Erstellt am: 8. 12. 2009 - 15:57 Uhr
Ritter der Dämonen
Seine Geschichten unterhalten und verstören gleichermaßen. Denn Barkers Monster sind keine überirdischen Ungetüme – sie sind menschlich. Ihre Taten sprechen Bände über die Befindlichkeit unserer Gesellschaft. Vor einiger Zeit ist Clive Barkers aktueller Roman erschienen: in Mister B. Gone entwirft er eine zeitlose Parabel über das Vertraute und das Fremde. In einer Welt, die höllischer anmutet als die Hölle selbst. Insofern scheint die Warnung gleich zu Beginn des Buchs durchaus angebracht.
Burn this Book! It doesn't matter if you spent your last dollar buying it. Believe me, friend, you should set fire to this book right now, or you'll regret the consequences.
Harper Collins
Ich, der Dämon
Jakabok Botch ist ein Teufelskind. Er lebt im Neunten Höllenkreis. Dante Alighieri und seine "Göttliche Komödie" lassen grüßen. Überhaupt ist Clive Barkers künstlerisches Schaffen vollgepumpt mit Mythen: gerne zerbrechen dann die jeweiligen individuellen Erzählungen an der Übermacht der über die Jahrhunderte gewachsenen Chef-Narrative. Bei Barker ist das nicht so: er verführt sie in Ecken, in die sie ansonsten nie vorgestoßen wären. Sein Opus Magnum Imagica (1991) etwa entwirft eine an christliche Mythen angelehnte Geschichte, ausbalanciert zwischen fünf ineinander verschränkten Dimensionen. Zurück zu Barkers jüngstem Buch: Jakabok hat einen gemeinen, hinterhältigen, brutalen Vater: kein Wunder, ist er doch ein ausgewachsener Dämon. Der Bub flieht vor ihm: beide gehen Fischern ins Netz, die sie durch die anderen Höllenkreise hindurch in die Oberwelt ziehen. Dort, wo die Menschen leben.
McFarlane
Es ist der erste Höhepunkt dieses wallenden Romans: das Hängen im Netz, zur Untätigkeit verdammt. Die Verfolgungsjagd zwischen Vater und Sohn, die in Barkers harter, ungnädiger Weltsicht nur mit einem Vater- und/oder Kindsmord ausgehen kann, wird angehalten: die hässlichen, verkrusteten, stinkenden, dampfenden Dämonen hängen in einer anderen Seilschaft fest, werden im Fast Forward durch die restlichen acht Höllenkreise geschleppt, kommentieren diese knapp und lakonisch, bis Jakabok ganz oben (im Himmel?) ankommt. Endlich: die Erlösung. Aber weit gefehlt: Jakabok bemerkt zu spät, dass es in der Hölle schöner gewesen ist. Bei Barker ist das Unten und das Oben vertauscht: hier ist die Erde, auf der wir leben, hier ist die Menschengesellschaft die schlimmste vorstellbare Welt. Clive Barkers Mister B. Gone ist ein persönliches Buch: ein Liebesbrief an alle Ausgegrenzten und Heimatlosen.
www.playingzone.com
"Mister B. Gone is a book about a gay man. Almost everybody who read the book who was not gay did not get that. And everybody who was gay got that."
Barker wird 1952 in eine Liverpooler Familie geboren. Schon als Kind ist er anders als die anderen. Er sagt, er hat sich selbst als "Monster" wahrgenommen. Es sind diese Erfahrungen und Gefühle, die sein kreatives Schaffen lenken.
"The monsters are always me, you know. I talk out of my own secret self. I talk out of my own private pain about being an outsider. A gay man who was oveweight when he was a small kid, who was short-sighted and was bullied... Yeah. Always an outsider."
Außenseiter, ausgeweidet
Clive Barkers Geschichten handeln immer von Außenseitern: sie sind körperlich deformiert, psychisch entrückt, springen zwischen Dimensionen hin und her. Wie die Zenobiten aus seiner Novelle "The Hellbound Heart". Wesen, geboren aus Schmerzen. Ihr Redeführer "Pinhead" hat hunderte Nägel im Schädel stecken. Er quält seine Opfer: im Leid liegt die Wahrheit. Eine sadomasochistische Höllenvision, die Barker selbst als "Hellraiser" (1986) verfilmt. Es ist bis heute Barkers bekannteste Arbeit.
www.tormentedfilms.com
In letzter Zeit ist es stiller geworden um Clive Barker. Zu viele seiner geplanten Projekte sind gescheitert. Der Mainstream, der ihn anfänglich umarmt hat, hat ihn gleich wieder ausgespuckt. Zu extrem, zu brutal, zu schwul seien seine Stoffe. Sein zweiter Film "Nightbreed" kommt 1990 (mit David Cronenberg in einer tragenden Rolle!) nur verstümmelt in die Kinos. Bis heute versucht Barker die Ur-Fassung zu rekonstruieren. Bisher erfolglos. Keiner will ihm Geld dafür geben. Also schreibt er weiter. Wie Jakabok Botch, der in seinen Memoiren "Mister B. Gone" folgendes zu Papier bringt.
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I was an embarrassment, coming from such a messed-up family. They'd throw stones at me, to drive me away, or excrement. So I kept myself from becoming a lunatic by writing down all my frustrations on anything that would carry a mark - paper, wood, even bits of linen - which I kept hidden under a loose floorboard in my room. I poured everything into those pages. It was the first time I understood the power of what you're looking at right now. Words. I found over time that if I wrote on my pages all the things I wished I could do to the kids that humiliated me, then the anger would not sting so much.
Schreiben, um zu heilen. Schreiben, um nicht zu morden. Die Fantasie ersetzt die Wirklichkeit. Barkers künstlerisches Schaffen hat etwas Verzweifeltes an sich. Das macht es so groß, so unantastbar. Hunderte Medaillons und Glücksbringer hängen um seinen Hals; glitzern in der Oktobersonne. Sie lassen Barker wild und mächtig erscheinen. Wie die Tätowierungen an seinem Körper. Später zeigt er mir noch Fotografien von nackten Männern auf seinem Laptop. Sie sind erregt, gleichsam Mann und Monster. Barker hat sie erschaffen. Er ist ein Dämonenpapa. Und seine Kinder sollen ein besseres Leben haben als er.
"We live in a culture which supresses and oppresses and demands that we play a certain kind of role. The monster, if you will, is the one that refuses to play the role."