Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Song Zum Sonntag: Rotifer"

Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

29. 11. 2009 - 06:00

Song Zum Sonntag: Rotifer

Es ist zu spät: "Damage"

She was firm in her unshakable belief
in the foundations of the Western world
She saw the cure of all ills
in the will of the Invisible Hand
She looked at her screen
and welcomed the Seven Plagues
She said: “Bring it on
let no mercy be shown
let go my love
you know my love
the damage is done”

I said I couldn’t quite believe
that we should no longer belong
among the Chosen Ones
I said it’s hard to conceive
of a world that we no longer rule
She said, “Can’t you see
beauty in this brutality?”
She said, “Bring it on
let no mercy be shown
let go my love
you know my love
the damage is done
you fell for a con
now I, of course, a true believer
craved this all along”
She said, “Let go my love
you know my love
The damage is done”

She said, “Can’t you see
beauty in this brutality?”
I said, “You spell it wrong
now get out of my song”
She said, “Let go my love
you know my love
the damage is done”

Sie ist gläubig. Sie war gläubig. Sie hat geglaubt. An die "westlichen Grundwerte" und die "unsichtbare Hand" des Marktes. Angesichts der Sieben Plagen auf ihrem Bildschirm, den Vorboten des Unglücks, lächelt sie nur milde und sagt: "Das war's. Jetzt, wo wir es versemmelt haben, können wir das Ergebnis nur begrüßen, ohne Gnade, alles ist kaputt, wir sollen das Ende freudig erwarten und die Schönheit sehen, die in der Brutalität liegt". Recht geschieht uns, scheint sie zu sagen. In der "Damage" liegt wohl eine Schönheit oder Reinigung oder so. Leute wie wir, die noch Hoffnung zum Besseren (oder den Glauben an das "Politische") hatten, sind eben nur auf einen Trickbetrüger ("Con" steht hier wohl für "Confidence Trickster" und auch für "Conservative") hereingefallen, sagt sie. Daraufhin schmeisst der Sänger sie aus dem Lied. Doch sie lächelt wieder nur milde: "Lass es zu, mein Lieber, es ist zu spät"

Die Band Rotifer am Wiener Karsplatz spielend

Christian Franke

Die wahren Gläubigen haben es also kommen sehen. Wie jene könnten wir alle, die wir Ausbeutung, Krisen und Kriege auf ihren Bildschirmen gesehen haben, sie auch als Epiphanie sehen, als Vorbote des eigentlichen Endes. Wie bei den Tiefgläubigen im Spätmittelalter, mit denen der Song die "Gläubigen" der Martkwirtschaft zusammen bringt, ist der Fatalismus die logische Antwort auf das Unvermeidliche, die Zerstörung. Man kann ja nichts machen gegen die sieben Plagen, gegen Pest, Hedgefonds, die Ankunft des Teufels oder das Elend der Welt.

Robert Rotifer vor einer Ziegelwand stehend

Robert Rotifer

Jene, die unverrückbar an die "westlichen Werte" und die "unsichtbare Hand" des Marktes geglaubt haben, wissen um das Ende genauer, als die Naiven und Abwägenden, die, die von vorne herein nicht an das Genannte geglabt hatten.

Zur Begleitung eines lockeren Country - Licks macht uns Robert Rotifer klar, dass er nicht dieser Meinung ist und wirft die sanft so Sprechende aus seiner Nummer. Subtil, mehrdeutig und groß.

Gemaltes Cover des Albums "The Children on the hill": Zwei Kinder sitzen auf einem Hügel, hinter ihnen ein hoher Zaun, vor ihnen eine Stadt, über der ein Hubschrauber fliegt

Robert Rotifer

Nun kann ich wiedermal die Unken rufen hören: Wie kommt der jetzt hierher? Zwinker, Zwinker, vielleicht könnte es was damit zu tun haben, dass hier jemand als Musiker und Texter auftritt, der schon seit Jahren Montag abends eine/r von zwei MeinungsmacherInnen bei FM4 ist, was intelligente Gitarrenmusik betrifft. Und kaum stellt er selber solche her, müssen die Herren und Damen KollegInnen gleich in Jubel ausbrechen ...

Ich versuche es umgekehrt zu sehen. Hier ist einer, den sich Leute wie er oder ich ausgedacht haben könnten: Redner, Erzähler und Schreiber, Maler, Musiker und Dichter, politischer Denker und humorvoller Kommentator, dazu noch stilvoll, geschmackssicher und elegant, intelligent und voller Überblick und Wissen über die anderen Eleganten (von Ray Davies bis Alex Kaprnos) in seinem Feld. Einer, der musikalische Einflüsse und ideologische Verortungen auswenig kennt, um ihre Kraft weiss, sie respektvoll verwaltet und sie in unerhörter Dichtheit in seine kleinen Songs packt, sodass neben den Offensichtlichen noch mindestens drei Referenzebenen entdeckt werden wollen (und von späteren Quellenstudenten auch werden werden) - bis hierher so etwas wie der Tarantino des Gitarrenpop. Dazu noch ein überaus versierter Gitarrist, dem John Fahey und Bert Jantsch ebenso wenig fremd sind, wie Pete Townsend, Jonathan Richman oder, ja, John Fogerty. Dazu noch ein Texter, der politisches und poetisches Bewusstsein in eine Textarbeit einfließen lässt, wie es Dylan und Guthrie wollten und Ray Davies und Jarvis Cocker konnten. Und das alles nicht einmal in seiner Muttersprache.

Zeigt mir einen Musiker im gegenwärtigen England, der all das kann und tut. Ich kenne sonst keinen, weshalb (und nicht wegen unserer Freundschaft) sich dieser Absatz auch ungefähr so liest, wie das "Funaki" Lied.

Der Song zum Sonntag ist eine Kooperation zwischen FM4 und der Presse am Sonntag und erscheint hier wie dort, wo sich der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar der Kolumne annimmt.

Und selbst ein alte Unterhaltung zwischen uns fällt mir ein: mein früherer Einwand, dass bei Kritikerkunst ein typisches "Zuviel" vorherrscht. Etwa so, wie bei all den abgebrochenen Germanistikstudenten, die als Romankritiker dann Romane für die Germanisten scheiben, die das Studium abgeschlossen haben und nun all die vielen gut versteckten Gelehrsamkeiten wieder aus dem Roman rausschälen müssen - ein Gewolltsein das die Naivität und Unmittelbarkeit, die Unberechenbarkeit und auch Peinlichkeit, die wir von Pop eher haben wollen, als von Literatur oder Kunst, nicht erfüllt?

Abgesehen von meiner selbst schon verlogenen "Idiot Savant"- Verehrung, die hier mitschwingt (einer Spezies, die es in der immer "konstruiert" und "künstlich" gewesenen Popkultur eh nie gegeben hat) - dieser Einwand greift so nicht. Robert Rotifer kann referenzreiche Komplexsongs über frühe Feministinnen ebenso schreiben, wie einfache Jonathan Richman'sche Verehrungslovesongs, oder Barjazz-Nummern über perfekte Welten oder chinesisches Essen (in dem er noch das unreimbare deutsche Wort "Mensch" auf Trench reimt) . Und selbst so etwas gänzlich Unelegantes wie Countryrock ist ihm nicht fremd, diesem "Earl of Suave". Und diese "Reifung", die man auf dem fünften Album merkt? Robert Rotifer könnte dazu wohl mit Jonathan Richman sagen : "Someday I'll be Dignified and Old"