Erstellt am: 14. 12. 2009 - 15:03 Uhr
Slacker Fiction
Keith Gessen:
"All die traurigen jungen Dichter"
übersetzt von Stephan Kleiner,
erschienen 2009 im Dumont Verlag.
Mit Anfang 20, meint der Autor Keith Gessen, willst du von den Leuten etwas über dich hören. Du betrachtest die Welt, weil du verstehen willst, wie sie dich betrachtet. "Lachen die Leute, wenn du einen Witz machst?", fragt er. "Küssen sie dich, wenn du dich auf einer Party zu ihnen herüberbeugst? Ja? Aha - so jemand bist du also."
So jemand bist du also. Ein Kerl, Anfang 20, intellektuell, politisch links angeordnet, und so ganz allgemein kurz vor dem Stadium, das man die "Quaterlife Crisis" nennt. Keith Gessen zeichnet im Roman "All die traurigen jungen Dichter" das Leben von drei Männern nach. Männer, die ihm selbst in vielen Punkten ähneln. Ein bisschen Nestbeschmutzung auf hohem Niveau also, zynisch und sehr sympathisch.
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Er platziert seine Antihelden genau an der Stelle im Leben, wo man sich gerade noch nicht fragen muss, ob man wohl den richtigen Weg eingeschlagen hat. Wir befinden uns am Anfang des neuen Jahrtausends, und man lebt einfach mal dahin, googelt sich täglich selbst und löst seine Probleme durch Listen, die abgehakt werden. Und obwohl die Dinge eigentlich scheiße laufen, ist es noch immer da, dieses Gefühl von "Alles ist möglich". Die großen Vorbilder sind 30 - man hat also noch immer knappe 10 Jahre Zeit, um Wissen und Erfolg und Eroberungen nachzuholen. Man hat noch Zeit.
"Mark war ein egoistischer Mensch, der sich pausenlos Informationen einverleibte, häufig auch Alkohol, Essen sowieso, aber selten etwas zurückgab; seine einzigen Exportgüter waren Theorien und Schweiß."
Vor Deos fürchten sich die drei, auch vor Sex-Kolumnen und großen Textilketten. Warum? Weil sie auch den Proleten dieser Stadt Zutritt zu den Schlafzimmern der Studentinnen verschaffen. Alle drei stehen sie kurz vor einer Veröffentlichung - ein Buch, eine Dissertation - und sie leben für das Gefühl, dass danach alles besser wird.
Bis dahin bleibt ihnen nur das "Empfinden moralischer Überlegenheit", wie Gessen es nennt. Also Coolness statt Cash. Und natürlich ihre (und Gessens) wichtigste Waffe: die Eloquenz. Genauso wie alle anderen arbeiten sie beispielsweise als Möbelpacker, doch unsere traurigen jungen Dichter bezeichnen sich dabei selbst als "Wegbereiter der Gentrification; die unsichtbare Hand des Marktes, welche die Umverteilung der ausgesuchtesten Waren besorgte, wenn sie noch ausgesuchter wurden, und welche diejenigen, die es nicht gepackt hatten, an den Rand schob".
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Zumindest mit Wörtern können sie wunderbar umgehen, die drei Jungintellektuellen, wenn sie sich selbst in ihrem Elend beschreiben. Ihre teils grausamen, meist amüsanten Selbstbetrachtungen sind gespickt mit tagesaktueller Politik - wir begegnen Al Gore, finden Monika Lewinski toll, und sitzen vorm Fernseher, wenn die Flugzeuge ins World Trade Center krachen:
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"Amerika hat sich für immer verändert", sagten die Nachrichtensprecher pausenlos, und die interviewten Experten wiederholten es so eifrig, als wäre das neuerdings die Voraussetzung dafür, ins Fernsehen zu kommen. Sam wollte nicht lachen, aber er konnte es sich nicht ganz verkneifen. Nichts ändert sich jemals, dachte er. Niemand ändert sich.
Nun, Fehleinschätzung. Der Autor konfrontiert seine tragischen Helden - und damit uns - auch mit der Zukunft. Alles ändert sich, ständig. Plötzlich ist man Ende 20, geschieden, und selbst einer dieser verachtenswerten Professoren, die mit ihren eigenen Studentinnen ins Bett steigen.
"Entwicklungsroman in 10 Geschichten" steht am Buchumschlag. Man könnte es auch nennen: "Autobiografie in drei Personen" oder "Slacker Fiction für Fortgeschrittene".
All die traurigen jungen Dichter ist ein gelungenes Debüt, es ist die unterhaltsame Beschreibung eines "Anti-Rock'n'Roll-Lebensabschnitts", wie Gessen es nennt, denn:
"In einem Rock'n'Roll-Leben ließ man einfach alles hinter sich. Ich dagegen hätte, wenn ich gefragt worden wäre, jederzeit alle Menschen herunterbeten können, mit denen ich je befreundet gewesen war, und alle Menschen, die ich je geliebt hatte, und alles, was sie gesagt hatten. […] Was war nur schiefgegangen? Ich suchte nach Antworten. Ich suche noch immer nach Antworten."