Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Die Reise nach Jerusalem"

Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

22. 11. 2009 - 15:50

Die Reise nach Jerusalem

Popkultur in Israel inklusive Wechselbad der Religionen

Das Leben einer unterbeschäftigten Musikjournalistin kann recht eintönig sein, aber wenn man von der Bundeszentrale für politische Bildung zu einer Reise unter dem Titel "Popkultur in Israel" eingeladen wird, ist es aufregend. So eine Reise ist natürlich hochsubventioniert und kein Urlaub!

Das Programm geht von 8 Uhr morgens bis tief in die Nacht und schwänzen gilt nicht. Man erklimmt die Golanhöhen, besichtigt Kibuzze, spricht mit Holocaust-Überlebenden und Peace-Now-Aktivisten, fährt über Checkpoints und Sperranlagen nach Ramallah, hört Referate über die monotheistische Religionen und über jüdische Identitäten im Alltag und selbst in den kurzen Zigaretten-Pausen wird erregt über den Nahostkonflikt diskutiert.

Jerusalem

Christiane Rösinger

Die Aufzählung des reichhaltigen um Ausgewogenheit bemühten Programms würde diese Seite, ja das ganze Internet sprengen.
Und nach dem dichten Tagesprogramm musste man sich abends in den Clubs noch israelische Bands anschauen, die sich alle mehr oder weniger im Feld des "Oriental Pop" bewegten.Tel Aviv soll ja wie Berlin mit Meer sein, bei diesem Vergleich kommt allerdings Berlin ein bisschen zu gut weg. Tel Aviv ist auch im November schwül-warm, man geht durch palmengesäumte Boulevards und trifft auf viele, meist junge Menschen aus 140 Nationen.

Jerusalem

Christiane Rösinger

Gut, wenn man auf der Via-Dolorosa seinen eigenen Lautsprecher dabei hat.

Gegen das heitere, weltoffene Tel Aviv verschreckt das religiöse Jerusalem zuerst, besonders wenn man Freitags in der Altstadt unterwegs ist. Dann nämlich pilgern singende Franziskanermönche mit umgeschnallten Lautsprechern durch die Via Dolorosa, eilen die ultraorthodoxen Juden mit den Schläfenlocken und Pelzhüten zur Klagemauer und sammeln sich Muslime zum Freitagsgebet an der Al-Aksa Moschee, während in der Grabeskirche entrückte Christinnen ergriffen Plastiktüten über den Salbungsstein ziehen und unter Altäre kriechen um ein Loch, in dem einst das Kreuz stand, zu erfühlen.

Kein Wunder, dass man hier leicht durchdreht. So leiden ca. 100 Besucher und Einwohner der Stadt pro Jahr an einer als Jerusalem-Syndrom bezeichneten psychischen Störung. Die Betroffenen identifizieren sich vollständig mit einer heiligen Person aus dem Alten oder Neuen Testament und geben sich als diese aus. Dagegen hilft nur betont antirelgiöses Verhalten.

Marktstände mit religiösen Andenken

Christiane Rösinger

Themen-T-Shirt am Merch-Stand, im jüdischen Viertel überwiegen goldene Menoras, mit einer Michael-Jackson-Kippa liegt man ganz vorn, Kopftücher und Burka-Bedarf im moslemischen Quartier. (Im Uhrzeigersinn)

Also Augen auf: Wer hat die besseren Merchandising -Artikel? Die Christen punkten mir floureszierenden Madonnenstatuen und Jerusalemerde samt Echtheitszerifikat, während im jüdischen Viertel güldene Menoras und "Guns and Moses"-T-Shirts überwiegen. Kopftuch und Burkabedarf hingegen dominieren das Gassenbild bei den Moslems. Ein Wechselbad der Religionen!

Wenn man dann nach zwei Wochen ins novembrige Berlin zurück kommt wirkt selbst die mediterran-türkische Oranienstraße recht unbelebt gegen die Märkte in Jerusalem, die Clubpromenade von Tel Aviv und das Gewimmel in Ramallah. "Wenigstens haben wir hier genug Wasser und keine Sperranlagen" sagt man sich zum Trost - Jammern hilft nix, man muss sich wieder eingewöhnen.