Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Die Generalprobe"

Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

6. 12. 2009 - 02:18

Die Generalprobe

Der verstörende Charakter einer Probe, bei der man sich als Zuschauer fehl am Platz fühlt. Eine ungewöhnliche Erfahrung im Studio 2 mit Soap&Skin und Ensemble.

Anja Plaschg am Klavier

Pamela Rußmann

Es heißt, dass man eine Person besser verstehen lernt, wenn man ihr Verhalten in ungewöhnlichen Situationen beobachtet. Die besondere Möglichkeit, die zerbrechlichen und verstörenden Kompositionen einer als scheu und schwierig eingestuften Künstlerin bei einer sogenannten "Generalprobe im Studio 2" mit der Unterstützung eines kleinen Ensembles zu erleben, könnte man sicherlich als eine solch ungewöhnliche Situation bezeichnen.

Die mediale Legendenbildung um die 19-jährige Kunstfigur Soap&Skin, deren Eltern im oststeirischen Gnas ein Schweinemastbetrieb gehört und die sich selbst das Klavierspiel beigebracht hat, ist zu weit fortgeschritten, um noch ignoriert zu werden. Welche Rolle die Person Anja Plaschg dabei spielt, vermag wohl nicht einmal mehr sie selbst noch zu beantworten. Umso verlockender war der Gedanke für mich und rund fünfzig andere Zuschauer, ihr bei dieser Generalprobe am Krampustag ein Stückchen näher kommen zu können.

Das Wesen der Probe

Alle Fotos von
Pamela Rußmann

Hinter dem Gedanken der Probe steht die gemeinsame Übung eines vorher festgelegten Ablaufs. Es machte daher durchaus Sinn, dass Kollege Blumenau (als Einspringer für den verkühlten Fritz Ostermayer) in seiner kurzen Einleitung das Publikum vorwarnte, dass in der folgenden Darbietung keine Interaktion mit den Zuschauern zu erwarten sei. Vielmehr müssten sich die Musiker auf sich selbst konzentrieren. Es verwunderte daher nicht, dass der Applaus beim Einzug des sechsköpfigen Ensembles (inkl. Background-Sängerin, der ein verwandtschaftliches Verhältnis zu Anja Plaschg anzusehen war) verhalten war und beim Auftritt der Künstlerin sogar vollends verstummte. Auch ich fühlte mich fehl am Platz, als spielte ich Mäuschen an einem Ort, an dem ich eigentlich nicht sein dürfte.

Anja Plaschg und Streicher-Ensemble im Studio 2

Pamela Rußmann

Mit "Brother Of Sleep" wurde ein Reigen von 11 Stücken eröffnet, die das Wagnis versuchten, die oft kalt und verstörend wirkenden Kompositionen von Soap&Skin mit orchestraler Begleitung zu verbinden. Ein Wagnis deshalb, da aus einem Zusammenspiel auch ein Gegeneinander hätte werden können. Aus diesem Grund war der Lautstärkepegel zwischen den wuchtigen Soundcollagen aus dem Laptop und dem tapfer spielenden Ensemble an manchen Stellen ein enormer. Beim Finale von "Turbine Womb" bebten die Wände des kleinen Studio 2 und "Marche Funèbre" entwickelte sich am Ende der Session zu einer wahren Orgie, bestehend aus einer kreischenden Sängerin und einem Ensemble, das wie das Streichquartett auf der Titanic den Untergang zu untermalen versuchte.

Anja Plaschg singt

Pamela Rußmann

Dazwischen war sichtlich der Charakter einer Probe zu spüren. Zum einen zu merken an verhaltenen Fragen von Anja Plaschg an die Musiker: "Hört ihr mein Klavier eh laut genug?", der Wiederholung von Passagen und dem Herumwandern der Künstlerin durch den Saal. Minutiös schien sie den Sound zu testen, die Möglichkeiten auszuloten. Das Publikum war für sie kaum existent, bei Schreien am Klavier drehte sie sich sogar mit dem Gesicht weg. Ganz anders das Ensemble: Sichtlich auf ungewohntem Terrain spielten sie choreografisch mit dem Licht ihrer Notenständer und lächelten einander zu. Stücken wie "Cynthia", "Surrounded", "Extinguish Me" und "Mr. Gaunt Pt 1000" wurde gerade durch die orchestrale Intensität neues Leben eingehaucht. Und auch wenn man stellenweise das Gefühl hatte, das Ensemble schien im Umgang mit der Musikerin genauso unsicher zu sein wie das Publikum, waren da auch Momente, in denen Anja Plaschg bewusst bei ihren Begleitmusikern Halt und Bestätigung suchte. Und dadurch auch eine Art Kollektiv entstand.

Das Verständnis für den Moment

Nach knapp einer Stunde kam das Ende. Ohne viel Aufsehen verließ die Künstlerin den Saal. Fast alle blieben sitzen, hofften vergebens auf eine Zugabe. Zu verstört und ratlos waren manche, zu ergriffen die meisten. Ganz besonders schön fand ich den Moment, als das Ensemble auszog. War beim Abgang von Soap&Skin der Applaus gewohnt zurückhaltend, brach für einen kurzen Moment beim Auszug des Orchesters etwas zutiefst Menschliches durch. Für mich und das restliche Publikum schien es zutiefst befreiend zu sein, dieser hervorragenden Gruppe euphorisch zuzujubeln. Die oft bedrohlich wirkende Aufpasserin war nicht mehr da, um uns eventuell dafür zu rügen.

Anja Plaschg am Klavier

Pamela Rußmann

Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich ein wenig verhalten und in mich gekehrt. Ich kann immer noch nicht genau sagen, wie ich dieses Erlebnis für mich einordnen soll. Im FM4-Interview meinte Anja Plaschg, dass sie der Film "Irréversible" besonders verstört zurückgelassen hatte. Ich kenne den Film und das Gefühl, das ich nach ihm hatte, kommt dem hier sehr nahe. Ich fühle mich etwas allein gelassen und weiß noch nicht, wie ich damit umgehen soll. Denn so fragil die Stücke von Soap&Skin auch sein mögen, so wuchtig sind sie mit Ensemble.

Nach diesem Abend vermisse ich nicht nur ein besseres Verständnis für die Künstlerin und ihre Musik, sondern erschrecke auch, wie wenig ich mich selbst nach dieser Erfahrung verstehe. Aber vielleicht wird das ja noch. Schließlich war das heute nur die Generalprobe.

Soap&Skin live mit Ensemble:
06.12. - Arge, Salzburg
08.12. - Orpheum, Graz
09.12. - WUK, Wien Vienna
16.12. - Savoy Theater, Düsseldorf
17.12. - Berghain, Berlin

Anja Plaschg

Pamela Rußmann