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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

29. 11. 2009 - 23:38

Journal '09: 29.11.

Wie auch die nachbarliche Schweizer Partizipations-Demokratie langsam den Bach runtergeht.

Die Basic-Infos samt Vorgeschichte finden sich hier, die restlichen zur Beachtung empfohlenen Links befinden sich im Lauftext.

Dass sich in der Schweiz, die noch weiter vorn im weltweiten Ranking der Wohlhabenden rangiert, als das siebentplatzierte Österreich, aus Gründen der provinzielleren Einkastelung ihrer selbst noch viel eigenartigere, groteske Ansichten (das in den letzten Monaten völlig durchgeknallte Vorzeige-Magazin Weltwoche zeigt das jede Woche aufs Neue vor) breitmachen, war zuletzt hier erst kürzlich am Rande Thema. Und dass eine partiell gelungene Integrations-Politik nicht genügt, um eine ohnehin schon obskure Grundstimmung, die dann noch mit einem populistischen Beat unterlegt wird, der dann einen veritablen Bauern-Disco-Hit draus macht, das zeigte sich heute.

Bemerkenswert ist, dass zeitgleich ein zweiter Antrag vom Schweizer Wahlvolk abgelehnt wurde: der des Verbots von Waffenexporten. Die "Ausländer" mit Zerstörerischem zu versorgen ist also opportun - groteske Doppel-Moral.

Die Schweiz, das Vorbild an politischer Partizipation, die Demokratie aus dem Volk für das Volk, wo jeder aus allem ein Thema für eine echte Volksabstimmung machen kann, setzte heute ein fatales Zeichen, was Minderheitenrechte und religiöse Toleranz betrifft: per Volksentscheid wurde heute ein sogenanntes Minarett-Verbot beschlossen. 57% der abgegebenen Stimmen sprachen sich für die Initiative der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) und den "bibeltreuen" Fundamentalisten der Eidgenössisch-Demokratischen Union (EDU) aus.

Denkzettel für Gaddafi

Das bedeutet nicht, dass die Mehrheit der Schweizer wildbärtige xenophobe Ur-Schwyzer sind, die jedem Fremdling unter den Apfel schießen mögen - die Wahlbeteilung bei diesen Referenden ist nicht unglaublich hoch, auch wenn die drei heute zur Abstimmung vorgelegten Themen im Vorfeld heftig umstritten waren.

Es geht auch nicht so sehr um die Abwehr eines gefürchteten Islam, sondern um einen Denkzettel, eine kleine aber wirkungsvolle Geste im Rahmen eines unglaublichen Wickels, der in früheren Jahrhunderten bereits zu einem Krieg Anlass gegeben hätte.
Letztlich befindet sich die Schweiz nämlich im Krieg mit Libyen; so sieht das zumindest der Revolutionsführer Gaddafi.

Angefangen hat dieser Konflikt (hier die Chronologie) vor über einem Jahr, als sich ein Gaddafi-Sohn in einem Genfer Hotel, nunja, schlecht benommen hat und kurz festgenommen wurde. Es folgte ein Revanche-Akt an Schweizer Geschäftsleuten in Tripolis, Abbruch der diplomatischen Beziehungen und im Sommer der bizarre UNO-Antrag Libyens, die Schweiz aufzulösen, weil sie ein Unrechtsstaat und auch irgendwie überflüssig wäre. Dabei vermengte der libysche Diktator reelle Argumente (die Kriegsgewinnler-Politik der Schweiz über den 2. Weltkrieg bis hin zur Bewahrung riesenhafter illegal angehäufter Vermögen von Diktatoren aus aller Welt) mit persönllicher Beleidigtheit.

Die Sparkasse der Weltmächtigen

Und natürlich ist die Schweiz als Sparkasse der Weltmächtigen, als Tresor der Superreichen, der politischen Despoten, der Hochkriminellen und Oligarchen aller Kontinente unverzichtbar. Wo sich der kolumbianische Drogenboss, der Wall-Street-Jongleur, der zentralafrikanische Putschist und der zentralasiatische Warlord treffen - in den Schweizer Banken nämlich - gelten keine herkömmlichen Regeln.

Der Letztstand dieser unsäglichen Affäre ist immer noch weit von einer Lösung entfernt, was auch in der Schweiz zu Ausbrüchen völliger Enthemmung führt.

Und mitten hinein in diesen gefühlten Abwehrkampf gegen einen irrlichternden Despoten platzt die Minarett-Diskussion, eine ohnehin heikle Sache, wie man das hierzulande anhand der hektischen Debatten in Telfs oder in der Brigittenau ja noch allzu ungut in Erinnerung hat. Und prompt gibt es einen Stellvertreter-Krieg, der den Beteiligten über den Kopf wächst und sich in einem absurden populistischen Wahlkampf hochspielt.

Es geht nicht um einen dringend nötiges Bollwerk: die Schweiz ist einwanderungstechnisch so abgeschottet wie kein anderes Land.

Der Stellvertreter-Konflikt

Es gibt genau vier Minarette in der Schweiz. Und jeder Bürgermeister kann mit Hilfe der Bauvorschriften neue verhindern.
Die Abstimmung ist nichts als ein Vorzeigen symbolischen Kapitals, ein Beharren auf einer Art der Selbstbestimmung, die allem, was die alte europäische Demokratie ausmacht, grundlegend zuwiderläuft.

Das alles findet just in einem Bereich statt, der genau diese Erregungen des "gesunden Volksempfindens", das seit jeher von Populisten aller art angeheizt wird, verhindern soll: der Volksabstimmung, in der die derlei gewohntes Mehrheitsgesellschaft der Schweiz das Heiligste der Demokratie verteidigt: die Rechte der Minderheiten, die Toleranz, was freies Denken und Religionsausübung betrifft.

Anhand dieses banalen, fast zufällig hochgespielten Beispiels kippt das Land - in Richtung eines postdemokratischen Outsourcings der Verantwortung, in der eine von Populisten angefixte Bevölkerung mit platten Anforderungen eine Politik der Isolation bestellt.
Und sich dafür auch selber beklatscht. Denn nur so ist zu erklären, dass die Meldung zum heutigen Fanal auf einer Plattform, die per Defintionem nur gute Nachrichten, also Happy News verbreiten darf, zu finden ist.

Warum kommt mir das bloß so bekannt vor?

Was hat das Ergebnis in der Schweiz mit dieser Gefühligkeit aus Amstetten, dem Core-Fritzl-Land, zu tun?
Und warum sind die Resultate dieser österreichischen Trittbrettfahrer-Umfrage hier so typisch?

Wieso wird auch in diesem Fall die Kirche zum liberalen Mahner? Wieso muss erst ein Bischof kommen, um die Kapitalismus-Falle, in der die Argumentation der Initiatoren steckt, aufzuzeigen?

Es kann doch nicht nur darin begründet sein, dass man mit denselben Argumenten, die gegen die Minarette wirksam waren, auch katholische Symbole wegputzen könnte, oder?

In jedem Fall sind die Folgen dieser aus dem Ruder gelaufenen Posse unabsehbar. Sie kann eine Isolierung nach sich ziehen, wie sie die Schweizer nicht im Sinn hatten, finanzpolitische Erpressung durch die machtvollen arabischen Despoten. Sie kann den globalen Terror nach Basel, Bern, Genf und Zürich bringen, sie kann sogar den Anfang vom Ende der sakrosankten Schweizer Macht des Geldes bedeuten, die Zerstörung all der monetären Hohlheit, auf dem unser Nachbarland selbstvergessen ruht.

Unbekannt, das war mal. Unverständlich, das bleibt.

Die von jedem einzelnen Stimmenabgeber ganz bewusst in Kauf genommenen Folgen dieser Entscheidung werden sich aber auch auf die Struktur der auf breiten Konsens angelegten Schweizer Gesellschaft auswirken, sie womöglich aushebeln.

Zumindest bestehen all diese Gefahren, sollten die Verantwortlichen des Bundes in den nächsten Tagen keine Aufräumungsarbeiten leisten. In jedem Fall wird aus einem unbekannten und unverständlichen Nachbarn jetzt ein ins Zentrum des Interesses gerückter Nachbar. Unverständlich bleibt er sowieso.