Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Bern ist nicht Berlin"

Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

5. 12. 2009 - 13:12

Bern ist nicht Berlin

Das Leben in Berlin ist zwar kein Multi-Kulti-Alternativkitschtraum, aber...

Nach dem Ergebnis der Volksabstimmung in der Schweiz am letzten Sonntag knallten wohl die Champagnerkorken bei den europäischen Rechtsradikalen. Auf Facebook gründeten sich die ersten "Ich schäme mich" - und "Ich will ein Minarett in der Schweiz bauen"-Gruppen, und auch in Berlin wurde die Schweizer Entscheidung zum Minarettverbot die ganze Woche durch diskutiert. "Die Schweiz! So urdemokratisch, neutral, und jetzt das!!", war der Tenor der Debatte; darunter mischte sich ein leicht überhebliches, "In Berlin wäre so etwas nicht passiert." Das stimmt zwar – aber auch, weil im deutschen Grundgesetz die Religionsfreiheit nun mal festgeschrieben ist.

moschee in berlin

moschee in berlin

Als bekannteste Berliner Moschee ziert die Neuköllner Sehitlik Moschee das Straßenbild

"Berlin ist nicht Bern", sagte der Integrationsbeauftragte des Senats.Das stimmt zum Glück, aber ganz so golden sind die Verhältnisse hier nun auch nicht.In Berlin gibt es heute 80 Moscheen, die meisten wurden in Hinterhöfen gegründet und zogen nach der Wende in frei gewordene Lagerhallen und Industriegebäude. Nur fünf Moscheen sind in repräsentativen Bauten untergebracht und haben Minarette.Die SPD-Politk folgt der Line "Pro Moschee-Neubau" – man will die Moscheen aus den Hinterhöfen holen. Aber die wachsende Islamophobie der letzten Jahre hat auch in Berlin zu neuen Ressentiments geführt. Gegen den Neubau in Berlin-Heinersdorf – der erste Moscheeneubau in den ostdeutschen Ländern – hatte es heftigen Widerstand unter den Anwohnern gegeben, inzwischen hat sich die Situation beruhigt.

moschee in berlin

moschee in berlin

1924 wurde die älteste Berliner Moschee in Berlin-Wilmersdorf erbaut

Und selbst im erztoleranten Kreuzberg gab es Irritationen, als auf dem Grundstück des bei den Mai-Unruhen 1987 abgefackelten Bolle-Lebensmittelmarktes eine dreigeschossige Moschee gebaut werden sollte. Es brauchte jedoch nur eine Infoveranstaltung mit Diskussion, und schon steht das Gotteshaus auf dem alten Brachgelände und keinen schert es. Die Berliner sehen sich gerne in der Tradition des Preußenkönigs Friedrich des Großen, von dem das schöne Bonmot stammt, "Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sich zu ihnen bekennen, ehrliche Leute sind. Und wenn Türken und Heiden kämen und wollten hier im Land wohnen, dann würden wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen."

Das war 1740. 270 Jahre später ist das Leben in Berlin zwar kein Multi-Kulti-Alternativkitschtraum, aber es hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass nun mal alle irgendwie dazu gehören, auch wenn man nicht so viel miteinander anfangen kann und will. Angesichts der Schweizer Zustände scheint das freundlich desinteressierte Berliner "Leben und Leben lassen" schon als zivilisatorischer Fortschritt.