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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

2. 12. 2009 - 15:38

Getting it wrong, Teil 4

Kulturelle Missverständnisse gehen in beide Richtungen: Die Sache mit Pete Doherty, den Celtic-Fans und dem britischen Hang zum Nazi-Spaß.

Getting it wrong
Kulturelle Missverständnisse

Die Geschichte mit Pete Doherty und dem Deutschlandlied geistert seit seinem Münchner Gastspiel durchs Netz. Ganz ignorieren kann man das zwar nicht, es im Kontext der alten Skandalnudelroutine abzuhandeln bringt aber wohl auch nichts, und wer das zugehörige Youtube-Video gesehen und sich durch Doherty's tonlose Spontanversion der alten Proberaum-Plage „Hit the road, Jack“ (umgetextet als „don't score that crack no more“, wie lustig) gequält hat, weiß, dass der Gute so oder so schon auf dem dünnen Eis seines Promi-Bonus Schlittschuh lief, ehe er sich mit dem Anstimmen von „Deutschland, Deutschland über alles“ endlich seine Buhrufe abholte.

Man konnte seither lesen, er habe sich entschuldigt, schließlich habe er, der bekennende und aktive Antirassist und Antifaschist, nicht gewusst, wie beleidigend dieses Lied wirken könne. Er habe, sagte seine PR-Sprecherin, nur versucht, „sich an das Publikum zu assimilieren und sich zu integrieren - etwas, das er überall, wo er hinkommt, zu machen versucht.“

John Cleese im Stechschritt in Fawlty Towers

BBC

Was Briten lustig finden

Dümmer geht’s kaum, möchte man meinen. Aber wie so oft kommen auch hier gerade die dümmsten Ausreden der Wahrheit am Nächsten. Auf dem Video ist nämlich eindeutig ein schelmisches Grinsen erkennbar, das einen Moment lang in Dohertys grünlich-gelblich apathischem Angesicht aufblitzt.

Natürlich wusste er, dass er da was Verbotenes sang. Aber den Grund der Empörung darüber verstand er vermutlich genauso falsch wie all die anderen Briten, die regelmäßig mit derselben Ignoranz in dieselbe Deppenfalle laufen.

Schottisch-irischer Hitlergruß am Flughafen

Neulich, also vor ca. einem Monat, saß ich zum Beispiel im Flughafen Lübeck, vor dem Rückflug nach London, in Gesellschaft eines Rudels von Celtic-Fans, die nach ihrem Match mit dem HSV schnell noch den Biervorrat des Flughafen-Büffets leer tranken.

Nun hat es ja grundsätzlich immer was Beruhigendes, wenn man die Welt nach T-Shirt-Farben in gut und böse zu teilen vermag, und die beglaubigte Version klingt in diesem Fall ziemlich eindeutig: Die Rivalität der Glasgower Stadtvereine ist – wie so oft im britischen Norden, wo es eine große irisch-stämmige Community gibt – eine Art Stellvertreterkrieg für den katholisch-protestantischen Konflikt Nordirland.

Die Mannschaft in den Farben des Union Jack (Rangers) repräsentiert die Protestanten, die andere, in irischem Grün, die Katholiken. Letztere sind in Nordirland als von der britischen Fremdherrschaft Unterdrückte automatisch romantisierte Sympathieträger der kontinentalen Linken (noch so ein grobes Missverständnis), erstere in ihrem paranoiden Chauvinismus wiederum ein Identifikationsmagnet der Rechten. Ergo finden antifaschistische St. Pauli-Fans Celtic gut (und unterhalten mit ihnen eine internationale Fangemeinschaft), während HSV-Fans sich von Rangers-Fans Spottlieder wie den Famine Song über die von der britischen Kolonialherrschaft bedingte Hungersnot der Iren im 19. Jahrhundert beibringen lassen.

So ließ sich bei jenem Match Anfang November auch die an nordkoreanische Stadionchoreographie erinnernde Darbietung eines Union Jack samt „No Surrender“-Transparent (gemeint ist der unionistische Leitspruch „no surrender to the IRA“) auf den Hamburger Rängen erklären.

Im Bus zum Flughafen und nachher im Wartesaal (der passenderweise einem glorifizierten Bierzelt ähnelt) tauschten sich die Glasgower Fans dann auch aufgeregt in ihrer Empörung über diese Provokation aus. Sowas sollte nicht erlaubt sein, war der Konsens.

Und ganz nebenbei sehe ich dann wie vier erwachsene Männer in Celtic-Shirts außer sichtweite der Grenzer glucksend und kichernd die Hand zum Hitlergruß heben. „Das ist hier nicht gestattet“, grunzt der eine. „Ja, das ist verboten“, lacht der andere und hebt selbst den Arm.

Ein Spaß sondergleichen.

Basil Fawltys Missverständnis

Aus der Perspektive der Celtic-Fans ging dieser Ulk vermutlich genauso mit ihrem plakativen Antifaschismus zusammen wie aus der Pete Dohertys. Schließlich wollen sie damit weder eigenen Nazi-Tendenzen Ausdruck verleihen noch die NS-Zeit verharmlosen.

Was tatsächlich hinter der britischen Tendenz zum Hitlergruß an Deutsche steckt, ist vielmehr ein neckisch gemeinter Appell an die deutsche Seele: Schaut her, wir sind Briten, wir brechen euer nationales Tabu, weil wir dürfen und ihr nicht.

Diese Auffassung von Humor fand ihre Vollendung vor einem geschätzten Vierteljahrhundert in der „Don't mention the war“-Episode von Fawlty Towers, in der es eigentlich zwar John Cleese ist, der sich mit seinen ständigen Referenzen an den Krieg lächerlich macht. Die Komik der Situation rührt aber von der vorgeblichen Verklemmtheit seiner deutschen Hotelgäste her, die nicht an ihre historische Niederlage erinnert werden wollen.

Dass Deutsche bzw. ÖsterreicherInnen diese Niederlage des Nazi-Regimes – ob damals oder erst im Nachhinein – tatsächlich uneingeschränkt als Befreiung verstanden haben könnten, dass sie den Krieg sehr wohl erwähnen und erforschen, sich aber trotzdem nicht mit dem Hitlergruß identifizieren wollten, ist für die ihre Kriegsrolle ganz ohne Brechung mit ihrer nationalen Identität gleichsetzenden Briten immer noch nicht ganz nachvollziehbar.

Und so missverstehen sie die Entrüstung über ihre Provokationen als kauzige nationale Eigenart, eine typisch deutsch humorlose Überreaktion auf eine vermeintliche Verletzung des deutschen Nationalstolzes.

Was den Celtic-Fans am Flughafen, die dann auch noch ihre nationalistischen IRA-Heldenlieder anstimmten, darüber hinaus wahrscheinlich genauso wenig bewusst war, ist dass sie mit ihrem missglückten Sieg Heil-Spaß gleich zweifach ins Fettnäpfchen getreten waren. Schließlich hatten Teile der von einigen unter ihnen idealisierten IRA im Zweiten Weltkrieg - folgend dem alten Prinzip, dass des Feindes Feind der Freund ist - selbst mit den Nazis kollaboriert.

Getting it wrong. Very badly.