Erstellt am: 27. 11. 2009 - 19:08 Uhr
Journal '09: 27.11.
Unlängst im Wiener Audimax, bei einer thematisch interessant angelegten (Journalistische Arbeitswelten), dann aber leider in Ausbildungsdenken abgleitenden Podiums-Diskussion, bei der ich eher zufällig anwesend war, konnte ich eine Vermutung abtesten. Ich hab' die Chefin des Internet-Auftritts des Standard, Gerlinde Hinterleitner, in eine Frage verpackt, mit meiner ihr Medium betreffenden Lieblingszahl von 80% konfrontiert.
Dass nämlich 80% des Standard-Online-Angebots reines Gecopypaste von Agentur-Meldungen sowie (in vergleichsweise geringerer Anzahl) einszueins-Übernahmen aus dem Print-Produkt wären. Und nur der schmale Rest selbstbeschrieben/verfasst wäre.
Frau Hinterleitner, eine sehr gelassene Frau, hat es nicht für nötig befunden mittels Zahlenwerk herumzutricksen, sondern diese Schätzung mehr oder minder bestätigt. Und auch die (guten) Gründe dafür angeführt.
Die sind auch mir, auch als Teil einer Website, die praktisch zu 100% selbstverfasst ist, klar - darum, um die Fragen nach der Wirtschaftlichkeit von Online-Medien, nach dem Teaser-Effekt für das Print-Produkt, nach den Geschäftsmodellen, geht es mir aber heute nicht.
Als Hinterleitner nämlich die Errungenschaften aufzählte, die unter die 20% fielen, fiel mir ihre Erwähnung des Begriffs Blog auf. Und da Rottenberg ja nicht mehr ist (der ist wie einige andere Narren dem Ruf des Mammons nach Fuschl gefolgt) und die Eigenproduktion von Ein-Mann-Sender Robert Misik ja nicht gemeint sein können, fiel es mir wieder ein: ich hatte ja schon davon gehört, vom neuen Blog, dem KopfHörer. Und ich nahm mir vor da reinzuschauen.
Der KopfHörer ist ein Musik-Blog. Von Karl Fluch.
Ja, genau, dem Karl Fluch, mit dem ich hier einen ungeheuren Wickel gehabt habe, weil ihm dieses Journal, in dem nicht einmal er als Person, sondern seine Arbeit, und das eigentlich nur als Nebendarsteller vorgekommen waren, schwer aufgestoßen ist.
Dem Fluch, mit dem ich seither - vice versa - nicht mehr rede; was auch doof ist, weiß ich - aber so eine verfahrene Situation, wo nix mehr geht, die kennt wohl jeder. Also.
Seit Ende September bloggt er, regelmäßig und zu seinen Themen - und mir taugt das unglaublich.
Ich grinse übers ganze Gesicht.
Und nicht nur für mich bedeutet das eine Steigerung der Lebensqualität, auch für alle anderen, die mit Fluchs nicht immer, aber oft, sehr verzwackt angesetzten Spielzügen in sehr engen Winkeln nichts anfangen konnten, weil er es nicht verstand seinen rohen Subjektivmus mit dem (eh absurden, aber so ist das halt bei den Deadwoods) dünnhaarig herbeigezogenem Konstrukt qualitätsjournalistischer Objektivität abzugleichen.
Was herauskam war immer ein Geknirsche, ein einziges Gefecht um gerade noch auszusprechende Berichterstattungs-Termini, ein einziger Pseudo-Abwehrkampf gegen verbotene Kommentierungsnöte. Ein einziger großer Krampf war das, verbissen, nur mit verzerrtem Gesicht zu lesen.
Ein Krampf, der seit Ende September kaum noch bemerkbar ist. Fluch bloggt und kann sein Geknirsche dort endlich in die Worte fassen, die ihm entsprechen: in offene, reflektierende, deutliche, anspielungslos-direkte.
Wenn Fluch fürs Print-Produkt, in dem derlei immer noch als Pfui-Pfui gilt (wohl, weil sie dort nicht über die Gelassenheit der Internet-Chefin verfügen), dann den seriösen Berichterstatter macht, ist er vergleichsweise entspannt.
Der Dödel-Fall zeigt es schön
Im Fall der Dödel-Band Rammstein sieht man das ganz wunderbar. Rammstein, ein paar eigentlich ganz liebe, aber wegen ihrer Biografien erschreckend unreflektierte Burschis, die ein wunderbares Gespür fürs Treten in Fettnäpfe, Fragen mit großen naiven Augen und muttlerweile auch für die wunden Punkte der letzten Medien-Tabus haben, gehören deswegen (und nicht weil David Lynch sie toll findet, das ist unglaublich egal) gut betrachtet.
Vor allem, wenn sie sich Torheiten wie Foto/Gesprächs-Beschränkungen anmaßen, die sonst nur überkandidelten Teenie- oder Hyper-Stars der Marke Jackson einfallen.
Fluch hat diesen Schwachsinn zum Anlass für ein zweigeteiltes Lehrstück genommen.
Part 1, Interview plus Analyse im Blatt (und danach auch im Netz) und, am selben Tag, Part 2, die Kommentierung, in der KopfHörer-Kolumne.
Wo früher in einem Opus Magnus wieder nur Geknirsche jenseits der Verständlichkeit zu hören gewesen wäre, wo der Autor aufgrund des falschen (und überkommenen) Selbstverständnisses einer Schein-Objektivität das, was er sagen wollte, hinter gegenläufigen Einschüben verstecken hätte müssen, geht jetzt alles ganz leicht.
In Teil eins wird beschrieben, zitiert und eingeschätzt, unverkniffen und mit leiser Ironie.
Und in Teil zwei muss auch nicht gebolzt werden, weil die Reflexion es ja ermöglicht zum Kern des Problems vorzudringen, was zuvor (wegen der Regel-Schere im Kopf) nicht möglich war. In diesem Fall ist das das simple Aufwerfen der Fragen wovor Rammstein Angst haben.
Wer schon einmal mit den Herren Buben gesprochen hat, wird ahnen wieso (die haben zurecht Angst vor der eigenen Unbedarftheit; immerhin auch ein Fortschritt, dass sie's mittlerweile wenigstens begriffen haben.) - dabei ist die Antwort gar nicht entscheidend; allein die Formulierung der dahinterstehenden Frage ist wichtig.
Die Befreiung aus dem Mainstream-Joch
Und: wenn es im Haupt-Medium, den braven Mainstream-Produkt nicht möglich ist zum Kern vorzustoßen, also das zu tun, wofür wir Figuren einen gesellschaftlichen Auftrag haben (nämlich jenen die Menschen, die wir erreichen, zu informieren und mit möglichen Analysen und Verknüpfungen fitzumachen; und nicht sie zu verwirren oder absichtlich außen vor zu lassen, wie das die Herrschafts-Journalisten hierzulande praktisch flächendeckend vorführen), dann muss es halt ins wahrhaftigere Produkt, ins (Noch-)Neben-Medium, das Netz.
Karl Fluch hat sich (und damit seine Leser) also befreit.
Ich finde einige seiner Einträge auch doof oder uninteressant, ich könnt ihm ob einiger Vergleiche dachteln, eh klar, aber sein Prinzip, die Beschäftigung mit österreichischer und internationaler Musik/Gegenkultur ist so pur rübergebracht wie das sein soll.
Und deshalb sind diese KopfHörer-Blogs auch das Leserlichste im ganzen Standard (Schaffer-Toms Fußball-Analysen einmal ausgenommen).
Weil sie mit einem klar definiertem Ich, eine festen Position daherkommen, weil sie sich nicht verstecken.
Die Ich-Maschine
Und wer sich nicht verstecken muss, wer das, was er sagen will, nicht heimlich zwischen die Zeilen grummeln muss, der wird auch gelassener, menschlicher, besser.
So führt also der Umstieg vom Schein-Objektiven zum Subjektivler, der Umstieg vom Vorgeblich-Neutralen zur "egomanischen Ich-Maschine" zu einer Läuterung und auch zu einer Verbesserung für alle.
Hoppla, "egomanische Ich-Maschine" hat Fluch ja mich damals genannt, im Jänner. Aber damals hat er ja noch mit Händen und Füßen all das verdammt, was er jetzt sehr gut tut und wovon er inhaltlich gigantisch profitiert hat.
Ja, es ist eine Menge Zeit vergangen von Ende Jänner bis Ende September. Und es ist immer gut, wenn sich Situationen, Zustände, Einstellungen und vielleicht sogar Menschen ändern.