Erstellt am: 26. 11. 2009 - 19:03 Uhr
Journal '09: 26.11.
Natürlich ist die Zahl lächerlich: 100 Prozent, hahaha!
100 Prozent der 14 bis 19jährigen ÖsterreicherInnen nutzen Social Networks, sagt eine aktuelle GfK-Studie.
Ich bitte euch, 100 Prozent?!?
Ist das alles???
Österreich hat eine Handy-Durchdringung von etwa etwa 118%, still counting, bei den Erwachsenen waren es 2008 bescheidene 87%, also rechnet euch einmal die realen Zahlen bei den Jugendlichen hoch.
Und dann sollen nur 100% von ihnen in Social Networks sein? Ich habe unlängst Geschichten von Menschen gehört, die sich mit Facebook-Zweitidentitäten versehen, damit sie sichere Daumen-Hoch-Unterstützer haben, falls sie sich unbeachtet vorkommen (und auch damit kann man im komplexen Facebook-System seine Wertigkeit pushen).
100% ?
Lachhaft.
Die Durchdringungs-Rate der Digital Natives kann doch keine echte Überraschung sein.
100 bis 123 Prozent
Es gibt genügend erstmals und völlig neu auftretende Phänomene, die mehr Beachtung verdienen. Etwa die unlängst aufgetauchte Frage, ob die Verwendung des Online-Diensts Twitter, dem aktuell feinsten Hybrid aus Tratsch-Börse, Info-Schleuder und sozialen Netzwerk denn andere Web 2.0-Standards an die Wand gedrückt hätte. Stichwort: Twitter killed my Blog.
In einem Twitter-Nebensatz (das geht nämlich auch bei weniger als 140 Zeichen...) hab' ich nämlich Twitterer Georg Mahr bei der Ehre gepackt und zu folgender Selbstbezichtungung angestiftet: Reich an Worten, aber arm an Zeit – Die Blogmisere.
Mahrs Grundthese: seine umfangreiche Präsenz beim Micro-Blog-Dienst Twitter hat dazu geführt, dass er seine Homebase, sein Blog vernachlässigt hat. Mahr verweist auf Kollegen Luca Hammer, der kürzlich ganz ähnliches geäußert hat. Und Jana Herwig hat es auf ihrem Digiom-Blog noch viel härter angesprochen: Twitter tötete meinen Blog.
Nun stimmt das alles und gleichzeitig auch wieder nicht - weil ja die, die den "Tod ihres Blogs" beklagen, ihn mit genau diesen Einträgen ja beleben. Es geht natürlich eher um eine bewusste Reflexion, was das neue Spielzeug mit dem alten anstellt.
Und da stellen wir einmal drei Gründe für diese, durchaus einige betreffende Mini-Krise fest.
Geld, Prestige, Lust
Ursache 1: Geld. Natürlich ist die Text-Produktion im Netz, auch wenn sie in mittlerweile sehr vielen Bereichen bereits wesentlich hochwertiger ist als das, was im Journalismus (jüngstes Beispiel ist der zweite Punkt hier) abgeht, unter- bis nicht bezahlt. Und erfordert - weil die Finanzierung nicht einmal den großen Geldscheffel-Verlagen gelingt - einiges als Aufwand und Überwindung. Da diese Form der Suche nach der wichtigen Information und der richtigen Verknüpfung über kurz oder lang die einzig relevante Form sein wird, die sich im Gegensatz zum bald nur noch ausschließlich Lobbies und Interessen dienenden Pseudo-Journalismus, lohnt sich das - verlangt aber einen langen Atem.
Ursache 2: Prestige. Aktuell nirgendwo leichter und flotter zu lukrieren als bei Twitter. Wer originell und informativ ist, interessantes verlinken und wichtiges auf den Punkt bringen kann, ist mit Leichtigkeit imstande, sich eine Follower-Schar zu erarbeiten, die eine durch noch so viele RSS-Feeds angefütterte Stammleserschaft schon einmal ausbremst.
Ursache 3: der Lust-Faktor. Wenn man sich einmal dran gewöhnt hat, im Mikro-Stil mit schnellen und kurzen Meldungen und Meinungen um sich zu schießen, stellt man sich recht schwer auf das durchdachtere, langwieriger, arbeitsintensivere und womöglich unbeachtetere, weil weniger genau Gelesene, zurück um.
... und der Mehrwert.
"Ein Blogpost soll einen Mehrwert bieten.", sagt Georg Mahr und bringt damit die Schwere, die der Blog-Eintrag im Vergleich zum Tweet hat, schön auf den Punkt. Und genau diese (selbstauferlegte) Schwere, dass ein Blog-Eintrag von so ungeheurer Bedeutung sein müsste, lastet auf dem Blogger - noch dazu, wenn er/sie sich die Fragen nach ökonomischer Sinnhaftigkeit, Prestige/Distinktion und dem Spaß-Faktor stellt.
Letztlich ist aber auch genau das Gegenteil des bisher Gesagten richtig. Mich etwa haben Tweets oft Wildfremder in den letzten Monaten auf so viele Blogs geführt, wie in all den Jahren davor nicht. Heute etwa schnappe ich ein Re-Tweet eines deutschen Medienpädagogen auf, der mich direkt auf die Text-Raum-Site und diesen Eintrag von heute führt.
Sabria Davids in BrandEins erschienener Twitter.
Und das ist Schirrmachers Auftritt bei Beckmann.
Sabria David verknüpft da Stephen Frys Ansage auf der "140 character conference" in London (“We don’t need the dead wood press anymore”) mit Frank Schirrmachers neuem 'Neue Medien'-Thesen-Buch "Payback" mit der Antwort, die heute Peter Kruse in der Süddeutschen gibt.
Zu all dem hätte mich ein einzelner Tweet nie gebracht - dazu brauchte es schon einer qualitativen Zusammenfassung, also der Maxi-Version des Micro-Blog-Angebots.
Schirrmacher und Haßloch
Nun kann man (gerechtfertigterweise) argumentieren, dass der Experten-Markt in Deutschland ein größerer sei, als der in Österreich. Man darf auch zurecht anmerken, dass die Tatsache, dass sich dort eben die Schirrmachers, die ins Licht drängenden Konservativen, vergleichbar mit hiesigem Presse- samt Profil-Chefredakteur vergleichsweise unvoreingenommen mit dem Thema der Medien-Konvergenz und der Runderneuerung des gesamten Geschäftsmodells mit Information und Kommunikation umgeht, während sich hierzulande selbst die an sich Progressiven auf unglaublich verstaubte Art gegen eine seriöse Beschäftigung verwehren.
Alles richtig.
Bloß: Österreich ist Musterland.
100% Auslastung sozialer Netzwerke.
Und bald 125% Telekommunikations-Durchdringung.
Österreich ist Spielboden für europäische Entwicklungen, beliebter Testmarkt für neue Gagdets und Billig-Angebote. Eine Art Hassloch des Kontinents.
Was also hinterwäldlerisches gesellschaftliches Verständnis und totes Holz zu bremsen versuchen, wird durch ein Tool des globalisierten Kapitalismus quasi links überholt: die junge Generation wird an den Bestrebungen der Ausschließlich-Bewahrer vorbei fitgemacht; nur um in ein paar Jahren jene mit kompletter Verständnislosigkeit ins Vergessen zu stoßen.