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Alexandra Augustin

West Coast, wahnwitzige Künste und berauschende Erlebnisse. Steht mit der FM4 Morningshow auf.

30. 11. 2009 - 18:18

I stitch, I sew, I work, I glue

Die musikalische Alleskönnerin Paper Bird hat ihr drittes Werk "Thaumatrope" zusammengezimmert. In dieser Schatztruhe verbergen sich gar sehr wunderschöne Lieder.

Pferdehufe traben auf das Kopfsteinplaster einer scheinbar verlassenen Strasse. Zaghaft taucht aus dem Hintergrund eine Trommel auf, die einen Trauermarsch zu schlagen beginnt und einen schwermütigen Chor langsam vor sich hin treibt, der immer und immer wieder die Worte "It's cold outside" leise summt. Langsam schält sich aus dieser nebeligen, kühlen Soundkulisse eine Gesangsstimme heraus:

"That's when you'll have to get down on your knees
and admit that you are haunted, there's no way to hide."

(aus "Ghost Recovery")

Es ist ein von einer entrückten Stimmung erfüllter düsterer Ort ohne Hoffnung auf ein Entkommen, an den uns Paper Bird mitnimmt. Um vieles nachdenklicher, bedrückter, stiller und ergreifender als auf ihren Vorgängern, ihrem Debüt "Peninsula" und dem Zweitling "Cryptozoology" erscheint die Seelenlage und das Timbre ihres mittlerweile dritten Albums, Thaumatrope.

Einzig der rote Faden des wärmenden Gesangs der Musikerin, die kindlichen Melodien des Glockenspiels, Akkordeons und die sanft gezupften Seiten der akkustischen Gitarre vermögen uns als vertrauenserweckender Anker zu dienen, auf dieser Reise durch ein Album, das uns durch die dunklen Gänge eines Labyrinths führt, in dem wir uns zurecht finden müssen und in dem wir von den Geistern der Vergangenheit verfolgt werden.

Paper Bird

anna kohlweis

Paper Bird

I only need myself to be free

thaumatrope

unknown

Ein "Thaumatrope", das ist eigentlich ein altes, viktorianisches Spielzeug. Ein runder Karton, beidseitig bedruckt. Dreht man das Thaumatrope schnell, dann ergeben beide Bilder ein gemeinsames. So ist es auch im Schaffen von Paper Bird. So geht es ihr auch mit den vielen Interessen, die diese junge, talentierte Künstlerin in sich trägt und die es gilt unter einen gemeinsamen Hut zu bringen, wie Paper Bird aka Anna Kohlweis im Interview erzählt:

"Dieses Zwiegespaltene, weil ich mich selbst immer hin- und hergerissen fühle zwischen sehr, sehr vielen Dingen. Will ich Musik machen? Will ich malen? Will ich fotografieren und Videos produzieren? Will ich schreiben? Wenn das alles in Bewegung gerät, kann es dann doch passieren, dass das alles zu einem gemeinsamen Bild zusammen schmilzt."

Mit ihrer Musik schuf Paper Bird schon immer ein eigenständiges musikalisches Bild, in dem die Musikerin stets alle Fäden selber zieht. Märchenhaft schön-düstere Erzählungen treffen auf Geräusche und Melodien, wie sie in der realen Welt nie aufeinander treffen würden und nur in Paper Birds Liedern zu einer gemeinsamen Form finden.

Das Klicken einer alten Kamera und ein Händeklatschen geben den Takt an, aus der Gesangsstimme werden haushohe Paper Bird-Chöre gestapelt. Spitzbübisches, leichtmütiges Pfeifen tänzelt um schwermütige Pianomelodien. Da klappern die oben genannten Hufe der Fiaker auf Kopfsteinpflaster der Wiener Innenstadt, denen die Musikerin mit dem Mikrophon und Aufnahmegerät in der Hand auf dem Fahrrad hinterherjagt, um sie später in ihre Lieder hinein zu verweben.

Beim Anhören von Paper Birds Musik ergeht es einem wie beim Öffnen der Luke zu einem alten Dachboden: In jeder Truhe und Schachtel, in jedem dunkel erscheinenden, verborgenen Winkel entdeckt man neue, kleine Schätze.

coloured pencils, cigarettes,
postcards, a burn deep in the flesh.
...
there's a whisper in the atmosphere
and i learn and learn as i repeat,
i am drowning in the language of good memories.

(aus "Language")

paper bird

klemens kohlweis

It looks so small with one eye closed but grows as I grow every year...

Konzerte! Konzerte!

13. 12. Kulturlabor Stromboli / Hall in Tirol

19. 02. ARGEkultur Salzburg, Roter Salon

Vom Schreiben der filigranen Stücke bis hin zu Aufnahme und zum Artwork: Das alles hat Anna Kohlweis wieder ganz alleine gemacht. Nicht nur im Umgang mit ihrer einprägsamen Stimme ist sie mit den Jahren selbstsicherer geworden, auch im Umgang mit ihrem technischen Equipment wird sie von Album zu Album immer besser. In ihrem Wohnzimmer stapeln sich die Mikrophone und allerhand Nippes zum Musik machen, die liebevoll in D.I.Y.-Manier geschaffen wird. Ohne Studio und ohne Produzenten. Aber Paper Birds Album klingt trotzdem ganz und gar nicht unprofessionell. Im Gegenteil.

Auch wenn Paper Bird am liebsten eben alles ganz alleine macht, hat sie diesmal aber doch die Türen zu ihrer Welt ein klein wenig geöffnet: Sie hat sich nämlich ein paar Gäste ins Wohnzimmer eingeladen.

Der feste familiäre D.I.Y.-Kreis aus dem seayou records & Fettkakao-Umfeld hat sich zu einem All-Star-Chor formiert und ist in einigen Liedern auf dem Album als sanfte Begleitung zu hören.
Mit dabei sind neben anderen Sir Tralala, Vortex Rex, A Thousand Fuegos, Frau Herz, Crazy Bitch in a Cave und sogar die eigene Mama und der eigene Bruder verstärken die Truppe, die dem Paper Bird viel Wind unter die Flügel bläst, damit er schön weiter fliegen kann.

Thaumatrope ist auf seayou records erschienen!

Paper Bird Cover Thaumatrope

Anna Kohlweis

Thaumatrope ist das bisher spannendste Werk dieser jungen Musikerin, die immer mehr und immer besser alle ihre kreativen Ideen in ein Gesamtwerk fließen lässt.

Wohin es den Paper Bird als nächstes treiben wird? Jetzt wird angeblich erst einmal wieder fleissig Kunst gemacht, denn Anna Kohlweis studiert außerdem ja auch noch Malerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Wenn ihr nicht wieder der unbändige Drang zum Lieder schreiben in die Quere kommt, dann wird man Paper Bird in nächster Zeit höchstwahrscheinlich malend an einer Staffelei vorfinden.

Worauf wir uns immer musikalisch und / oder visuell in nächster Zeit auch freuen dürfen: Paper Bird ist sicherlich eine der spannendsten Künstlerinnen dieses Landes. Ein Thaumatrope das nicht nur zwei Seiten, sondern unendlich viele, bunt schillernde zu bieten hat.