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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

5. 12. 2009 - 06:00

Decemberlist, fünf

Jetzt aber wirklich: die Pissed Jeans vermöbeln das Grunge Revival.

Das ist die Decemberlist
24 Stücke Musik, täglich eines, den ganzen Dezember über, vorgestellt von FM4 MusikjournalistInnen und Webhosts. CDs, die während des Jahres die FM4 Musikredaktion passiert haben und die für uns von Bedeutung waren. Zum Schenken und Beschenktwerden. Von Indie Pop bis Rare Groove, von dänischem Metal bis österreichischem Songwriter Pop.

fm4.orf.at/decemberlist

Zufall ist es sicher keiner, dass dieser Tage die digital remasterte Version von Nirvanas Erstling Bleach bei Sub Pop wiederveröffentlicht wurde. Im August ist mit King of Jeans das zweite Pissed Jeans-Album bei Sub Pop erschienen, das dritte insgesamt. Und King of Jeans erinnert von den ersten Tönen weg an Bleach, an die frühen Mudhoney, an TAD, an die Grunge-Zeiten vor dem großen Seattle-Hype. Dass mir hier bitte trotzdem niemand "Grunge Revival!" schreit. King of Jeans ist nämlich so ziemlich das Gegenteil von sentimental.

Das Plattencover von King of Jeans

Pissed Jeans

Lasst euch nicht täuschen vom schönen CD-Cover. Das Teil rockt. Und es kracht. Und es kommt aus dem Unterleib.

Die Baumwollhosen sind nicht nur angepinkelt sondern vor allem angepisst, dazu orientierungslos und notgeil. Weil sie möglicherweise gut erzogen sind, kanalisieren sie diese adoleszenten Gefühle in ihrem Proberaum anstatt die Umwelt direkt damit zu belästigen. Das ist nett von ihnen und musiklaisch fällt auch noch einiges dabei ab, nämlich Punk der Sorte, den man gern in die Grunge-Schublade stecken kann. Zumindest wenn dort nicht schon Pearl Jam und Alice in Chains rumliegen.

Aber das wäre eigentlich auch zu einfach. Schließlich nehmen die Pissed Jeans auch Bezug beim Brachialbluesrock eines Henry Rollins, oder bei den Altvorderen Flipper und Black Flag. Eine fröhlich wütende Mischung aus Punk, Noise Rock und zur Unkenntlichkeit durch den Dreck gezogenen Bluesriffs.

Poke Me In The Bellybutton And You Might Get A Laugh

Pissed Jeans sind aus Allentown, Pennsylvania, einem Städtchen, das dereinst schon Billy Joel besungen hat. Die industriell geprägte Kleinstadt hat sie geprägt; die Langeweile, die Wut auf die Banalität des bürgerlichen Lebens, dem sie doch nicht entfliehen können. Dort liegen auch die augenscheinlichsten Parallelen zur Grunge-Ära, die ja auch in den Kleinstädten um Seattle herum entstand. Die bourgeoise Leere mit Lärm füllen. Die Wut rausschreien. Aaaaarrrrggghhhh!


Pissed Jeans sind nicht nur wütend sondern auch faul, deswegen gibt's von ihrer neuen Platte auch kein Musikvideo. Hier eines zu einem Song von ihrer 2007er Platte Hope For Men.

Auf ihrem Sub Pop Erstling Hope for Men hatten die Pissed Jeans ihren Frust noch in intellektuell anspruchsvoller scheinende Songstrukturen gepackt, so dass sich die Wut in Noiseattacken ihren Weg bahnen musste. Auf King of Jeans kommen sie deutlich direkter daher; rockiger, aber ohne in testosterongesteuerten Rockismus zu verfallen - davor bewahrt sie schon der Selbsthass. Wie ernst der gemeint ist bleibt unklar, vielleicht ist das Ganze ja auch nur Ausrede für eine gute Party.