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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

10. 12. 2009 - 16:30

Journal '09: 10.12.

Ein Menschenalter. Über die Rasanz von Soap&Skin.

Es gab einen Moment beim gestrigen Soap&Skin-Konzert im Wiener WUK, der vieles auf den Punkt brachte: als nämlich das Publikum mit grellem bösem Licht bestrahlt wurde, das ganze "Spiracle"-Stück durch, während die Bühne im Dunklen verblieb.

"Spiracle" hatte ein Bild der Künstlerin geprägt, an dem sich heute noch ein Großteil des Publikums gierig sattfrisst: das der hilflosen, angstvollen, jungen Person, die in einer bösen kalten Welt Lieder spielt, die Schreie nach Erlösung sind.

Ich denke nicht, dass dieses Bild jemals gestimmt hat.

Und deshalb war seine Dekonstruktion auch notwendig.
"Es musste etwas geschehen", sagt Anja Plaschg. Und hat deshalb das Publikum hilf- und wehrlos gemacht, mittels Blendung.
Und plötzlich wirkt das so gern als filigran gedeutete Stück viel stärker und wehrhafter als es zuvor in den Köpfen abgespeichert war, ganz plötzlich, mit nur einem Kniff, hat es seine tatsächliche Bedeutung wiedererlangt.

Dieser Moment steht nicht nur für sich und die Kontrolle, die eine Autorin über ihr Werk hat (oder: zurückerlangt). Er sagt mir/uns auch, wie bewusst hier jemand mit dem umgeht, was ihm/ihr schlicht und einfach das Wichtigste ist: die musikalische, die künstlerische Äußerung.

Alles andere: auch schön, aber zweitrangig.

Kontrolle

Anja Plaschg hatte in den Tagen vor dem Tourstart die auf sie bereits durchaus krankhaft fixierte Indie-Polizei auf den Plan gerufen, als sie die Musiker ihres Ensembles (aus den nämlichen Gründen) als Techniker, als Erfüllungsgehilfen bezeichnet hatte. Menschenverachtend wäre das, oder zumindest unklug, kritikwürdig.

Wie blöd diese konstruierte Debatte auf jeder, auch der Meta-Ebene läuft, zeigt die unaufgeregte Analyse.

Erstens sind Musiker, zumal Profis, die in klassischen Ensambles spielen, selbstverständlich keine Künstler im Autoren-Sinn und etwa ebenso reine Techniker wie Musiker einer Tanz-Combo. Wer jemals mit klassichen Musikussen zu tun gehabt hat, weiß, dass auch das Selbstverständnis ein Entsprechendes ist. Sowas dreht sich erst beim Solisten.
Künstler ist man in der Klassik dann, wenn eine Plattenfirma einen dazu aufbaut - in dieser Branche läuft alles um Eckhäuser grauslicher, marketingorientierter und kunstloser als selbst im Mainstream-Pop/Rock, vom tatsächlich großteils einem Kunst-Ethos verpflicheten Indiepop-Bereich gar nicht zu reden. Den Art-School-Background der meisten Rocker kann ein klassischer Geiger nicht einmal ansatzweise aufweisen. Der ist ausschließlich in Richtung technischer Virtuosität ausgebildet.

Dekonstruktion

Dass Plaschg diese Tatsachen, diese Überlegungen hernimmt und dann so anspricht wie sie sind, anstatt sich an die Konventionen zu halten (sowohl die der Höflichkeit, als auch die des klassischen Scheins), ist ihr nicht zum Vorwurf zu machen: im Gegenteil.
Jemand, der auch diese Struktur-Fragen dekonstruiert, und sich alles von Beginn an nochmal selber zusammendenkt, liegt automatisch richtiger als jemand, der Vorgefertigtes Denken und Handeln übernimmt (wenn auch noch so kritisch). Selbst wenn dieses Auseinanderbauen und Zusammensetzen eine Fehler-Quote enthalten sollte.

Wenn sie vom bei Konzerten und Touren üblichen Presse-Kontingent spricht, dann sagt sie: "Wie heißt das? Journalistenvorrang?" und rückt damit von sonst niemandem jemals Beeinspruchtes oder Hinterfragtes in ein richtigeres Licht.

Mir zeigt da eine 19jährige, die sich nicht in allererster Linie mit Sprache beschäftigt, wie fahrlässig wir/ich damit umgehen, wie wenig wir/ich an Überlegung investieren, wenn wir gesettelte Begriffe eben nur verwenden anstatt sie zu begreifen.

Und sie zeigt mir, dass diese dekonstruierte Klarheit notwendig ist um das, worauf es ankommt so auszustellen, wie es ausgestellt gehört. Und das definiert nun einmal der Autor, sonst niemand.
Wenn es auf der Bühne einen Brummer gibt, der stört, dann muss der erst einmal weg. Das versteht instinktiv auch das Publikum und hilft bei der Suche, und schreit kollektiv "Ahh!" wenn die Sound wieder klar ist.
Dem Rock-Ethos des Überspielens zum Trotz.

Neid

"Wissen die Leute eigentlich," sagt Anja Plaschg, "dass ich es bin, die alles arrangiert?". Ich bin über diese Frage überrascht, weil ich sie mir nicht gestellt hätte. Solo-Künstlerin mit Stimme, Klavier und Laptop, alles selberproduziert - ja, klar, wer oder wie denn sonst?
Jetzt, mit Ensemble, mit vier Streichern und Trompeter, ist das im klassischen, im Musiker-Umfeld mit seinem Notengekritzel scheinbar nicht ganz so klar.

Und da spielt die vorhin angesprochene Meta-Ebene rein: da wird dann in Frage gestellt, instrumentalisiert.
Kann das Wunderkind das alles überhaupt können? Die, die bei frühen Konzertauftritten vor Nervosität ihren Atem zittern ließ? Die, die bei Interviews gerne so seltsame, nicht sofort nachvollziehbare, um die Ecke gedachte Dinge von sich gibt? Die, der man keine Alltags-Fähigkeiten zuschreiben mag, die der man das greifbare Talent auch schlicht und einfach neidet?

Und klar spielt auch der ganz banale Neid-Reflex auf erfolgreiche Frauen mit.

Da ist den Naserümpfern beiderlei Geschlechts interessanterweise jedes Klischee recht um sich über "das Mädel" erheben zu können. Wenn jemand aus der Karajan-Liga seine Musiker als "Körper" bezeichnet (passiert) wie Hitchcock seine Schauspieler als "cattle" - kein Problem; wenn eine Frau aus dem Pop-Bereich das tut - Feuer am Dach! Wenn Achtel-Genies der Marke Stuckrad-Barre verstörendes Zeug von sich geben, ist das 'gewitzt', wenn eine junge Frau das tut, ruft man nach der Etikette.

Angst

Ich kann diese Ängste in der Rezeption von Soap&Skin nachvollziehen, ein wenig theoretisch zwar nur, aber doch.
Es geht um die Angst des Kontroll-Verlusts über das, was Jüngere produzieren, vor allem im eigenen oder im beruflich beackerten Bereich. Um die Panik vor den Nachrückern und Schnell-Überholern. Um das ungute Gefühl festzustellen, dass andere schneller weiterkommen.
Das sind lächerliche Ängste, die unsinnige Projektion in sich tragen, Ängste, die jeder von sich weisen würde, wenn man sie anspricht. Was ihre geheime Existenz nicht mindert. Und die dafür instrumentalisierten Konstrukte nicht wahrer macht.

Wenn jemand, der sozial unangepasste Außenseiter-Ansichten einbringt, kein berechenbares Auftreten hat und die Achtung seines Werks weit über seine mediale Zugänglichkeit stellt, dann alles auch noch mit dem Hype-Potential der internationalen Wunderkind-Heiligsprechung toppt, ist es für die normale menschliche Reaktionsfähigkeit nachgerade unmöglich keine Abwehrhaltung zu entwickeln.
Weil da zu vieles zum schnell passiert. Was Humanoide instinktiv nervös macht.

Und schnell viel passiert ist auf wirklich allen Ebenen.

Wenn ich mich dran erinnere, wie das alles noch im März rübergekommen ist, dann hat sich in weniger als einem Jahr mehr getan als in so mancher Lebenszeit. Aus einer mit aller Anstregung über die Rampe gebrachten Live-Version dessen, was in der Sicherheit der privaten Aufnahme-Situation geschaffen wurde, ist eine selbstsichere, auf zusätzliche Player ausgeweitete Mehrspur-Variante geworden, aus einer mit sich selber ringenden Einzelkämpferin eine Dirigentin furios ausgespielter Instrumentalwelten.

Risiko

Wer mir im März oder auch noch im Sommer gesagt hätte, dass ich im Winter eine Probe orchestraler Gehversuche erleben würde, den hätte ich ausgelacht. In nicht einmal neun Monaten, weniger Zeit als einer Menschwerdung also, hat sich Anja Plaschg bereits zu einer Filmmusik-Reife aufgeschwungen, für die zb der RZA Jahre gebraucht hatte.

Wer jemals die Befürchtung hatte, dass die ursprüngliche Piano/Stimmen/Sounds-Ausrichtung eine Limitiertheit nach sich ziehen könnte, wird vielleicht nicht so sehr durch die Durchbruchs-Versuche, sondern durch ihre unerwartete Richtung überrascht.

Dass sich Soap&Skin zur Zugabe vor ihren im Kraftwerk-Style aufgestellten Musikern mit einem A Capella-Stück exponiert, ist nicht nur die finale Bestätigung ihrer zurückerlangten Kontrolle, sondern auch ein Zeichen, dass sie jederzeit mehr kann und das auch will, im Bewusstsein des Risikos.
"Des is steirisch!" flüstert eine Wissende vor mir, als Plaschg ein jiddisches Lied singt. Und wird erst nach zwei, drei Strophen unsicher. Wenn es möglich ist, politisch Bewusstlose in ihrem breit gestreutem Publikum mit dem unerwarteten Absingen eines jüdischen Partisanenliedes zu verunsichern, dann ist das mehr als den allermeisten Österreichern jemals gelingen wird.

Und einer von gleich drei, vier, fünf möglichen Wegen, die Anja Plaschg, die Soap&Skin in vielleicht wieder weniger als einem Menschenalter in Richtungen führen wird, die ich heute nicht für möglich halten würde.

Dass das allen außer ihr selber Angst macht ist im übrigen echt gut so.