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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

5. 12. 2009 - 21:23

Journal '09: 5.12.

Die Außenblicker.

Gestern war ich Teil eines seltsamen Experiments.
Eine sehr renommierte Teil-Redaktion eines sehr renommierten deutschen Print-Produkts war nach Wien gekommen und hatte 12 Österreicher in ein Abteil des Café Engländer eingeladen - im Bräunerhof, wegen Thomas Bernhard natürlich erste Wahl, hätte das mit der Abtrennung nicht funktioniert.
Sie hatten einen Filmregisseur, einen bildenden Künstler, eine Grande Dame, zwei Schauspielerinnen, einen Kabarettisten, eine Schriftstellerin, einen Physiker, einen Philosophen, eine Musikerin und einen Schriftsteller eingeladen.
Und mich.
Wenn ihr euch fragt, wie ich da hineinpasse: das hab ich mich auch.

Die redaktionelle Antwort im Vorfeld lautete etwa so: weil wir das verfolgen was Sie tun und es uns gefällt/interessiert - wie bei allen Menschen, die wir eingeladen haben zu dieser Gesprächs-Runde.
Ich war auch deswegen gezwungen das zu glauben, weil ich zwei Durchläufe an Organisation erlebte, nachdem von der ersten Liste (auf der ich auch schon drauf war) fünf Menschen (eine Fotografin, ein Theatermacher, ein Philosoph, eine Filmregisseur und ein Kabarettist) abgesagt hatten.

Alle Beteiligten sind Household-Names (teilweise sogar Superstars) einer Kultur-Szene (im weiteren Sinn), die sich zwischen Mainstream und Kennerschaft hinzieht. Und bis auf die Grande Dame sind alle durchaus FM4-tauglich.

Warum? oder doch besser: Was eigentlich?

Ich hab mir bis vor diesem Abend keine weiteren Gedanken mehr über das "Warum?" gemacht, zum einen, weil die Einlader ein sowohl seriöses als auch lässiges Produkt herstellen und ich mir diese Fragezeichen-Stelle mit einer verschobenen Außensicht erklärt habe.

Klar: im süddeutschen Raum (weniger stark auch in Hamburg oder Berlin) gilt FM4 eine ganz gewaltige Menge, dient fast als Synonym für das Andere und Interessante am neugierigmachenden Nachbarn Österreich. Und ja, wenn man von Deutschland aus auf die heimische Diskurs-Praxis blickt, kann ich einem schon auffallen.
Und sicher, wenn man einen Österreich-Schwerpunkt plant, der auch eine wie beschrieben besetzte Diskussion enthält, dann hat das alles durchaus eine innere Logik.

Mehr als die Frage nach dem "Warum" hat mich im Vorfeld aber die Frage "Was eigentlich?" beschäftigt. Ich hab dann auch diesen Punkt abgehakt, weil es zwar in meiner Berufs-Natur liegt, solche Fragen sofort zu stellen, (Struktur tut in Gesprächen einfach Not), ich aber als Gast keinerlei Recht auf Leitung habe.

Beschäftigt hat die Frage nach dem "Was eigentlich?" nur mich, wie ich dann gestern vor Ort bemerkt habe.

Den Österreicher-Zustand nach außen vermitteln

Der Nachmittag/Abend war so konzipiert, dass die Zwölf zwischen 14 Uhr und Sperrstunde eintrudeln und wieder gehen sollten, je nach Verplantheit. Als ich knapp vor fünf, ziemlich zeitgleich mit dem Kabarettisten angekommen bin, waren der Künstler und der Regisseur (Verpflichtungen) schon weg, eine Schauspielerin und die Grande Dame noch da.
Und zu viert, mit vier sich dezent einmischenden Redakteuren, ist dann schon sowas wie ein Gespräch möglich, auch wenn man kein Thema, kein Motto, keinen Anlaß hat.
Denn Österreich ist, für Österreicher zumindest, ja nur ein Zustand. Noch dazu ein für uns selbstverständlicher, der sich für Außenstehende quasi über eine zusätzliche Verbal-Ebene erst erzählen lassen muss.

Die Einladenden (die Redaktionsleiterin, der Kölner Star-Autor, die vor Jahren nach Deutschland emigrierte Edelfeder und der Volontär) hatten bewußt keinen Plan, nur drei Standard-Konversations-Fragen. Und genossen die Freiheit, einen zufällig im Lokal anwesenden Festival-Direktor kurzfristig mit an den Tisch zu bitten.

Das alles ging sich in dieser nunmehr 5 gegen 4-Phase dann auch für Themen aus, die auf der Hand lagen und Erklärungsbedarf für die Außenblicker nach sich zogen: der Sonderfall Kärnten, die Medien-Macht, vor allem die der Krone, und die daraus resultierenden politischen Machenschaften.

Arrivierte Nonchalance, jugendliche Emotionalisierung

In einer noch um einen Kaffeehaustisch die-Köpfe-zusammensteckenden Situation führt das dazu, dass doch jeder über die eigentliche Agenda ("Mein nächstes Programm wird übrigens...") der Person hinaus erzählt, nachfragt und einschätzt. Und auf zuvor Gesagtes zurückgreift. Wie in einem echten Gespräch, das ein Interview ja deutlich überragt.

Mir z.B. war eine grundsätzlich richtige Einschätzung des Kölner Autors, der interessanterweise das "von" in seinem Namen unterschlug (vielleicht um nicht aufzudrücken, vielleicht auch aus dem Irrglauben heraus, das offizielle Adelsnamens-Verbot in Österreich würde sich auch auf Gäste beziehen) aufgefallen: er meinte, wir, die Österreicher, würden über Dinge, die eigentlich demokratiepolitische Ungeheuerlichkeiten darstellen, mit einer fast lächelnd-milden Nonchalonce sprechen, auch, um damit die Unveränderbarkeit des Systems zu vermitteln.

Erstens, sagte ich dann sinngemäß, ist das natürlich Jammern auf hohem Niveau und angesichts weltpolitischer Unwichtigkeit. Österreich gehts insgesamt unglaublich gut; und Blödheiten, die hier passieren, haben keine Auswirkungen bis in den Hindukusch, wie das in Deutschland der Fall ist.
Und zweitens liegt das natürlich auch an der Reflektiertheit und der Abgeklärtheit der Altersgruppe der Eingeladenen.

Hättet ihr, sagte ich, diese Runde im oder unter Einbeziehung des Audimax und seiner Vertreter gemacht, dann würde dasselbe, was wir hier mit einem bitteren Lächelns als übersteigerten Witz erzählen, durchaus emotionalisiert und bekämpfenswert angegangen werden.

Experimente in Physik und Gesprächskultur

Österreichische Grund-Befindlichkeit ist in Tagen wie diesen sicher nicht so leicht wie früher mit Wurschtigkeit und "Sich-Abfinden" zu definieren, wie vor dem Audimaxismus, der ja von Wien aus auch nach Deutschland exportiert wurde.

Diesen Export-Aspekt anzusprechen, gelang mir dann zum Beispiel genau gar nicht, weil die Schauspielerin diese Sache mit Bildung statt Ausbildung erklärt haben wollte und dann der Physiker eintraf, dessen Volumen in jeder Hinsicht Dominanz ausstrahlte.

Als dann kurze Zeit später die Schriftstellerin eintraf, wurde die intime Struktur aufgelöst und Tische zugestellt, was zum Verlust eines Gesprächs-Zentrums führte.
Da es (wohl bewusst) niemanden gab, der so etwas wie den Fortschritt einer Gesprächsführung im Auge behielt, zerfiel die Gesellschaft in zwei bis drei Teile und diskutierte in der Folge nie mehr etwas Angerissenes aus.
So blieb etwa - ich glaube auch wegen des Eintreffens eines neuen Gasts - die Frage nach dem Grund des Zustands österreichischer Medien offen; vor allem, was den Vergleich mit Deutschland betrifft.

Da sich ab einem gewissen Zeitpunkt allzu viel nur noch um lustige physikalische Experimente drehte (wie wenn eine Gesellschaft einen mit Zauberkünststückerln am Tisch hat - da gibts eine natürliche Dominanz) kam es weder zur Vertiefung noch zum ernsthaften Vergleich, der uns in die Zeit der Entnazifierung führen hätte müssen, die in Deutschland auch via konkretem Aufbau einer Medien-Struktur nach US-Vorbild stattfand (und die anglo-amerikanische Basisstruktur ist dort heute noch sichtbar) während in Österreich (nicht nur hier) viel zu wenig passierte.

Ein Freitag im Dezember...

Stattdessen ließen wir uns von der zeitgleich erfolgten Auslosung der Fußball-WM ablenken. Klar, dass ich mich mit dem Philosophen und dem Kabarettisten da unangestrengter und vergnügter austauschen konnte.

Kurz darauf bin ich einem heftigen Winken aus den Tiefen des Cafes gefolgt - dort saßen, das Leben ist eine Anhäufung von unzufälligen Zufällen (der Physiker hätte es sicher via Versuchsanordnung erklären und einordnen können), Bekannte/Freundinnen von mir, unter anderem eine, die ich seit zwei Jahren nicht mehr gesehen habe - Auslandsaufenthalt und überhaupt. Wir machen uns was für morgen (heute) aus - und zurück am Star-Tisch fällt mir dann umso drastischer auf, dass eine doch eher zufällig zusammengewürfelte Runde von Menschen, die einander nur flüchtig oder oberflächlich kennt, einfach nicht so viel kann. Vor allem, wenn sie nicht weiß, warum sie überhaupt da ist und wenn sie kein (noch so vager) Masterplan durchleitet. Weil ich auch noch die ganze Woche über sowas wie eine Magenverstimmung habe (zuviele Crepes, vermute ich, die Weihnachtssaison hat wieder begonnen) gebe ich auf und klinke mich aus.

Keine Ahnung, was die Außenblicker aus diesem Ding machen. Vielleicht sind im dialogischen Infight zwischen der Schriftstellerin und der Musikerin noch tolle Sachen passiert, vielleicht hat der Schriftsteller, vielleicht hat die für "spät" angekündigte andere Schauspielerin noch das Haus gerockt, vielleicht hat der Physiker den Tisch noch schweben lassen.

Wir werden's in ein paar Wochen sehen und lesen.
Oder, wenn die Außenblicker am Tag danach alles überdacht und weggeworfen haben, auch nicht.