Erstellt am: 3. 12. 2009 - 21:13 Uhr
Fußball-Journal '09-116.
Das sind die Hard Facts zur 5. Runde der Europa-League: Salzburg und Rapid am Mittwoch, Austria und Sturm am Donnerstag
Wenn wir uns dem Fremden nähern, erfahren wir etwas über uns selbst. Deshalb sind die internationalen Kontakte für österreichische Spitzenklubs wichtiger als kleine Steaks.
Es muss ja nicht gleich jedesmal ein Spiel für die Ewigkeit sein.
Im Übrigen verweise ich vor jedem Euro-Abend gern auf das, was ich vor der Gruppenphase gesagt habe und was immer noch gilt: Es ist völlig wurscht, wie die vier heimischen Vereine abschneiden, wichtig ist dass und was sie in dieser Herbst-Saison dazulernen.
Fremd sind wir uns selber: Salzburg
Als Salzburg sich nach beschämenden Leistungen gegen Dublin oder Haifa und mauem Spiel gegen Zagreb vom Traum der Champions League verabschiedete, hätte ich keinen Penny auf die von neureichem Geld und schwachem Management verblendete Legionärs-Truppe gesetzt (abgesehen davon, dass ich prinzipiell nicht wette - das ist nur so eine Redensart).
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Zu dieser Zeit und kurz danach änderte sich dann einiges.
Salzburgs Mächtige erkannten, viele vergeudete Jahre nach der Gründung des Fußball-Flaggschiffs im Red Bull-Imperium, dass eine so diffizile Angelegenheit wie Fußball nur mit einer klaren Philosophie, klaren (und vor allem nicht an die österreichische Herrenbauern/Herr Baron-)Strukturen und vor allem auch hochprofessioneller Führung zu bewältigen ist.
Nachdem der Konzernherr jahrelang auf falsche Freunde und wenig kompetete Einflüsterer reingefallen war, die ihm clever und um teures Geld des Kaisers neue Kleider verkauft hatten, wurde mit der Installierung von Dietmar Beiersdorfer da endlich eine entscheidende Weiche gestellt, und zwar Ende August, also noch vor der EuroLeague-Campaign. Ziemlich zeitgleich kam Rabiu Afolabi. Bekanntgegeben wurde Beiersdorfers Einsteig dann Anfang Oktober.
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In der Zwischenzeit hatte sich Stevens System eingependelt, nicht nur personell (Salzburg spielt seit geraumer Zeit mit derselben Truppe, es wird null rotiert), sondern auch strategisch. In meiner Evaluierung von Anfang September sieht man, wie es vorher aussah: im Mittelfeld standen drei Akteure mehr oder weniger hintereinander herum: ein defensiver (Augustinussen), ein Jolly (Leitgeb) und ein offensiver (Zickler) teilten sich nicht die Räume, sondern agierten auf einer Linie.
Das hat sich mit Pokrivac und der (von mir damals kritiserten) Maßnahme einen Verteidiger ins defensive Mittelfeld zu stellen, geändert, verbessert.
Zudem wurde den Außenverteidigern, nach Wochen einer gänzlich anderen Philosophie, erlaubt auch vorzugehen - was Schwegler und Ulmer (gemeinsam mit Tchoyi und Svento) verbesserte.
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Und siehe da, nach einer total überflüssigen, schandbar schlechten und den Konzern die Champions League kostenden Experimentier-Phase, die von Mitte Juli bis Ende August dauerte, gelang es dem viel zu spät den Ernst der Lage erkennendem Trainer Stevens sein Miknimal-Ziel zu erfüllen: den Verein international zumindest zu stabilisieren.
Dabei griff er auf eine übliche Notmaßnahme zurück: dem Zirkuspferd einen guten Trick beibringen.
Der Trick heißt 4-1-4-1, und funktioniert dank der oben erwähnten Zutaten (Afolabi, Außenspiel, gute Zentrale mit Leitgeb+Pokrivac) und Konstanten wie Gustafsson, Sekagya, Tchoyi oder Janko gut.
Für Österreichs Liga hätte auch die Hälfte genügt - da spielt man nie am Limit; die alte Legionärs-Krankheit. Nein, der Trick ist auf die internationale Auseinandersetzung angelegt.
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Und da konnte Stevens das, was er lebt, umsetzen, seinen Spielern auf den Weg geben. Salzburg macht (international) fast nie das Spiel (nicht einmal gegen Levski war das in überwiegendem Maße so), sondern versucht mitzuspielen und Schwächen zu nützen, zu kontern.
Das ist schlau, weil es im internationalen Bewerb ab der Gruppenphase meist zur Konstellation kommen wird, dass der Ö-Klub der Unterlegene ist. Und in der Praxis bewährt sich das gegen ein bisserl überheblich agierende Spanier und gegen sich selbst ein wenig überschätzende Römer ganz gut.
Die Schwierigkeit wird auch in Hinkunft die Qualifikaktion sein, wo sich Salzburg (da eher als Favorit) offensiv betätigen muss; was nur als gefestigtes Team funktioniert; nicht als jedes Jahr von einer neuen Philosophie eines neuen Coaches runderneuert wird.
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Dass sich dieses Salzburger Team in 5 internationalen Spielen fünfmal durchsetzt ist kein Zufall, sondern Resultat einer Konsolidierung, eines greifenden Masterplans - der im Sommer nicht in Sicht war. Es ist aber kein Freibrief für eine Selbstüberschätzung oder gar die Bestätigung, dass das peinliche Chaos von Saisonbeginn nötig für solche Erfolge ist - im Gegenteil. Mit systemischer Arbeit ab der ersten Vorbereitung im Juni wäre dieser Job in der Champions League passiert. Das wird wohl selbst den vielen mit wenig substanzieller Ahnung ausgestatteten Mode/Event-Fans, die der wurzellose Verein gerade anzieht, einleuchten.
Die Spieler haben in dieser Phase der Konsolidierung in der EL mehr gelernt als im letzten halben Jahr zusammen, hoffentlich auch das Coaching-Team. Die Fans haben noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte aufzuholen.
Fremd ist nur der Andere: Rapid
Peter Pacult hab ich ja, im Gegensatz zu Stevens, aufgegeben. Warum, das bestätigt er noch einmal in diesem grenzwertigen Interview auf das Deutlichste. Die anderen sind schuld, die Fremden, die mit den wilden Frisuren, alle, die die Dinge nicht so sehen wie er.
Passt, Herr Pacult, ist schon recht.
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Auch für Rapid gilt und galt: lernen.
Und international stellte sich das Team geschickter an/vor als in der Liga. Da griff man durchaus oft auf echtes Flügelspiel zurück, zog Hofmann, den Spieler, von dem man sich zu oft zu abhängig macht, in die Mitte, wo er am effektivsten ist, wenn er effektiv ist.
Manchmal klappte das (in Birmingham, in Glasgow, gegen den HSV...), manchmal nicht (bei beiden Spielen gegen Hapoel, in Hamburg). Und zwar nicht, weil das oder ein anderes System an sich gut oder schlecht ist, sondern weil man jedes System auch mit Herz und HIrn ausfüllen muss.
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Wenn man etwa den gerade einmal fit gewordenen Brankovic auf eine der angesprochenen Flanken stellt, wo er also auf und ab rennen muß wie Konterpart Kavlak auf der anderen Seite, dann kann und wird das nicht klappen. Da ist seine Erfahrung Nüsse wert.
Und wenn derselbe Trainer, der für diesen fatalen Einschätzungs-Fehler verantwortlich war, ernsthaft dran glaubt mit Stefan Kulovits als Rechtsverteidiger gegen den HSV bestehen zu können, dann tut mir vor allem die Kampfgelse leid. Sie war bei beiden Toren live dabei, wenn auch das erste durch den gefühlt achten Kapitalaussetzer von Milan Jovanovic in Gang gebracht wurde.
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Immerhin wurde er nicht bestraft wie sonst die Rechtsverteidiger, die meist zwei Jobs auf einmal erledigen müssen (Dober, Thonhofer, oder früher auch schon, auf anderer Position, Mario Sara) - indem man sie durch eine ostentative Auswechslung demütigt. Nein, Pacult zog Kulo in die Zentrale vor und brachte Dober für rechts. Raus musste einer, der zunehmend vom Sicherheits-Faktor zum Sicherheits-Risiko wird: der zu Unrecht sakrosankte Heikkinen.
Man könnte das als Lernfähigkeit Pacults interpretieren - aber das habe ich diese Saison schon bei zuvielen Aktionen postuliert, die sich dann als Zufall oder Ausnahme herausgestellt haben. Der Kredit, den Pacult diesbezüglich hat ist erschöpft.
Die Mannschaft hat sicher eine Menge gelernt, Kavlak ist in den internationalen Spielen aufgeblüht - der Trainer bleibt lehrenresistent.
Fremd ist uns das Anliegen unseres Vereins: die Austria
Dass alles noch viel widerwärtiger ist als vermutet, stellt sich am nächsten Tag heraus: Offenbar haben Austria-Ultra gemeinsame Sache mit den Lazio-Neonazi-Hools gemacht und sich mit dem Franco-Faschismus solidarisch erklärt.
Die Austria Wien hat sich in den letzten Monaten sukzessive in die Geiselhaft ihrer Fans begeben.
Dort wo Rapid mit teils schlauen Maßnahmen, teils beängstigenden Kuhhändeln mit seinen Ultras einen funktionierenden Burgfrieden geschlossen hat und versichert sein kann, dass das Gewalt-Potential, dass die Trottel-Fraktion der Fans dort hat sich nicht gegen den Verein richtet oder innerhalb des Stadions passiert, haben die Austria-Verantwortlichen ziemlich versagt.
Ihnen sind die Hardcore-Fans einfach wegeskaliert. Das war schon bei internationalen Spielen im Sommer anläßlich von Querelen um Stadion-Verbote sichtbar. Schon in den Heimspielen der Euro-League-Quali waren Spruchbänder und Stimmung der Ultras im Osten überaggressiv der eigenen Club-Führung gegenüber.
Die Planung unterstelle ich, weil sich die Fans genau nichts zu Alberto Martinez Tod einfallen lassen hatten. Normalerweise wird in so einem Fall in Windereile zumindest ein Transparent gemalt, oder es gibt eine akustische Aktion. Diesmal war nichts - klar, man hatte zuviel mit der Vorbereitung des Platzsturms zu tun.
Heute Abend haben diese Knallköpfe, durchaus bewusst und geplant, den Verein dort getroffen, wo's am meisten weh tut: bei der internationalen Reputation. Denn das knapp am Spielabbbruch vorbeischrammende Spiel gegen Athletic Bilbao wird die Austria einiges kosten, ökonomisch und imagetechnisch; das kann bis zur Platzsperre oder Zwangsspiel vor leeren Tribünen reichen.
Allzu gerne in der Geiselhaft der Hooligans
Kraetschmer, Parits und Co befinden sich akut in der Geiselhaft dieses Mobs - müssen beschwichtigen und argumentieren. Dass nämlich ein Platzsturm nicht sinnhaft ist. Wer sein Kommunikations-Niveau so tief unten ansetzen muss, hat ein Horror-Problem. Und das Horr-Stadion ist sicherheitstechnisch ungeeignet, wenn drei Ultras reichen um eine Verschalung einzutreten.
Weil ich leider keine Zeit für vor Ort hatte, musste ich die Sky-Übertragung anschaun und dort die üble Rechtfertigungs-Prosa von Herrn Paternina über mich ergehen lassen, der die Wurfgeschoss-Aktionen, die Knaller- und Neblerei und schließlich den Platzsturm immer mit dem Hinweis auf seiner Meinung nach furchterregende Fehlentscheidungen (ein Abseits und ein "Foul" in einem Luftzweikampf) entschuldigte. Auch hier liegt das Verständbnis-Niveau wirklich ultra-tief im Argen, selbst für die Schönfärberei der Murdochianer.
Seine Ausrede: auch Austria-Spieler wie Joachim Standfest rechtfertigen gekonnt und ein wenig widerlich. Die Schiris pfeifen gemein immer gegen uns Kleine und überhaupt, in Bilbao wurden die Fans schlecht behandelt, es gab auch Prügel.
Manager Kraetschmer meint, dass die Fehlentscheidungen der Schiedsrichter schuld sind. Und dass der Schiri durch sein Zuwarten, nachdem Dinge aufs Spielfeld geworfen wurden, "provoziert" hat.
Man habe alles gut im Griff gehabt. Und den aufgestauten Frust der Hooligans über die Benachteiligungen habe er verstanden, dafür hat er Verständnis. Er nennt die Fans explizit "toll".
Der Mann lebt in einem vogelwilden Parallel-Universum.
Auch hier, wie bei Rapid: die Mannschaft hat viel gelernt in diesen Spielen, die Verantwortlichen sind deutlich sitzengeblieben.
Fremd ist uns langfristiges Denken: Sturm Graz
Eigentlich gehören Coaches, die ein internationales Spiel bewusst mit der B-Elf bestreiten, sofort abgemahnt.
Denn: der damit erfolgte Knieschuss ist vielleicht für ManU kein Problem, für Mittelständler wie die Unsrigen aber mit Blutverlust verbunden.
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Wer's nicht weiß: jeder international erzielte Punkt zählt.
Nicht nur für die Nationenwertung, die dann ein Ranking ergibt, nach dem dann die Quali-Plätze vergeben werden. Sondern auch für den Club-Koeffizienten, der darüber entscheidet ob man bei den Auslosungen jeder Runde zu den Gesetzten oder den Ungesetzten gehört.
Wenn also ein Coach sein Team in ein Spiel, das zwar nicht mehr über einen eventuellen Aufstieg aus der Gruppenphase, aber sehr wohl noch über die Ausgangsposition im nächsten Jahr entscheidet, mit einer Elf bestreitet, die an zumindest fünf Positionen nicht mit (fitten und spielbereiten) Stammkräften besetzt ist, dann ist das diesbezüglich durchaus als fahrlässig zu bezeichnen.
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Dieses "Nächstes-Jahr?-Mir-doch-wurscht!"-Verhalten ist bei österreichischen Coaches, die nicht einmal über ihre Nachbarn, geschweige denn internationale Rankings Bescheid Wissen durchaus Usus - deswegen aber kein Renomee, sondern im Gegenteil, eine Peinlichkeit.
Warum das einem als Planer bekannten Trainer wie Franco Foda passiert, weiß ich nicht. Vielleicht weil er nicht mehr für noch ein Jahr Graz plant.
Was halt komplett im Problem-Bewusstsein des österreichischen Fußballs fehlt ist ein Management-Ansatz, der derlei wichtige Dinge auch als Aufgabe der sportlichen Leitung, also des Sportdirektors sieht.
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Die Ausrede (Schonung für die Meisterschaft) ist nämlich schön und gut - wenn sie allerdings so mit dem Masterplan (internationale Meriten) kollidiert, muss einer einschreiten.
Nun, die heimischen Manager sind diesbezüglich erst in derVorschule. Ali Hörtnagl bei Rapid kann sich durchsetzen, auch gegen seinen Trainer, bei der Austria (siehe oben) schafft man das nicht einmal den eigenen Fans gegenüber. Und bei Salzburg (siehe noch weiter oben) ist erst seit Beiersdorfer ein Ende mit den Pseudo-Sportchefs, den schnieken deutschen Ex-Profis, die sich im Netzwerken für die eigene Karriere verlieren anstatt langfristige Initiativen zu starten.
Vom unteren Teil der Liga, wo man ja meint ohne besser auszukommen (ich muß immer lachen, wenn ich an Canoris diesbezügliche Sprüche denke), gar nicht erst zu reden.
Für Sturm gilt: die Spieler haben auch in den knappen Niederlagen einiges gelernt. Das Management, bzw die, die dafür sorgen sollten, dass es eines gibt, die müssen nachsitzen.
PS:
Durchaus erschreckend, dass der, der dafür Sorge tragen sollte, der Sturm-Präsident nämlich, demnächst als Bundesliga-Präsident antreten wird.
Wenn der dortige Management-Plan auch so zukunftswurschtig ist wie der von Sturm in punkto Europa-League, dann sieht's düster aus.