Erstellt am: 7. 12. 2009 - 19:22 Uhr
Fußball-Journal '09-117.
Heute nachmittag wurde Hans Rinner, der Sturm-Präsident zum Chef der Bundesliga gewählt. Das ist ein deutliches Zeichen gegen Veränderungen und signalisiert die Zufriedenheit, die in der Branche mit dem Status Quo herrscht.
Das wiederum könnte man als durchaus verheerendes Signal betrachten: denn außer ein paar richtigen, zaghaft gesetzten Schrittchen funktioniert im österreichischen Fußball nichts wirklich gut. Und die Kombi Zufriedenheit minus Reformbedarf hat schon so manches Pflänzchen ganz schnell totgetreten.
Nur: ganz so einfach ist es auch nicht. Und der schnelle Reflex des Rundumschlags wird der Lage nicht gerecht.
Das Positive zuerst:
Dazu kommt Glück in der Auslosung der U19 und U17-Zwischenrunden
Der ÖFB emanzipiert sich.
Zumindest von seinem bisherigen Simandl-Gehabe.
Zunächst will sich Leo Windtner eine WM-Bewerbung antun; nicht eine für die Großen (so durchgeknallt ist hierzulande keiner), aber für die U20.
Das ist mutig, aller Ehren wert, standorttechnisch nicht komplett unrealistisch, vom Zeitplan her durchdacht (man steuert 2013 an) und aufgrund des Semifinals in Kanada 07 und der Euro-Reputation auch gewinnbar.
Selbst wenn die Idee im Planungsstadium scheitert: aus der für eine solche Vorgangsweise nötigen Evaluierung des eigenen Potenatials, aus der dafür erforderlichen Rundschau in alle Bereiche, kann man nur lernen. Und für den zuletzt wieder so extrem unrund laufenden Apparat ÖFB ist das in jedem Fall ein Gewinn.
In einem Nebensatz seiner Bekundung sich FIFA-technisch zu exponieren, erwähnt ÖFB-Chef Windtner im übrigen auch die aktuelle U21-Qualifikation: "Die U21 ist auf Kurs – Fernziel Olympia."
Das ist, zu meinem Erstaunen, die erste öffentliche Erwähnung dieses Strangs überhaupt. Dem U21-Coach war die Tatsache, dass die aktuelle EM-Quali auch die Vorqualifikation für Olympia in London ist, lange gar nicht bewusst. Vom aktuellen Teamchef, der Slowenien nicht mit der Slowakei auseinanderhalten kann, erst gar nicht zu reden.
Ich beobachte seit einiger Zeit Details wie diese - die womöglich die Hoffnung aufkeimen lassen, dass die zuletzt eklatant lasch gefahrene Koordination der Jugend-Nationalmannschaften (von U 16 bis U 21) wieder in zentrale Hände genommen wurde, vielleicht sogar als Chefsache.
Die zuletzt hysterisch überzogene Heranziehung von bis zu 16jährigen für viel ältere Auswahlmannschaften hatte die Alarmsirenen offensichtlich zu laut schrillen lassen. Da die persönliche Rekordlust einzelner Vertrags-Coaches die langfristigen Aufbau-Pläne eines Verbandes nicht overrulen darf, kommt es hier jetzt wohl zum Backlash.
Wieder eine Task-Force
Die zweite Maßnahme setzte der ÖFB gemeinsam mit der Bundesliga: man gründete eine Task-Force, die sich mit allem, was der Wettskandal schon verursacht hat und noch anrichten wird, auseinandersetzt. Und das Fünf-Punkte-Programm dieser Gruppe ist kein reines Larifari, sondern droht ganz konkrete Aktionen an.
Zum einen drängt man das Justizministerium zu einem eigenen Staatsanwalt für die Affäre. Zum anderen legt man dem Gesetzgeber deutlich nahe, die Kasperl-Wetten auf Karten oder Einwürfe zu verbieten, regt auch einen Verzicht auf Test- und Amateurspiele an.
Und in jedem Punkt tritt die Übernahme der Verantwortung für das, was kommen wir, zutage, egal ob in der Frage nach Schuld und Strafe oder dem Frühwarnsystem.
Früher hätten Liga und Verband in erster Linie und vordringlich versucht sich abzuputzen und zu distanzieren, alle Probleme auszulagern, für jedes Detail externe Verantwortliche zu suchen etc.
Im Winter 09 nimmt man die Krise ernst.
Dass man damit auch sich selber ernstnimmt, ist ein womöglich unabsichtliches Neben-Produkt.
Wo sich Wettanbieter unter der Bugwelle des Wettskandals noch ordentlich winden und - wie viele Medien und der größte Teil des Umfelds noch in der Phase des Leugnens stecken) ist man hier schon einen Denkschritt weiter.
Jetzt zum Grauslichen:
Während sich die Rapid-Fans weiter damit rühmen allfällige Störungen eines zumindest politisch nicht letztklassigen Ablaufs (denn menschlich ist nahezu jeder Sprechchor der Ultras auf Einzeller-Denk/Sprach-Niveau) zumindest schnell zu unterbinden (der lustige Hitler war schnell wieder weg - was dann gerne so ausgelegt wird, als wäre er nie dagewesen...), hat sich am anderen Ende Wiens in einer zahlenmäßig viel überschaubareren Ecke ein Dreckloch der widerlichsten Sorte etabliert. Und das nicht klammheimlich, sondern bereits den gesamten Herbst über schwelend.
Weil für die stimmschwere und choreografiereiche Umterstützung von Vereinsseite alles in Kauf und deshalb auch in Schutz genommen wird, befindet sich die Austria Wien seit letzer Woche in der Geiselhaft ihrer Ultras.
Die haben, das kann man mittlerweile als gesichert annehmen für das Spiel gegen Bilbao bewusst die als rechtsradikale Faschisten bekannten Fans von Lazio Rom, die ultranationalistischen Kollegen von Levski Sofia und noch dazu zwei faschistische Ultra-Gruppierungen rivalisierender spanischer Vereine nach Wien geholt um hier eine groß angelegte Demonstration ihrer Macht zu zelebrieren. Das reichte von Symbolen des deutschen, italienischen und spanischen Faschismus bis zu Sprechchören, die ganz bewusst auf die baskische Minorität eindroschen. Und reichte bis zum von Anfang an im Fall einer Niederlage geplanten Feldsturm.
Diese Globalisierung der Fan-Un-Kultur ist kein neues Phänomen, aber eines, dem Liga und Zuständige recht hilflos gegenüberstehen. Die Wiener Polizei etwa besann sich auf ihre instinktive Handlungsweise im Fall der Gefahr eines Zusammenstoßes zweier Gruppen definitiv nicht die Größere in Schach zu halten, sondern ließ die faschistische Internationale die baskischen Ultras lange Zeit klopfen.
Politische Verantwortung
Nun kann man zurecht sagen: alles Trotteln und Unbelehrbare. Stimmt ja auch. Dialog mit solchen Figuren ist sinnlos; die bleiben in ihren vergangenen Welten kleben, wurscht wie man ihnen entgegentritt.
Bloß: die politische Verantwortung beginnt dort, wo scheinbar Objektive, scheinbare Normalos das Geschehene verharmlosen, verteidigen, verkitschen und rechtfertigen. Alles unter Zuhilfenahme des Dürftigsten, des Hausverstandes der nur äußerlich modernisierten Variante des Herrn Karl, des ewigen Heldenplatz-Mitläufers, des politische Hooligans.
Diese Blockwarte der Ausredenkultur plappern nämlich in den letzten Tagen sinngemäß folgendes: "wir" (also nämliche Austria-Ultras, die damals mit dabei waren) sind "durten" (also in Bilbao, beim Hinspiel) auch total schlecht behandelt worden.
Selbst wenn das so sein sollte und sie als Nazi-Bastarde, Kriegsverbrecher und Mörder beschimpft worden und gedögelt worden sind, selbst wenn die Polizei auch im Baskenland lange wegschaut ehe sie einschreitet (der Kodex gilt, glaube ich, weltweit...), selbst wenn das alles genau so und noch doppelt so schlimm war...
... es ist nicht einmal ansatzweise ein Grund oder eine Berechtigungs-Grundlage für einen Rückschlag.
Zivilisation äußert sich nicht in Aufschichtung von Rache-Szenarien, sondern in der Fähigkeit zu Deeskalierung oder anderer sozialer Kompetenzen.
Die Entschuldigungs-Arien nach Minarett-Kreuzzugs-Muster
Schlimm ist nicht die Blödheit des Mobs, der Ultras, derer, die nichts wissen und ihren Hass nicht anders verbrennen können als auf "die anderen" einzuschlagen.
Das hat sich seit den verheerend-verharmlosenden Aussagen des Austria-Managers direkt nach dem Spiel kaum geändert: auch am nächsten Tag blieben die Offiziellen bei dieser Linie.
Schlimm ist es, dass etwa die Austria-Verantwortlichen in ihren Entschuldigungs-Arien auf dieselbe Argumentations-Linie zurückgreifen wie die Minarett-Kreuzzügler in der Schweiz und ihre Wannabe-Mimikry in Deutschland und Österreich. Bei "denen" ist's/war's auch nicht besser!
Tolles Argument.
Ob sich in der Türkei, Saudi-Arabien, Syrien oder Marokko Kirchtürme befinden oder wie die rechtliche Situation dort aussieht, ist für die Frage der religiösen Toleranz unserer Gesellschaft komplett irrelevant.
Die definiert sich nämlich nicht passiv, via kleinstem gemeinsamen Nenner. Dann nämlich wäre keine Gesellschaft, keine Nation der Welt über das Stadium der Dauer-Steinigung hinausgekommen (obwohl das dem Weltbild vieler Ultras durchaus entsprechen mag) - mit dieser Ausrede (bei denen ists noch ärger!) ist so etwas wie Entwicklung aussichtslos.
Mit demselben Schund, der Rechtspopulisten allerorten aktuell aus den Worthülsen droolt, seifen die Austria Wien-Funktionäre die Verpackung ihrer Ausreden ein.
Sicherheitshalber zurückschießen, oder?
Natürlich.
Woher sollen sie es auch nehmen?
Wie sollen sie's auch besserwissen?
Sie orientieren sich am Prototyp der aufstrebenden jungen Männern mit bewusster Bildungs-Limitierung, genau jener hemdsärmeligen Ingeneurs-Struktur, die die diversen Buberlpartien diverser tektonischen Formationen in der hiesigen Geschichte des Rechtspopulismus befördert hat.
Weshalb sie sich dann, un-, vielleicht sogar unterbewusst, der identischen Argumentations-Linien befleißigen: hochpopulistisch und politisch hochproblematisch.
Wenn ein Fußball-Verein, der auch eine derart zentrale Bildungs-Macht ausübt wie die Austria Wien eine bewusste und in jeder Hinsicht widerwärtige faschistisch inspirierte Provokation gegen einen de facto nur symbolisch vorhandnenen Gegner, gegen den neutralen Zuschauer und gegen den Verein selber mit einem politisch gesponnenen Querverweis auf die Unverschämtheit dessen, was im "Ausland" erduldet werden musste, schönreden wollen, dann hört sich nämlich alles auf. Noch ist das nicht der Schmäh, dass man zurückschießen hat müssen, gegen irgendwelche Nachbarn. Viel fehlt da aber - was die falsche und unüberlegte Denke betrifft - nicht mehr.