Erstellt am: 6. 12. 2009 - 19:08 Uhr
Journal '09: 6.12.
Es gibt für den Fortgeher in mir wenig Besseres, als eine neue Lokalität zu erkunden. Am allerbesten, wenn es sich zufällig ergibt - weil dann keine Erwartungen existieren, die sich womöglich nicht erfüllen. Wie das etwa bei der Pratersauna im Frühjahr war. High Expectations und dann beim ersten Ausflug dorthin die Erstbegegnung mit der ungustiösen Hool-Hundestaffel, mit der planlosen Tür-Politik und dem sich irgendwie nicht einstellen wollenden Unfertig-Charme anderer Hütten im Berlin-Style. Ja, draußen im Vorgarten ist es super, aber... da war der Zauber des Neuen und noch zu Erobernden allzu schnell verflogen.
Besser ist es, zufällig auf/in etwas gestoßen zu werden. Und am Allerwildesten ist es natürlich, etwas im ureigenen Lebens-Radius oder den Stätten von Kindheit oder Jugend neu zu erfahren, wieder zu erfinden. Wie mir das in Wien ohnehin laufend passiert.
Gestern, an einem angebrochenen Samstag-Abend nach Soap&Skin und einer Absage durch übermüdete Heimkehrerinnen, war es die SMS-Nachricht des Stoffumhängetaschen-Partyexperten, die eine lose Runde aus dem semiintellektuell besetzten Dalmatiner-Schnitzel-Lokal zu einem mitternächtlichen Treffpunkt lotste.
Rechte Wienzeile 2A, hieß es, wie, Morissey-Club? Nein, Morrison-Club. Allgemeines Kopfgekratze und Spekulationen - ist das nicht ein ehemaliges Schwulen-Lokal?
Und mir macht die Adresse Sorgen. Das ist doch bei mir ums Eck, nahe am alten Hang-Out Hamburgerstraße, einer in meinem Leben historisch durchaus vielfältig und schwer belegten Gegend. Wo zum Krampus soll da bloß... ?
Club Morrison...
Als wir uns dann der Gegend nähern, wird mir klar, dass ich den Vorgängerbetrieb natürlich kenne, vom belustigten Vorbeigehen. Direkt gegenüber ist die sensationelle Bäckerei Gül, ein wichtiger Ort, um Essbares aufzunehmen, etwa wenn ich von früheren Icke Micke-Veranstaltungen in der Künstlerhaus Passage heimgegangen bin; was dann in den Jahren, als das noch ungewöhnlich war, den Extra-Touch "Berlin" gebracht hat.
Und natürlich traf man im oder vor dem Gül immer auf irgendjemanden, der da verschämt oder offen in den gegenüberliegenden Club verschwand, der offenbar schon immer "Morrison-Club" hieß. Das hatte ich vergessen, obwohl es immer ein Zusatz-Gag war, dass eine versiffte kleine Kaschemme mit absurder und greller Auslage (auch gern mit Neonketten-Geblinke) so hieß und dann doch nur das übelste, an einen grindigen Schnellimbiss erinnernde Table-Dance-samt-Hinterzimmer-Puff war.
Nein, ich war nie drin - das Faszinosum Halbwelt hat sich mir nie erschlossen, die gern als intellektuelle Rechtfertigung vorgeschobene Ausreden-Kultur der so in die Tiefe gehenden traurigen Geschichten zwangseingeschleuster Huren macht diese moderne Sklaverei nicht besser oder verständlicher.
Also war es tatsächlich nach Jahrzehnten des automatischen Auslagen-Grinsers das erste Mal, dass ich da reingegangen bin. Es gibt tatsächlich eine große erhöhte Tanzfläche mit Stange (sowas hab ich zuletzt in Graz-Jakomini erlebt, wo sich die Postgaragen-Aftershow-Gesellschaft um 6 Uhr früh trifft) und dubiose hintere Räume im verwinkelten Kleinformat.
Die durchmischte Party-Crowd
Und die auf den ersten und zweiten Blick dort anwesende Gesellschaft erklärt aus sich heraus: hier ist ein neuer Spot, den noch nicht so viele entdeckt haben, der noch nicht in den Kalendern von Falter, Hauptstadt oder sonstwo zu finden ist, wo Veranstaltungen und DJ-Abende tatsächlich nur mit Flyern und Word of Mouth voll werden.
Und voll ist es.
Die Gruft-Prinzessin und ihr Britpop-Prinz sind da, der Siluh-Bernhard, dann der Künstler-Typ, den man überall sieht, der rotbartige Party-Kolumnist, und der weißhaarige Pionier, der schon zu Dub Club-Zeiten immer beim DJ stand, steht beim DJ rum; und im Hinterzimmer finden sich die Ö1-Redakteurin und der Fußball-Schreiber, den man schätzt. Jetzt sind wir, die zufällige FM4-Abordnung, auch da, und natürlich der Party/Szene/DJ-Superchecker, der uns hergelotst hat. Dazu ein paar Dark Wave-Mädels, eine gehörige Abordnung der Kunst-Crowd, eher die jüngeren und schickeren Modelle, ein paar deutsche Studentleins, ein Model und ein paar Normalos. Und natürlich die stockdrübere Ausdruckstänzerin, die es immer gibt.
Die Mäntel landen auf einem Tisch und sind beim Gehen überraschenderweise immer noch dort. Die schmale Bar ist trotz Überfüllung schnell und geschickt. Und irgendwann stellt sich dieser Künstler, den man vom Sehen kennt, rauf und räkelt sich an der Stange. Als er dann ein paar Minuten später eine Gitarre umschnallt und der DJ-Sound verstummt, merken wir, dass wir in eine Performance geraten sind. Zwei Gitarristen mit stumpfen MC5artigen Sounds und Gebrülle, Mikro wie bei Lemmy nach unten gerichtet, forever drone.
Weil der Herr Künstler den Typen neben uns von der Bühne herunter anmacht, er möge gefälligst nicht so intensiv die Frau neben ihm anbraten, es wäre nämlich seine Freundin, können wir die dann fragen, wie denn das heißt, was wir da sehen. Wegwerfpizza, sagt sie.
Sagt alles. Und passt.
Guter Abend. Bei mir ums Eck.
Und fast wäre er unentdeckt geblieben, zum Krampus aber auch noch einmal...