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Andreas Grünewald

"Es gibt Sachen, die sind so falsch, dass nicht mal das Gegenteil wahr ist."

6. 12. 2009 - 14:51

Uni-Besetzung kurzfristig ausgeweitet

In Wien wurden heute Nacht kurzzeitig Teile eines Gebäudes in Uninähe besetzt. Ziel war, Freiräume für Solidarische Ökonomie und eine alternative Universität zu schaffen, schildern die Besatzer_innen im Interview.

Während insbesondere die ÖVP immer mehr auf die Räumung des Audimax und anderer besetzter universitärer Einrichtungen in Österreich drängt, wurden heute Nacht mehrere leerstehende Stöcke eines Gebäudes in der Nähe der Hauptuni Wien besetzt. Geplant und durchgeführt wurde die Aktion von der Gruppe "Kritische und Solidarische Universität" (KriSU). Zu Mittag zogen die Studenten wieder ab. Begründung gegenüber der APA: Sie hätten gedacht, das Gebäude gehöre der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG). Allerdings hätten sie mittlerweile erfahren, dass es im Privatbesitz sei.

Im Interview kurz vor der Besetzung spricht die Gruppe KriSU über ihre Anliegen und Ziele.

In Österreich sind schon seit Wochen mehrere Universitäten bzw. universitäre Räumlichkeiten besetzt. Warum jetzt noch eine Besetzung?

KriSU: Die Proteste an den Universitäten hatten ja ursprünglich vor allem zum Ziel, auf Missstände an den Unis aufmerksam zu machen. Daraus ist in den letzten Wochen viel mehr entstanden: Die Proteste haben eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Rolle von Bildung entfacht. Daran wollen wir anschließen, gleichzeitig ist unser Ziel etwas anders gelagert, als das der Uniproteste: Während dort eine Reform der Uni gefordert wird, wollen wir langfristige Freiräume für andere Formen der Bildung schaffen.

Glaubt ihr nicht, dass ihr euch diese Freiräume auch innerhalb der Universitäten erkämpfen könnt?

KriSU: Natürlich muss in den Unis dafür gekämpft werden! Gleichzeitig ist die Reformfähigkeit der Universitäten aus unserer Sicht begrenzt, zumindest mittelfristig. Zum einen ist die Uni kein Ort des offenen Wissensaustausches, zu dem jede und jeder Zugang hat. Sie schottet sich von vielen Bevölkerungsgruppen ab. Zum zweiten bietet die Uni kaum mehr Raum zur gesellschaftlichen Reflexion. Fragen wie "Welche Gesellschaft wollen wir eigentlich?", "Welche Alternativen gibt es zum jetzigen System, das sich von einer Krise in die nächste schleppt?" haben auf der Uni keinen Platz.

Das sieht man ja auch an der aktuellen Situation: Die Uni ist unfähig, auf die Forderung der Protestierenden einzugehen. Und auch für die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Krisen werden auf den Universitäten keine wirklichen Antworten entwickelt. Im Gegenteil: Die Unis und ihre Forschung haben das ihre zu diesen Krisen beigetragen. Man betrachte nur die vorherrschenden ökonomischen Theorien, die gelehrt werden, oder die Ausbildung der Betriebswirtschaft, die auf Profitmaximierung und Konkurrenz ausgerichtet ist. Ein anderes Beispiel ist der Energiebereich, wo es vor allem um Effizienzsteigerung geht, nicht aber um Einsparung von Energie. Es gehen viel zu viele Ressourcen in technische Entwicklungen, die Profite bringen sollen, aber viel zu wenige in soziale Innovationen und praktisch keine in eine Solidarische Ökonomie.

Was kann man unter dem Prinzip der Solidarischen Ökonomie verstehen?

KriSU: Solidarische Ökonomie heißt: Produktion für die Befriedigung von Bedürfnissen, nicht für den Profit. In der Solidarischen Ökonomie sind die Produktionsmittel selbstverwaltet - alle entscheiden gleichermaßen mit, wie was für wen produziert wird. Die Solidarische Ökonomie wird von Kooperation getragen und orientiert sich stark am Gemeinwesen. Eines unserer Vorbilder ist Brasilien. Dort hat sich die Solidarische Ökonomie fast schon als ein Wirtschaftssektor etabliert. Brasilien hat einen eigenen Staatssekretär für Solidarische Ökonomie, Paul Singer. Er unterstützt unsere Aktion - und ist nebenbei gesagt auch Träger des Großen Ehrenzeichens der Republik Österreich...

Welche Rolle spielt Bildung im Konzept der Solidarischen Ökonomie?

Die Universitäten der Solidarischen Ökonomie müssen eine andere Rolle spielen als heute - sie müssen andere Fragen stellen, andere Methoden entwickeln, sich selbst demokratisch strukturieren. Wissen muss allen offen stehen und soll zur Entwicklung von gesellschaftlichen Alternativen jenseits des jetzigen Systems beitragen. Dabei wollen wir mit verschiedenen Gruppen, zum Beispiel den Armen, auf gleicher Augenhöhe zusammenarbeiten. Wir wollen miteinander und voneinander lernen, und damit auch die strikte Trennung zwischen Lernenden und Lehrenden, wie sie unser Bildungssystem auszeichnet, aufheben. Inter- und Transdisziplinarität ist hier wesentlich. Nicht als eine Worthülse wie in der konventionellen Universität, sondern als gelebte Praxis.

Inhaltlich richtet sich die Universität ganz auf die Frage aus, wie man Solidarische Ökonomie unterstützen kann. Das tun Teile der Unis in Brasilien, in sogenannten Inkubatoren, Brutkästen für Solidarische Ökonomie. Es ist eine Art von Unternehmensbegleitung, aber viel umfassender und vor allem mit ganz anderen Zielen: Kooperation, Bedarfsdeckung, Gemeinwesenorientierung.

Was habt ihr in den von euch besetzten Räumlichkeiten konkret vor?

KriSU: Also, wir sehen uns primär eigentlich nicht als Besetzerinnen und Besetzer. Vielmehr haben wir Räume für die Öffentlichkeit wieder eröffnet und revitalisiert, die seit mehreren Jahren leer stehen und für die es keinerlei Nutzungskonzept gibt. Wir haben hingegen ein sehr umfangreiches und klares Konzept:
Erstens wollen wir Räume schaffen für den Austausch von Wissen, für das es an den Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen keinen Platz gibt. Das soll in Form von Workshops, Vorträgen, Arbeitstreffen und so weiter geschehen. Wir wollen auch eine eigene Bibliothek einrichten, in der wir Materialen zur Solidarischen Ökonomie und anderen Themen sammeln werden.
Zweitens verstehen wir uns auch als Ort der Wissensproduktion, indem wir gesellschaftliche Entwicklungen dokumentieren, reflektieren und konkrete Alternativkonzepte ausarbeiten und ausprobieren wollen. Zum Beispiel werden wir in den nächsten Monaten eine Kartographierung von bestehenden Solidarische Ökonomie-Projekten in Österreich vornehmen, und dadurch eine verstärkte Vernetzung und einen Wissensaustausch anregen.
Drittens wollen wir Menschen auch die Möglichkeit bieten, sich bei uns einfach nur zu treffen, zu entspannen und auszuruhen. Auf der gesamten Universität gibt es keine Räumlichkeiten, in denen man sich ohne Konsumzwang aufhalten kann. Das muss man sich einmal vorstellen! Ja, und dann sind die Räumlichkeiten natürlich auch für diverse kulturelle Veranstaltungen offen, wie Ausstellungen oder Lesungen.

Gibt es für die nächsten Wochen schon ein Programm?

KriSU: Wir legen den Schwerpunkt auf die Bildung von Arbeitsgruppen. Die Hauptfrage wird dabei sein, wie wir auf die ökologische und soziale Krise, in die der Kapitalismus uns gebracht hat, reagieren. Wir müssen die Ansätze einer Solidarischen Ökonomie, die es auch in Österreich gibt, sammeln, mit den Leuten in Kontakt treten, Vernetzung anregen. Da ist viel zu tun. Daneben wird es kulturelle Events geben, am Montag, 9.12. zum Beispiel einen Literaturtag. Am Dienstag wird es die Präsentation des Buches "Die unsichtbare Intelligenz" geben. Am Mittwoch gibt es eine Performance von Regina Picker. Das Programm gibt es auf krisu.blogsport.de.

Das klingt ja ambitioniert. Aber glaubt ihr, dass ihr die Räume über einen längeren Zeitraum halten könnt?

"Wir" sind keine geschlossene Gruppe. "Wir" sind viele, aus dem In- und Ausland. Es gibt eine breite Palette von Unterstützerinnen und Unterstützern, die man auf der Website einsehen kann, von Elfriede Jelinek über Paul Singer, Robert Menasse, Robert Misik, Frigga Haug, Maria Vassilakou, aus den verschiedensten sozialen Milieus. "Wir" sind offen. Was uns vereint, ist der Wille, eine Alternative zum Kapitalismus zu entwickeln, mit Selbstverwaltung der Betriebe und der Wissensproduktion im Kern. Wenn "wir" uns des Ernstes der Lage bewusst genug sind, dann werden "wir" die Räume auch dauerhaft für die Kritische und Solidarische Universität nutzen können. Das ist ein globales Projekt - der Raum in Wien ist absolut wichtig, als ein Ankerpunkt für Aktivitäten und Dynamiken, die eine weit größere Dimension haben.Wer an Alternativen zum jetztigen System interessiert ist, der ist herzlich eingeladen, vorbeizuschauen und mitzuwirken.