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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

8. 12. 2009 - 20:09

Journal '09: 8.12.

Österreich leugnet bekanntlich beharrlich die Tatsache, ein Einwanderungsland zu sein. Jetzt will man auch den Fakt, dass man Asylland ist, wegretuschieren.

Österreich ist ein Einwanderungs-Land.
Fakt.
Kürzlich hier durchargumentiert.
Und trotzdem gern geleugnet.

Österreich ist auch ein Asyl-Land, aus seiner Geopolitik und jüngerer Geschichte heraus. Und da sind die demnächst offziell anerkannten Klimaflüchtlinge noch gar nicht bedacht.

Auch das ist Fakt.

Dieser Tage mit EU-Vergleichszahlen belegt.

Die heutigen Reaktionen darauf allerdings sind bemerkenswert.

Stimmt gar nicht, was "Brüssel" da sagt, heißt es aus dem Innenministerium. Eurostat vermeldete nämlich, dass von den über 13.000 Asylanträgen über 60% in 1. Instanz (samt Berufung) stattgegeben wird.
Nein, falsch sei das, verweist das Innenministerium auf eine eigene Statistik: es wären nicht einmal 25%.

Gierig auf schlechte Werte

Nun ist es völlig powidl, welche Zahlen stimmen oder wie sie berechnet sind: die Asyl-Praxis einer Nation definiert sich nicht über Zahlenwerk, sondern Handhabung und Umsetzungs-Qualität.

Die Entgegnungs-Aufgeregtheit der Regierung, die im übrigen auch von der Opposition mitveranstaltet wird, zeigt einen unglaublichen Ansatz- und Denkfehler auf.

Die Verantwortlichen wollen mit ihrer Gegenrechnerei nämlich nur eines belegen: ihre Strenge. Dass sie "eh wenig" reinlassen.

Dabei geht es bei diesen Zahlen nicht um Asyl-Missbrauch, sondern um das Menschenrecht "Asyl". Niemanden, der die Menschenrechts-Konvention, eine der zentralen Vereinbarungen der zivilisierten Menschheit, ernst nimmt, kann ernsthaft interessiert sein sich damit zu schmücken dieses Recht, diese Pflicht, diese Bringschuld, die eine reiche Nation hat, auszulegen wie ein klammer Schnorrer.

Bloß: in der öffentlichen, von Populisten aller Schulen seit Jahren mit immer frischen Feuerholz-Einwurf-Tricks angeheizten Wahrnehmung ist der Begriff "Asyl" bereits derart negativ konnotiert, bereits derart in den Dreck gezogen worden, bereits dermaßen nahe an die Kriminaliät gerückt und somit (bewusst und absichtsvoll) versaut worden, dass selbst die Verantwortlichen ihn nur noch verformt und pervertiert wahrnehmen.

Einen hehren Begriff als Synonym des Bösen versaut

Wenn also Europa meldet, dass Österreich gute Asyl-Zahlen hat, setzt bei allen - von den Rechtspopulisten über die Regierenden bis hin zu den Grünen - ein Reflex ein, der das mit "Achtung! Bös'!" in Verbindung bringt und sich sofort daran macht die umfangreiche Ausreden-Kultur in Gang zu setzen.

Dass die xenophoben Suppenkocher dick dabei sind, liegt in ihrem Interesse. Dass das von den Großparteien immer an die inneren Scharfmacher verpachtete Innenministerium panikt, auch logisch. Aber selbst die grüne Opposition bezweifelt die Zahlen, anstatt sich als Rettungsanker zu einer neu anzugehenden Debatte zu verwenden, die nicht mehr bloße Zuschreibung, Klischees und Fantasmen verwendet, sondern sich der Realität verschreibt und Fakten als solche hinnimmt.

Österreichs Rolle als Asyl-Land hat sich über die Vorgänge in Ungarn 1956 und der vormaligen CSSR 1968 definiert und wurde im Rahmen der Fluchtwelle aus Bosnien im jugowlawischen Krieg verfestigt.
Und anderem deshalb wird Österreich von der EU als Asylland wahrgenommen. Und auch wegen seiner Doppelrolle im Zentrum Europas. Galt Österreich früher als letzter Outpost vor dem Eisernen Vorhang, wird ihm/uns seit 1989 eine Rolle als zentraler Verteiler zugesprochen. Man vermutet kulturelle und gesellschaftspolitische Verflechtungen mit den Nachbarn, man vermutet, dass sich zwischen Wien, Prag, Ljubjlana, Bratislava oder Zagreb dynamische Linien entwickelt haben. Unter anderem deswegen bekam Österreich den Kommissar für Regionalpolitik, der sich hauptsächlich mit Ost-Kontakten herumschlagen wird müssen.

Abzock-Dynamik

Dass diese von außen vermuteten neuen Verbindungen nicht existieren, dass die genannten Nachbarn maximal von Abzockern auf allen Niveaus (legal, halbleg, illegal) ausgebeutet werden, ist (neben dem Bildungs-Stillstand) ein weiteres zentrales Problem Österreichs, eines der weiteren katastrophalen Versäumnisse der letzten 20 Jahre.

Weshalb auch das Gefühl für die Wertigkeit von Asyl nach dem Highlight des Bosnien-Krieges versickerte und nach und noch durch das ersetzt wurde, was die rechtspopulistische Propaganda hineininterpretierte: schwarze Drogendealer, rumänische Taschendiebe, Ost-Verbrecher, Arbeitsplatzverdränger und andere Sündenböcke.

Asyl ist aber Asyl, nämlich die Gewährung des Menschenrechts der Aufnahme von Verfolgten. Dass sich hier, wie in jeder Lebenslage, auch Bösewichte einfinden - na sowas. Dass aber jeder normal Einreisende, jeder kriminelle Tourist, jeder fehlgeleitete Secondo, der einem Gleichaltrigen das Handy klaut gefühlt hineingerechnet wird, dass alles, was an Ungemach das man an "Ausländer" delegieren kann, plötzlich über Asyl definiert wird, ist nicht allein die Schuld derer, die diese primitive Botschaft, die sich bei Deppen leicht festsetzt, erfunden haben. Es ist genauso die Schuld derer, die sich auf diese hirn- und sinnlose General-Debatte der Verwurschtung von allem mit allem eingelassen haben.

Und jetzt: die Vernebelungsaktion

Eine ganze Gesellschaft hat das verbockt, die gesamte politische Kaste und auch fast ausnahmslos die sich auf pure Berichterstattung zurückziehende Medien-Branche, die ihre gesellschaftliche Aufgabe als Erheller und Klarmacher vergessen hat.

Wer es nicht glaubt oder sehen mag: die aktuelle Vernebelungsaktion zeigt es doch wunderbar auf.
Protest gegen Fakten, die nicht sein dürfen, weil sie nicht ins Bild passen, das man vermitteln mag. Widerstand gegen Zahlen, vor deren Instrumentalisierung die einen Angst haben, die sich andere als Erfolg auf die Fahnen geschrieben haben, deren Retusche dritten die Bilanz retten soll.

Das ist aktiver Widerstand gegen die Realität.
Also unglaublicher Schwachsinn.
Ein (widerlicher) Klassiker für eine Gesellschaft, die die Verdrängung zur Maxime erhoben hat.
Und natürlich ein weiterer Schritt in eine Zukunft, die demokratische Werte nicht mehr über Fakten, sondern über geschönte Zuschreibungen definiert, was ihr Outsourcing an prahlhansige Populisten dann umso leichter machen wird.