dass hier über das Leitzinsniveau oder den Börsenindex gesungen würde, aber die banalen Dinge, die auf diesem Album so große Rollen spielen, inklusive der Nahaufnahmen trostloser Tee-Zubereitung im Eigenheim des Beschäftigungslosen, machen einem schon bewusst, dass die letzte große Blüte des guten alten Kitchen-Sink-Dramas (im Gegensatz zum inflationären Bad-Night-Out-Drama der Nullerjahre) im britischen Songwriting so lange zurückliegt wie die letzte Rezession.

(A propos: Was wurde eigentlich aus den Animals That Swim, an die mich das seekranke Schlingern von „My Schedule“ erinnert?)

In „We Are The Men You'll Grow To Love Soon“ geht die Band denn ins Arbeitsamt...

„We're going down the job centre
And soon we'll come out with a job“

...und kommt wie neugeboren wieder raus:

„We aren't the most reliable guys in the world
But we've got enough money to buy some G&Ts for the girls“

Aber weil nicht jeder so glücklich sein kann, sich einen Ex-Jugendarbeitslosen zu nennen, singen Let's Wrestle auch noch einen „Song For Old People“. Den kann man so oder so sehen, dümmlich spöttisch oder augenzwinkernd melancholisch, genauso wie die Ballade über einen Freund, der Haar hat wie Prinzessin Diana („Diana's Hair“). Tippen wir sicherheitshalber einmal auf Zweiteres, selbst wenn ich nicht leugnen kann, dass mich das empfindlich unterdurchschnittliche „It's Going To Happen“ samt seiner unnötig bubenhafte Zeile über die Freundin, aus der nichts werden kann, weil sie keine Bruce Lee-Filme mag, kurz an meiner für diese Band entwickelten Zuneigung zweifeln ließ. Aber da haben schon andere schlimmer daneben gehaut.

Und eigentlich ist diese Nummer auf meiner persönlichen Version dieser Platte sowieso schon gar nicht mehr drauf. Die endet nämlich mit dem zwölften Song „I'm in Fighting Mode“, lässt die restlichen vier mit nobler Diskretion unter den Tisch fallen und macht so „In the Court of the Wrestling Let's“ schlagartig zu einem der stärksten Debüt-Alben einer Fleisch-und-Kartoffel-Gitarrenband seit langer Zeit.